Roland Geyer – Opernintendant mit künstlerischem Weitblick
Prof. Roland Geyer ist einer der profiliertesten Intendanten und Musikmanager Österreichs, der ab 2006 das Theater an der Wien als innovatives Stagione-Opernhaus international neu positionierte. Mit John Neumeier verbindet ihn eine 18-jährige Zusammenarbeit. Zum Saisonauftakt präsentiert er mit »Beethoven-Projekt II« das zehnte Gastspiel des Hamburg Ballett an seinem Haus innerhalb von 15 Jahren. Am Rande der Proben nahm er sich Zeit für ein ausführliches Gespräch mit unserem Kommunikationsdirektor Jörn Rieckhoff.
John Neumeier hat ganz wenige Uraufführungen mit seiner Compagnie außerhalb Hamburgs realisiert. Wie haben Sie ihn im Vorfeld überzeugt, dass das Theater an der Wien für »Weihnachtsoratorium I-III« der richtige Ort wäre?
Roland Geyer: Bevor das Theater an der Wien 2006 eröffnet wurde, habe ich seit 1997 als Musikintendant der Stadt Wien zwei Festivals geleitet: das Sommerfestival »Klangbogen Wien« sowie das Festival »Osterklang«, einen Gegenpol zu den Salzburger Osterfestspielen unter Beteiligung der Wiener Philharmoniker. Bereits bei diesem Festival, das sich der Kontemplation in einem großen künstlerischen Spektrum verpflichtet fühlte, gab es zwei gemeinsame Produktionen mit John Neumeier. Mit zwei oder drei Jahre Vorlauf habe ich mich damals um »Messias« für den Osterklang 2003 bemüht. Ich fand: Dieses wunderbare Werk der Besinnung, das auch außerhalb des sakralen Ansatzes weitreichende Fragen aufwirft, – das wäre ein regelrechter Hit in meinem Festival.
Ich kann mich noch genau an die Schräge erinnern, auf der Lloyd Riggins als Hauptfigur tanzte. Johns Choreografien sind für mich Interpretationen, die im Zuschauer etwas erwecken: ein Darüber-hinaus-Denken, sodass man etwas mitnimmt, aus dem man immer wieder schöpfen kann – und das im Idealfall seinem Leben eine Bereicherung gibt.
Johns vierte Produktion, die ich eingeladen hatte, war eine Uraufführung für das Theater an der Wien: »Weihnachtsoratorium I-III«. Das war für uns der Durchbruch, zusammen mit einer Opernproduktion kurz darauf mit Nikolaus Harnoncourt. Da ist der Musiktheaterwelt, zumindest Europas, plötzlich bewusst geworden: Im Theater an der Wien ist mehr los als gedacht, da muss man genauer hinschauen.
Man spürt die Empathie, die Sie John Neumeiers Werken entgegenbringen. Sicher sind der Raum und die Zeit, die Sie ihm geben, seine Werke mit Live-Musik speziell für die Bühne im Theater an der Wien einzurichten, ein wichtiger Grund, warum er immer wieder gerne Ihre Einladungen angenommen hat.
Dazu kommt natürlich das historische Haus mit seiner besonderen Akustik und seiner wunderbaren Intimität. Auf den meistern Plätzen hat man das Gefühl, man könnte der Sängerin oder dem Tänzer die Hand auf die Schulter legen. Gerade für das »Beethoven-Projekt II« ist die Historie gewaltig. »Christus am Ölberge« ist 1803 hier im Haus uraufgeführt worden. Die zwei Sonaten sind in der Zeit entstanden, als Beethoven hier intensiv gearbeitet hat.
Daneben habe ich mit John über die Jahre eine Gesprächsfreundschaft aufbauen dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar, denn John ist ein Mensch, der nicht sofort jeden umarmt. Gerade heute hatten wir zwei Stunden zusammen, in denen es nur wenige Minuten um das aktuelle Projekt ging. Uns beschäftigt: Was bedeutet die Existenz als Mensch, auch angesichts der menschenunwürdigen Flüchtlingssituation, die gerade in Afghanistan aufgebrochen ist? Wir tauschen uns aus, und sehen keine Trennung zwischen künstlerischen Fragen und der Welt um uns herum. Ich genieße solche Gespräche!
Trotz der großen internationalen Erfolge des Hamburg Ballett empfinde ich im Theater an der Wien jedes Mal eine besonders tiefe Resonanz. Wie erklären Sie die besondere Wertschätzung, die John Neumeier von Ihrem Publikum erfährt?
Ich habe wohl eine gute Hand dafür, mit sensiblen, hochkreativen Menschen eine Gesprächsebene aufzubauen, sodass sie mir vertrauen. Ich sehe mich als Begleiter der Künstler und vermittle ihnen, dass ich mich mit aller Kraft dafür einsetze, aus dem gemeinsamen Projekt das Beste zu machen. Diese künstlerische Vertrauensbasis spürt auch das Publikum bei den Aufführungen, wofür das Theater an der Wien inzwischen bekannt ist.
John hat im Gegenzug in 18 Jahren eine große Vielfalt an »Bewegungswelten« mitgebracht: Denken Sie sich den »Messias« neben »Orpheus« oder »Die Kameliendame« neben dem »Weihnachtsoratorium«. In seiner Art, an die Themen heranzugehen, war immer ersichtlich: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Egal, ob es dann klassischer oder moderner, leichter verständlich oder den Intellekt stärker herausfordernd choreografiert war.
Was hat Sie bei der Vorbereitung für das aktuelle Gastspiel beschäftigt?
Es war eine wichtige Frage in den Vorgesprächen zu »Beethoven-Projekt II«, dass John in Hamburg das Orchester hinter den Tänzern platziert hatte. Die Akustik in unserem kleineren Theater hätte eine massive Verstärkung erforderlich gemacht. Weil John unser Haus gut kennt, hat er sofort verstanden, dass das Orchester im Graben spielen muss, um das Erlebnis im Zuschauerraum lebendig zu halten.
Bei der Platzierungsprobe ist mir aufgefallen, dass er einiges für unser Haus adaptiert hat. Man kann schon sagen, dass wir eine Wiener Fassung zu sehen bekommen. Ich habe mich früh dafür eingesetzt, dass der Flügel nicht in der ersten Gasse, sondern an der Seite auf dem überbauten Orchestergraben steht. Diese Plattform gab es auch im »Weihnachtsoratorium«, und auch in »Beethoven-Projekt II« ist es eine wunderbare Brücke in den Zuschauerraum.
Abgesehen davon sehe ich den Applaus des Live-Publikums als größte Anerkennung, die die Künstler für ihre Leistung erhalten. Insofern freut es mich ungemein, dass die hohe künstlerische Qualität von John Neumeiers Produktion mit den Tänzerinnen und Tänzern des Hamburg Ballett dieses Wochenende mit zwei vollen Sälen gewürdigt wird.
Jörn Rieckhoff