Sebastian Knauer zu Leonard Bernstein
Auf Gastspiel in Baden-Baden: An diesem Wochenende tanzt das Hamburg Ballett John Neumeiers Ballettrevue »Bernstein Dances« im Festspielhaus. Den solistischen Klavierpart übernimmt der Pianist Sebastian Knauer, der schon bei der Uraufführung des Balletts mit dabei war und nun auch in der aktuellen Wiederaufnahme zu erleben ist. Für die Blogreihe hat er meine persönlichen drei Fragen beantwortet.
Herr Knauer, am 14. Juni 1998 feierte John Neumeiers Ballettrevue »Bernstein Dances« ihre Uraufführung in der Hamburgischen Staatsoper. Sie selbst haben den Klavierpart übernommen. Wie haben Sie die Uraufführung erlebt und wie kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit mit John Neumeier?
Sebastian Knauer: Ich habe das Vergnügen gehabt, mit John Neumeier und der Compagnie noch vor dem Projekt »Bernstein Dances« zusammenzuarbeiten. Unser erstes gemeinsames Projekt war das Ballett »Kinderszenen« zu Musik von Robert Schumann. Zwischendurch habe ich auch einmal mit Kevin Haigen zusammengearbeitet, der ein Ballett zu Musik von Mendelssohn kreiert hat. Und dann kam in den 90er-Jahren die Anfrage, ob ich nicht Lust auf das Projekt »Bernstein Dances« hätte. Es war ein tolles Erlebnis! Es ist immer auch etwas ganz Besonderes, selbst mit auf der Bühne und Teil des Geschehens zu sein. Bei einem Ballett sitzt man als Pianist ja meistens im Graben. Da aber das Klavier in John Neumeiers Balletten immer wieder eine zentrale Rolle spielt, hatte ich die Ehre und das Vergnügen auf der Bühne tätig zu sein. Ich habe die Zusammenarbeit mit John Neumeier und dem gesamten Ensemble in bester Erinnerung. Genauso schön ist es jetzt nach 20 Jahren bei der Wiederaufnahme von »Bernstein Dances« wieder mit dabei sein zu dürfen.
Dazwischen gab es aber immer mal wieder Aufführungen, in Hamburg, in New York, und sogar auch hier in Baden-Baden! Es ist schön zu sehen, dass diejenigen, die damals bei der Uraufführung Solotänzer in der Compagnie waren, jetzt hinter den Kulissen für das Hamburg Ballett arbeiten, als Ballettmeister zum Beispiel oder als Assistenz der Direktion. Jetzt sind es nur noch zwei, die auch bei der Wiederaufnahme des Balletts auf der Bühne stehen: Hélène Bouchet, die die weibliche Hauptrolle tanzt, und ich. Pianisten haben ja eine andere Halbwertszeit als Tänzer. Auch nach 20 Jahren war es für mich ein großes Vergnügen mit den Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne zu stehen. Ich bin sehr froh, dass die »Bernstein Dances« wieder gezeigt werden und habe es insgeheim gehofft – schließlich ist 2018 das Bernstein-Jahr und ich habe viele Konzerte mit Musik von Bernstein gespielt. Die Termine für die Vorstellungen der »Bernstein Dances« in Hamburg und Baden-Baden passten alle wie durch ein Wunder in meinen Kalender. Ich bin sehr glücklich darüber!
Leonard Bernstein wäre diesen August 100 Jahre alt geworden. Sie selbst haben mit mehreren Konzerten an den berühmten Künstler erinnert. Was ist es denn aus Ihrer Sicht, das Bernsteins Musik so besonders macht?
Die Gesamterscheinung Leonard Bernsteins ist besonders. Er war zum einen ein phänomenaler Dirigent und Musiker. Nebenbei war er – ich als Pianist kann das gut beurteilen – ein sensationeller Klavierspieler. Er spielte das Klavierkonzert von Maurice Ravel ebenso wie Klavierwerke von Wolfgang Amadeus Mozart oder die »Rhapsody in Blue« von George Gershwin. Er konnte alles, und das mit einer unglaublichen Leichtigkeit, Professionalität, Ernsthaftigkeit und Genauigkeit. Zum anderen war er ein begnadeter Komponist. Da gibt es die berühmte »West Side Story« mit Melodien, die jedem bekannt sind.
Da gibt es aber auch die Werke, die eher unbekannt sind. Zum Beispiel sein Klavierwerk: Leonard Bernstein hat 29 »Anniversaries« geschrieben. Fünf davon sind im Ballett »Bernstein Dances« zu hören. In dieser Saison habe ich die »Anniversaries« ein paar Mal komplett aufgeführt, zum einen allein, zum anderen gemeinsam mit Jamie Bernstein, der Tochter von Leonard Bernstein. Ich habe die Stücke gespielt und sie hat über das Leben ihres Vaters erzählt. Die »Anniversaries« tragen alle eine Widmung; es sind kleine musikalische Portraits, die Leonard Bernstein zum Geburtstag enger Freunde komponiert hat. Jamie Bernstein hat dem Publikum erklärt, wer diese Personen waren und hat dabei auch private Fotos gezeigt. Die »Anniversaries« klingen nicht wie die »West Side Story«, sie sind in sich gekehrter und viel persönlicher. Aber gerade das macht die Musik von Leonard Bernstein aus, diese Vielseitigkeit! Er schrieb Werke für den Broadway und das Musical, aber auch symphonische und instrumentale Musik. Die früheren Werke klingen teilweise sehr experimentell. Die Violinsonate zum Beispiel ist viel dissonanter im Klang, ganz anders als die »Anniversaries«. Ich habe auch einmal die zweite Sinfonie »The Age of Anxiety« gespielt, was übrigens auch Ballettmusik ist – ein extrem schweres Stück, aber es macht sehr viel Spaß! Ja, Leonard Bernstein war ein herausragender Dirigent, Komponist und Pianist …
Wann wurde Ihnen klar, dass die Musik zu Ihrem Beruf wird?
Angeblich habe ich bereits mit vier Jahren gesagt, dass ich Pianist werden will. Das war mein erster Aufruf an die Eltern und an meine Familie. Ich weiß nicht genau warum, aber ich soll als Säugling immer geschrien haben, wenn ich Musik hörte. Eigentlich gab es ja nur zwei Lösungen auf die Frage »Warum?«. Entweder ich hasste Musik oder ich liebte sie. Auf jeden Fall hatte mich Musik schon sehr früh angesprochen. Mittlerweile sitze ich schon über vier Jahrzehnte am Klavier. Ich habe das Glück, mein Hobby zum Beruf gemacht zu haben. Es ist ein harter Job, nicht immer nur Vergnügen. Zudem gibt es eine große Konkurrenz – man muss sich immer wieder unglaublich reinhängen, sich immer wieder neu erfinden und neue Ideen haben. Aber gerade das macht diesen Beruf so spannend: Jeden Tag warten neue Herausforderungen, die ich nicht missen möchte.
Nathalia Schmidt