Christopher Evans ist Gustav von Aschenbach
Der Erste Solist Christopher Evans wird bei der Wiederaufnahme von John Neumeiers »Tod in Venedig« die Hauptrolle Gustav von Aschenbach erstmals auf der Bühne tanzen. Mitten in den Endproben nimmt er sich Zeit und spricht mit mir über sein Debüt:
Am 29. Oktober 2020 sehen wir dich zum ersten Mal als Gustav von Aschenbach in der Wiederaufnahme von John Neumeiers »Tod in Venedig«. Die Rolle von Aschenbach wurde 2003 von Lloyd Riggins kreiert und entscheidend geprägt. Wie fühlt es sich an, in seine Fußstapfen zu treten?
Christopher Evans: Lloyd Riggins‘ Rollen sind herausfordernd und sehr komplex. Es ist wunderbar für einen Künstler! Das erste Mal, dass ich wirklich eng mit Lloyd zusammengearbeitet habe, war, als ich meine erste Hauptrolle als Albrecht in »Giselle« getanzt habe. Und von da an haben wir gemeinsam bereits an vielen Balletten gearbeitet. Am bemerkenswertesten war die Zusammenarbeit in »Bernstein Dances«! Es war das erste Mal, dass Lloyd diese besondere Rolle des Leonard Bernstein wirklich weitergab. Und jetzt »Tod in Venedig«! Wir arbeiten sehr gut zusammen.
Thomas Mann nannte seine Novelle die »Tragödie einer Entwürdigung«: Im Mittelpunkt steht Gustav von Aschenbach, ein alternder Künstler, dessen scheinbar gefestigter Charakter nie gekannte Wandlungen erfährt und schließlich in vollkommener Hingabe mündet. Wie bereitest du dich auf die ebenso charaktervolle wie seelentiefe Rolle des Aschenbach vor?
Ich recherchiere gerne, um herauszufinden, wer der Charakter für mich ist. Ich las das Buch und hörte mir alles an, was John Neumeier und Lloyd Riggins mir über Thomas Mann und Gustav von Aschenbach erzählt haben. Ich analysiere die Szenen und Situationen im Ballett und denke darüber nach, wie ich reagieren würde, wenn ich Aschenbach wäre. Unter Berücksichtigung meiner persönlichen Lebenserfahrungen kann ich mich so ehrlich wie möglich in diese Person verwandeln.
Was kanntest du zuerst, das Buch, Viscontis Filmversion oder John Neumeiers Ballett?
Ich sah zuerst John Neumeiers Ballett.
Es ist eine interessante Geschichte, denn nachdem ich 2010 einen Preis beim Prix de Lausanne gewonnen hatte, wusste ich nicht, an welcher Ballettschule ich studieren sollte.
Ich wollte in eine Schule gehen, die auch eine Compagnie hat, damit ich eine bessere Chance hätte, einen Vertrag zu bekommen. Ich fand ein Video von John Neumeiers »Die Kameliendame« und auch ein Video von seinem »Tod in Venedig« im Internet. Es waren diese beiden Ballette, die mich dazu gebracht haben, Tänzer beim Hamburg Ballett zu werden. Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, die Rolle des Armand in »Die Kameliendame« an der Seite von Olga Smirnova vom Bolschoi-Theater zu tanzen. Und jetzt werde ich dieses Jahr Aschenbach verkörpern!
Es ist interessant, wie sich das Leben manchmal entwickelt. Ich fühle mich einfach so glücklich!
Vielen Dank für das Interview, lieber Christopher, und Toi, Toi, Toi!
Ihr wollt mehr über Christopher Evans erfahren? Schaut euch seinen Steckbrief an!
Nathalia Schmidt