Sonja Tinnes ist Choreologin des Hamburg Ballett. Seit 25 Jahren begleitet sie die Kreationsphasen der Ballette von John Neumeier und verwandelt die Bewegungen im Raum in lesbare Zeichen auf Papier. Sie notiert die Schritte, Sprünge, Drehungen, Hebungen, aber auch die Intention, Gefühle und Hintergründe, die John Neumeier seinen TänzerInnen bei der Kreation in Worten erklärt. Anlässlich der Uraufführung von »Die Glasmenagerie« hat sie mit mir über ihre Arbeit gesprochen.
Mit der Uraufführung von »Die Glasmenagerie« am 1. Dezember blickt Sonja auf 25 Jahre Zusammenarbeit mit John Neumeier zurück: 1994 kam sie zum ersten Mal zum Hamburg Ballett, um im Rahmen ihrer Ausbildung den 2. und 3. Satz der Kreation von John Neumeier zur 9. Sinfonie von Gustav Mahler zu notieren – eine Winterpremiere, wie »Die Glasmenagerie«.
Das Handlungsballett nach Tennessee Williams‘ Schauspiel ist die 40. Kreation von John Neumeier, die Sonja begleitet und notiert. Sie sitzt im Ballettsaal neben dem Choreografen und versucht alles aufzuschreiben, was in dem Moment entsteht. Dabei achtet sie besonders darauf, an welcher Stelle in der Musik die Schritte und Bewegungen liegen. »Für John ist im Prozess der Kreation besonders wichtig, dass da jemand ist, der ihm sagen kann, wo wir gerade musikalisch gesehen sind.« Damit bei Wiederholungen nicht immer von vorne angefangen werden muss, schreibt Sonja Ankerpunkte in Choreografie und Musik auf, an denen man sich orientieren kann.
Es kommt auch vor, dass John Neumeier bestimmten Schrittfolgen einen erfundenen assoziativen Namen gibt. In Sonjas Notation zu einer Szene in »Die Glasmenagerie« stehen dann Begriffe wie »Sausage Roll«. »Das ist eine gute Gedankenstütze für mich und die Ballettmeister«, erklärt sie mir.
Manche Sequenzen könne sie im Moment der Kreation gut minimalistisch mitschreiben. So beispielsweise die sogenannte »Crossfire-Sequenz« in der Schuhfabrik-Szene aus »Die Glasmenagerie«, in der die Tänzer Schuhkartons hin und her werfen. Für die Kreations- und Probenphase reicht es, dass Sonja die Formation skizziert und mit Hilfe von Pfeilen aufzeichnet, wie die Kartons und Schuhe innerhalb der Formation geworfen werden: »Ich habe die einzelnen Elemente, die in dieser Sequenz vorkommen und schreibe dann nur noch auf, in welcher Reihenfolge sie passieren.«
Nach der Uraufführung wird sich Sonja an den Schreibtisch setzen und die fertige Choreografie als Partitur »schön schreiben«. Zur Hilfe nimmt sie dann auch die Filmaufnahmen, die sie vor allem während der Endproben angefertigt hat. »Wenn ich die Partitur schreibe, dann schreibe ich alle Systeme – jede einzelne Bewegung von jedem einzelnen Tänzer – von vorne bis hinten auf die Musik, also immer zum dazugehörigen Takt.« Ihre Tanzpartitur sieht am Ende aus wie eine Orchesterpartitur: Jede/r TänzerIn bekommt eine eigene Zeile, diese stehen übereinander und sind in die entsprechenden Takte der dazugehörigen Musik gegliedert. Gruppenszenen, wie die »Crossfire-Sequenz«, in denen viele Tänzer gleichzeitig unterschiedliche Schritte tanzen, sind in der Partitur daher sehr aufwendig zu notieren und nehmen viel Platz ein.
Obwohl sie nach 25 Jahren und 42 geschriebenen Tanzpartituren schon reichlich Erfahrung gesammelt hat, wird ihr die Aufgabe nie langweilig: »Es ist ein wirklich toller und interessanter Job! Man lernt immer etwas Neues über Musik und Theater. Gerade bei der ›Glasmenagerie‹: Es ist für John ein wichtiges Stück und er hat sehr lange darauf hingearbeitet. Er hat zwar eine persönliche Choreografie-Handschrift, aber auch für dieses Ballett wieder eine ganze eigene Tanz-Sprache für die Charaktere gefunden.«
Vielen Dank für den interessanten Einblick in deine Arbeit als Choreologin, liebe Sonja!
Zum elften Mal haben die Schülerinnen und Schüler der aktuellen Theaterklassen der Ballettschule des Hamburg Ballett eigene Choreografien entwickelt, die im Ernst Deutsch Theater aufgeführt werden – dieses Jahr etwas früher als sonst: Statt im Februar/März 2020 findet die »Werkstatt der Kreativität« schon im November 2019 statt.
Woher kommt eigentlich der Name »Werkstatt
der Kreativität« und was erwartet uns dieses Jahr im Ernst Deutsch Theater?
Der Begriff »Werkstatt der Kreativität« setzt sich aus den Bestandteilen »Werkstatt« und »Kreativität« zusammen. Unter einer Werkstatt wird der »Arbeitsraum eines Handwerkers mit den für seine Arbeit benötigten Geräten« (Duden) verstanden. Die ›Handwerker‹ sind in diesem Falle die Schülerinnen und Schüler der Theaterklassen VII und VIII. Die ›Arbeit‹ der Schülerinnen und Schüler der Klasse VIII besteht darin, eine Choreografie für ihre Abschlussprüfung im Fach Tanzkomposition zu entwickeln und umzusetzen, während die Schülerinnen und Schüler der Klasse VII freiwillig eine Choreografie entwickeln dürfen, um z. B. für ihre Abschlussprüfung in einem Jahr zu üben und/oder sich choreografisch auszudrücken. Als ›Arbeitsraum‹ nutzen sie die Ballettsäle des Ballettzentrums Hamburg John Neumeier, in denen sie täglich unterrichtet werden und trainieren. Die Abschlussarbeit besteht aus der Entwicklung und Aufführung einer eigenen Choreografie. Die dafür benötigten ›Geräte‹ sind Musik, Kostüme, Requisiten, Licht und natürlich Tänzerinnen und Tänzer, also die Schülerinnen und Schüler aus den Klassen VII und VIII. In Kombination mit dem Begriff »Kreativität«, der die individuelle »schöpferische Kraft« (Duden) bezeichnet, bedeutet »Werkstatt«, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrem ›Arbeitsraum‹ neue Choreografien entwickeln.
Impression aus der »Werkstatt der Kreativität« im letzten Jahr (c) Silvano Ballone
Die Ergebnisse dieses schöpferischen Prozesses werden in diesem Jahr als »Werkstatt der Kreativität XI« im Ernst Deutsch Theater präsentiert. Dafür haben die Theaterklässlerinnen und Theaterklässler seit Schuljahresbeginn im August intensive Vorbereitungen getroffen, die mit der Planung der Choreografien begonnen haben. Sie haben verschriftlicht, welche ›Geräte‹ sie während ihrer ›Arbeit‹ in ihrem ›Arbeitsraum‹ wie einsetzen: Welche Musik haben sie ausgewählt? Welche Mitschülerinnen und Mitschüler tanzen ihre Choreografie? Welche Kostüme und Requisiten werden wie verwendet, um die Aussage ihres Tanzes zu unterstützen? Es fanden intensive Proben statt; in dieser Zeit stand das ein oder andere Mal »Proben für Kompo« im Stundenplan.
Impression aus der »Werkstatt der Kreativität« im letzten Jahr (c) Silvano Ballone
Anhand der näheren Informationen zu ihren ›Geräten‹ wurde das Programm für die Abschlussprüfung zusammengestellt. Nach der Prüfung waren alle sehr zufrieden und haben sich über einen gelungenen Prüfungsabend gefreut. John Neumeier hat, nachdem er an diesem Abend alle Choreografien gesehen hatte, das Programm für das Ernst Deutsch Theater zusammengestellt. Die Zuschauer erwartet ein bunter Mix: Von Pas de deux über Pas de quatre bis hin zu Choreografien mit bis zu siebzehn Tänzern. Von Stücken mit drei Minuten Länge bis hin zu zehnminütigen Tänzen. Von klassischer Musik bis hin zu Musik mit Gesang, von Ludovico Einaudi über Avicii bis hin zu Pink Floyd und Sequenzen ganz ohne Musik.
Viel Spaß beim Zuschauen im Ernst Deutsch Theater!
Marlena Patyna
Einen kleinen Rückblick und Vorgeschmack auf die
nächste »Werkstatt der Kreativität« findet ihr hier:
Bella Italia! Ulrike Schmidt, Betriebsdirektorin des Hamburg Ballett und Stellvertreterin des Ballettintendanten John Neumeier, begleitet derzeit zusammen mit Reiseleiter Richard Eckstein eine von Studiosus veranstaltete Kulturreise für Abonnenten und Freunde der Hamburgischen Staatsoper. Für unseren Blog schickt sie sonnige Grüße aus dem schönen Italien und gewährt Einblicke in das spannende Reiseprogramm.
Buongiorno
San Carlo!
Das Spannende an Neapel ist, dass es vom Altertum über Mittelalter bis hin zu Renaissance und Barock alle Zeitalter zu bewundern gibt. Die Dynastien in Neapel waren u.a. die Normannen, Stauffer und Anjous. Mit Alexander dem Sechsten erhielt Spanien die Vorherrschaft in Europa und bis zum Jahr 1707 wurde Neapel von Vizekönigen aus Spanien regiert. Danach kamen für 30 Jahre die Österreicher, 1734 folgte der bourbonische König Karl III., der u.a. das Teatro San Carlo erbauen ließ.
Über
700 Kirchen sind in Neapel zu finden. Der Dom geht auf Carl von Anjou zurück.
Unsere Gruppe fand eine sehr schöne Basilika im Dom – also eine Kirche in einer
Kirche! Die Neapolitaner sind immer noch sehr gläubig (und abergläubisch)!
Neapel ist mit unterirdischen Gängen, also Katakomben, ausgestattet, die Teile der Altstadt durchziehen. Die Stadt steht derzeit unter großem Wandel, das zeigt sich u.a. an der großen Bautätigkeit. Teile der Altstadt sind bereits erneuert worden, andere Teile noch nicht. In der Altstadt besichtigen wir u.a. die Spaccanapoli, die sogenannte Krippenstraße, in der viele Geschäfte mit handgefertigten Krippenfiguren zu finden sind.
Im
Kloster Santa Chiara, das mit wunderschönen Majolika aus dem 18. Jahrhundert im
Kreuzgang ausgestattet ist, beenden wir unseren Rundgang und essen eine
neapolitanische Pizza – der Teig ist dicker und weicher als wir es aus
Deutschland kennen, einfach köstlich!
Dann folgt die Besichtigung des wunderschönen Teatro San Carlo. Ein Logentheater mit 184 Logen, sechs Rängen und 1400 Plätzen. Es stammt aus dem Jahr 1737 und wurde von den Architekten Giovanni Antonio Medrano und Angelo Carasale konzipiert und errichtet. 1816 brannte das Opernhaus aus, wurde aber sehr schnell wieder aufgebaut. Ricardo Muti hat im letzten Jahr die Akustik geprüft und ganze drei Stunden lang einen Ton spielen lassen, den er von verschiedenen Plätzen im Zuschauerraum aus erkundet hat. Am Ende hat er gesagt, dass dieses Theater nicht nur das Schönste, sondern auch das mit der besten Akustik sei! Viele Komponisten haben hier gewirkt, u.a. Cimarosa, Scarlatti, Donizetti und Verdi. Das Teatro di San Carlo in Neapel ist das älteste Opernhaus der Welt und wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Da ich
gesehen habe, dass Alessandro De Marchi, ein Dirigent, der bei uns in Hamburg
u.a. das »Weihnachtsoratorium« und die Ballett-Oper »Orphée et Eurydice«
dirigiert hat, im Teatro San Carlo Rossinis Oper »Ermione« probt, hatten wir
nachmittags die Gelegenheit in die Probe zu gehen. So trafen wir auch auf
unsere Eurydice aus Baden-Baden Arianna Venditelli – die Welt ist klein!
Am
Abend genießen wir in San Carlo den von dem Ballett wunderbar getanzten »Sommernachtstraum«
in der Choreografie von Paul Chalmer. Wir sitzen sehr fürstlich in der Royal
Box und da entdecke ich einen ehemaligen Schüler aus unserer Ballettschule:
Nicola del Freo, der an diesem Abend als Gast den Oberon tanzte!
Ein
Ausflug nach Caserta und dem Museum Capodimonete mit einer herrlichen
Kunstsammlung sowie am letzten Tag eine Besichtigung des Herculaneum
komplettierten eine unglaublich schöne Reise. Bereits auf dem Weg zum Flughafen
sind wir dem Vesuv sehr nahegekommen und haben erfahren, dass die Gegend rund
um den Ercolano früher eine sehr begehrte Wohngegend war. Der europäische
Hochadel hatte sich hier in vielen Villen angesiedelt, zugleich war diese Gegend
auch ein Weinanbaugebiet. Der bis zu 3000 Meter hohe Vesuv war früher
einkegelig und ist 79 nach Christus ausgebrochen. Er hat das schlimme Erdbeben
1980 erlebt.
Die
beeindruckende Ausgrabungsstätte Herculaneum beherbergt das erste griechische
Theater, welches gegen Ende des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt worden ist. Wir
sehen wunderschöne Mosaiken, Atriumhäuser und Badetempel, Kantinen… es gab
sogar einen Weinhandel und Graffiti!
Wir sind unserer exzellenten Reiseführerin Esther nicht nur für ihre Restaurant-Tipps, sondern auch für die Organisation sehr dankbar. Danken müssen wir auch unserem Reiseleiter Richard Eckstein für seine Ideen und die perfekte Reiseplanung. Das Wetter war unbeschreiblich schön und so verlängerten wir den Sommer um ganze 5 Tage!
Leider sind wir am Abend am Frankfurter Flughafen
hängengeblieben, doch die tollen Mitreisenden haben es mit viel Humor genommen,
auch dass wir erst am nächsten Morgen in Hamburg angekommen sind.
Bella Italia! Ulrike Schmidt, Betriebsdirektorin des Hamburg Ballett und Stellvertreterin des Ballettintendanten John Neumeier, begleitet derzeit zusammen mit Reiseleiter Richard Eckstein eine von Studiosus veranstaltete Kulturreise für Abonnenten und Freunde der Hamburgischen Staatsoper. Für unseren Blog schickt sie sonnige Grüße aus dem schönen Italien und gewährt Einblicke in das spannende Reiseprogramm.
Tag 1: Buongiorno Napoli! Vom regnerischen Hamburg über das gräuliche München bis hin ins sonnige Neapel – das war unsere Reiseroute. In München ist auch unser Reiseleiter Richard Eckstein dazugestoßen. Im Flugzeug wurde unsere Gruppe sogar aufs Herzlichste begrüßt.
Nach dem Flug freuten wir uns alle auf das erste Programm-Highlight: Eine Stadtrundfahrt mit unserer lokalen Reiseführerin Esther Kohl. Neapel ist die »ungrünste« Stadt in Europa, es gibt sehr viele enge Gassen, durch die wir gehen. Die Stadt selbst ist in starkem Umbruch. Im 8. Jahrhundert vor Christus von den Griechen gegründet – sie landeten zunächst auf Ischia – hat die Stadt Neapel eine bewegende Geschichte hinter sich. Die erste staatliche Universität wurde durch Federico Secondo gegründet. Er schuf auch den imposanten, dem Vesuv gegenüberliegenden Königspalast! Genau dort bringt uns unser Busfahrer Luigi hin und wir genießen unseren ersten Cappuccino im traditionellen Café Gambrinus an der Piazza gegenüber dem berühmten Teatro San Carlo.
Bei der anschließenden Besichtigung des Archäologischen Nationalmuseums entdecken wir viele Schätze und staunen über Mosaike, die wir alle so noch nie gesehen haben – mit den kleinsten Steinen sind unfassbare Kunstwerke kreiert worden. Wir werfen auch einen Blick auf das »cabinetto secreto«, ein Geheimes Kabinett mit Fundstücken aus der römischen Antike, die allesamt erotische Motive darstellen. Wir wissen jetzt auch, wie man in Neapel den sogenannten »bösen Blick« abwendet: Viele Neapolitaner schützen sich vor ihm mit einem roten Hörnchen, dem »corno«. Dieser hängt meist über Haustüren, so kann der böse Blick nicht ins eigene Haus eindringen.
Nach
dieser spannenden und sehr wissensreichen Führung durch das Nationalmuseum
beziehen wir unser schönes und modernes Hotel im alten Palazzo. Den Tag lassen
wir mit einem gemeinsamen neapolitanischen Abendessen im Hotel ausklingen.
Tag 2: Buongiorno Capri, bella Italia! Nach einem fantastischen Frühstück geht es für uns auf die Fähre, die uns in einer Dreiviertelstunde nach Capri fährt! Im Hafen von Capri steigen wir für eine Inselumfahrung auf ein kleineres Boot um. Die Sonne strahlt und wir erleben spektakuläre Blicke auf die Insel und in die Grotten. Dann erkundigen wir die Orte Annacapri und Capri.
In der Spätantike war Capri das Zentrum der Welt, danach verfiel es. Erst mit der Entdeckung der blauen Grotte erwachte die Insel wieder zum Leben! Mit dem Besuch der Villa von Axel Munthe, einem schwedischen Arzt, Autor und Bariton, tauchen wir ein ins mondäne Inselleben. Er hat einen Bestseller über die Villa San Michele geschrieben, die Ende des 18. Jahrhunderts gebaut wurde. Heute ist die Villa im Besitz des schwedischen Staates. Wir sind beeindruckt von den Ausblicken und dem prächtigen Garten inklusive Kapelle. Während eines Mittagessens kann ich den anderen die freudige Nachricht aus Hamburg verkünden: Kevin Haigen, der Künstlerische Leiter des Bundesjugendballett, erhält den Theaterpreis Hamburg Rolf Mares in der Kategorie herausragende Inszenierung. Sein Tanztheater »Bundesjugendballett trifft Shakespeare« überzeugte die Jury – die Mitreisenden gratulieren ihm alle herzlich!
Trotz
der vielen Touristen lohnt sich ein Bummel durch die Gassen Capris; wir haben
Mitbringsel eingekauft und den besten Limoncello getrunken. Leider müssen wir
am Ende des Tages Capri wieder verlassen, aber ich bin mir sicher, dass wir
bald wiederkommen werden…
… Und das werden wir, dieses Mal mit der gesamten Compagnie des Hamburg Ballett! Es geht zwar nicht nach Capri, stattdessen aber ins schöne Venedig: Im Februar 2020 gastieren wir im Teatro La Fenice und werden John Neumeiers Ballett »Duse« zeigen. Darauf freuen wir uns schon sehr!
Wenn Menschen in der Caspar-Voght-Straße in Hamburg-Hamm Schlange stehen, kann das nur eins bedeuten: Es ist Theaternacht und das Ballettzentrum öffnet seine Türen. Über 1000 neugierige Besucher schwärmen am 8. September durch den Fritz Schumacher-Bau, um sich Proben des Hamburg Ballett und Trainings der Ballettschule anzusehen. Die 18-jährige Abiturientin Franziska Vollstedt ist eine von ihnen und berichtet von ihren Eindrücken auf unserem Blog.
»Dieser Abend wird etwas ganz Besonderes, denn heute zeigen wir Ihnen Dinge, die wir noch nicht können.«
Ein Versprechen, das John Neumeier nach der Eröffnung der Theaternacht im
Ballettzentrum Hamburg nur zum Teil halten kann. Denn eines erkennen alle
Zuschauer. Sowohl das kleine, aufgeregte Mädchen im Ballettkostüm neben mir,
das von einer eigenen Karriere als Ballerina träumt, als auch der Junge in der
ersten Reihe, der zugeben muss, dass Jungs überraschenderweise doch tanzen
können, oder die ältere Dame, die feststellt, dass sie sich in dieser
Theaternacht wohl nicht mehr losreißen kann und keinen anderen Vorführungsort
aufsuchen wird: Wenn das Publikum heute Nacht etwas nicht geboten bekommt, dann
sind es Tänzer, die etwas nicht können.
Doch dass wir Teil haben dürfen an etwas ganz Besonderem, das wird von der
ersten Sekunde an klar, in der die Tänzer nach und nach in ihren weiten Hosen
und Moonboots-artigen Schuhen in den großen Ballettsaal geschlurft kommen.
Wobei – schlurfen –, das würde vermutlich jeder andere von uns. Aber bei ihnen
wird schon bei der kleinsten Bewegung deutlich: Das sind wahre Tänzer! Selbst
dann, wenn nicht getanzt wird, haben sie eine Ausstrahlung, die den meisten der
zunächst schüchtern und unglaublich jung wirkenden Tänzerinnen und Tänzern
vielleicht gar nicht bewusst zu sein scheint. Wenn sie tanzen, dann ziehen sie
in ihren Bann.
Als Besucher der Theaternacht bekommen wir die einmalige Gelegenheit, ganz
nah dabei zu sein und aus nur wenigen Metern Entfernung zu bestaunen, wie jede
kleine Bewegung, jedes Abrollen des Fußes und jede Regung im Gesicht Bedeutung
bekommt. Wir dürfen Zeugen werden bei etwas, was die wenigsten im Leben
schaffen: Jeder Sekunde die Wichtigkeit zuzumessen, die sie verdient.
Es ist beeindruckend, mit welcher Ausdauer die Tänzerin Emilie Mazon bei dem
»Mistake Waltz« aus »Chopin Dances« nach John Neumeiers Anweisungen unzählige
Male die bereits perfekt wirkende Endpose wiederholt und minimal verändert –
soeben konnten wir Zeugen werden, wie aus einer schon sehr guten Bewegung
absolute Perfektion geworden ist.
Es herrscht eine hochkonzentrierte Arbeitsatmosphäre, in der jeder einzelne
so vertieft dabei ist, als gäbe es in diesem Moment nichts Wichtigeres, keine
Sorgen, keinen Druck und vor allem: keine Konkurrenz. Im Gegenteil, der enge
Zusammenhalt der Tänzer untereinander, egal ob bei der gegenseitigen Hilfe beim
Erlernen der Choreografie, einer freundschaftlichen Umarmung oder dem gemeinsamen
Lachen, wenn etwas mal nicht perfekt funktioniert, ist bemerkenswert. Nie wirkt
jemand genervt oder scheint dem anderen die Schuld an einer missglückten
Bewegung zu geben.
Besonders deutlich wird dies, als die Tänzerinnen in einer Probe von »Chopin
Dances« von ihren Partnern scheinbar unkontrolliert wie gliederlose Puppen über
die Bühne getragen werden, und man sich fragt, wie es hierbei noch nicht zu
einem Zusammenstoß oder dem einen oder anderen ausgerenkten Bein hat kommen
können.
Sie können es sich leisten, das Lachen mit- und übereinander, denn wenn es
wirklich darauf ankommt, dann liefern sie ab: Ob bei dem Ballett »Bernstein
Dances«, in dem die Männer unglaublich hohe Sprünge mit diversen Drehungen
ausführen, der mehr als komplizierten flugzeugartigen Bewegung (»You have to
imagine to be an airplane, with wings out of steel!«), oder dem dargebotenen
Auszug aus dem Ballett »Anna Karenina«, bei dem wir Zuschauer für eine Stunde
eine ganz andere Welt betreten.
Hier entführen die beiden Ersten Solisten Anna Laudere und Edvin Revazov uns
mit einer solchen Intensität in die Welt der Protagonistin und ihres Geliebten,
dass man kurz vergisst, dass dies keinesfalls die Realität darstellt. In einem
Moment so kurz wie ein Wimpernschlag schaffen es die beiden Tänzer, einen
soeben noch romantisch spielerischen Augenblick in einen zutiefst bedrückenden,
zum Zerreißen gespannten Moment zu verwandeln.
Nur widerwillig will man wieder auftauchen aus diesem magischen
Paralleluniversum. Aber wir müssen, denn wie John Neumeier immer wieder betont:
»Dies ist keine Aufführung im Theater, sondern eine Arbeitsprobe«. Doch
manchmal müssen selbst die anspruchsvollen Lehrer den Tatsachen ins Auge
blicken und, wie die Ballettmeisterin Leslie McBeth während der »Anna
Karenina«-Probe, einsehen: »I know it´s my job, but I can´t find a problem
here«.
Und zu dieser Erkenntnis fällt selbst John Neumeier nichts mehr ein, außer den Abend mit den Worten zu schließen: »Ich glaube, dass das ein ganz tolles Ende für diese besondere Nacht war«. Und hier kann ihm jeder Einzelne im Publikum nur aus vollem Herzen zustimmen!
Erschöpft, aber glücklich am Ende einer langen Nacht: unsere Bloggerin Franziska
Es summt und brummt im Ballettzentrum. Seit einigen Tagen wohnt ein
Bienenvolk auf dem Dach des Fritz Schumacher-Baus in Hamburg-Hamm. Wir haben den
Hobby-Imker Björn Schumann bei der Aufstellung des ersten Bienenkastens
begleitet.
Dienstagmorgen, 8.30 Uhr. Nach zwei Vorbesuchen des Imkers und dem Aufbau
des Podests auf dem Dach ist es heute endlich soweit: Die Bienen kommen! Wir
treffen Björn Schumann mit seinen Bienen im Foyer des Ballettzentrums – noch
ist der Kasten gut verschlossen, aber gleich sollen die Bienen ihre neue
Umgebung erkunden können. Dafür geht es mit dem Aufzug in den dritten Stock,
dann noch zwei Treppen nach oben und über eine Leiter durch die Luke auf das
Flachdach. Hier hat der Hobby-Imker hinter einem Mauervorsprung einen
geeigneten Platz gefunden: »Die Bienen mögen es am liebsten sonnig, aber
windgeschützt. Da das Dach etwas abschüssig ist, habe ich zuerst ein Podest
gebaut und ins Lot gebracht – denn die Bienen mögen es gerade. Wenn der Kasten
nicht gerade ausgerichtet ist, bauen sie auch ihre Waben schief«, erklärt Björn
Schumann. Ca. 20 000 Bienen der Gattung »Carnica« leben in dem Bienenkasten,
auch Beute genannt; in den nächsten Wochen sollen noch zwei weitere Völker dazu
kommen.
Die Idee zu diesem Projekt kam von Birgit Paulsen, Assistentin der
Ballettbetriebsdirektorin, die das Prinzip der privaten Bienenhaltung zum
ersten Mal bei einem Sommerfest auf dem Dach des Azubi-Werks in Hamburg sah, in
dem einige Schüler aus der Ballettschule des Hamburg Ballett untergebracht
sind. Über das Azubi-Werk wurde der Kontakt zu Björn Schumann hergestellt, der
die Bedingungen auf dem Dach des Ballettzentrums prüfte und sich gerne bereit
erklärte, die Aufstellung und Pflege der Bienenkästen zu übernehmen. Der
32-Jährige ist hauptberuflich Filialleiter einer Sparkasse – doch seit vier
Jahren beschäftigt er sich hobbymäßig mit der Imkerei. In seinem eigenen Garten
stehen momentan acht Bienenbeuten, in denen ungefähr 100 kg Honig lagern.
Gleich können die ersten Bienen die neue Umgebung erkunden
Auch unsere Ballett-Bienen werden schon bald den ersten Honig produzieren.
Ab einer Größe von 20.000 Bienen erwirtschaftet ein Volk mehr Honig, als es
verbraucht, erklärt Björn Schumann. In diesem Jahr können wahrscheinlich schon
drei bis vier Kilogramm geerntet werden. Im nächsten Jahr, wenn alle drei
Völker arbeiten, wird es deutlich mehr sein. Um Pollen und Nektar zu finden,
können Bienen einen bis zu 5 km großen Radius absuchen – vorausgesetzt, dass
sie in der direkten Umgebung kein Futter finden. Soweit werden unsere Bienen
aber nicht fliegen müssen: »Da in der Umgebung des Ballettzentrums viel blüht,
werden die Bienen keine Probleme mit der Nahrungssuche haben. Als erstes werden
sie wahrscheinlich die Lindenbäume gegenüber entdecken, die zu dieser Zeit noch
in voller Blüte stehen«, erklärt der Imker. »Und wenn sich die Bienen erstmal
auf die Linden eingeflogen haben, werden sie nicht nach anderen Quellen suchen,
bis die Linden verblüht sind. Das nennt man ›blütentreu‹. Selbst wenn wir ihnen
direkt neben ihren Kasten eine Pflanze stellen würden, die Nektar hat, würden
sie diese ignorieren, so lange der Lindenbaum noch trägt.«
Unser Ballett-Honig entsteht also tatsächlich aus Pflanzen in der nahen
Umgebung des Ballettzentrums; der erste Honig wird sehr wahrscheinlich
Lindenhonig sein. Erst im nächsten Jahr, wenn die Bienen nach der Winterpause
wieder losfliegen, werden sie sich eine neue Nahrungsquelle suchen. Der
hauseigene Garten des Ballettzentrums oder der nahe gelegene Hammer Park
liefert den Bienen eine große Auswahl. Gerade deshalb bietet sich die Haltung
von Bienen in der Stadt an, erläutert Björn Schumann: «Sie fühlen sich in der
Stadt eigentlich viel wohler als auf dem Land. Dort herrscht meist Monokultur –
wenn die Nahrungsquelle z.B. das Rapsfeld verblüht ist, wird es für die Bienen
schwer, etwas anderes zu finden. Dazu kommt, dass die Wälder von den Förstern
zu stark ›aufgeräumt‹ werden und die Bienen fast keine natürlichen Behausungen
wie umgefallene Bäume finden können. In der Stadt blüht immer etwas – sei es
auf Balkons, in Kleingärten oder in Parks. Und die Bienen finden außerdem
ausreichend Wasser.« Denn gerade wenn es draußen warm ist, brauchen Bienen viel
Wasser, um den Bienenstock zu kühlen.
Nachdem die Bienen auf dem Podest platziert wurden, öffnet Björn Schumann
das kleine Flugloch an der unteren Seite des Kastens. »Wenn ich den Kasten
jetzt komplett öffnen würde, flöge wahrscheinlich die Hälfte des Volkes hinaus
und würde umherschwirren, da sie noch orientierungslos sind. Das würde zu viel
Chaos verbreiten. Wir lassen es seinen natürlichen Gang gehen, indem ich nur
das kleine Flugloch öffne.« So können die ersten Bienen den Stock verlassen und
die nähere Umgebung erkunden. Sie fliegen dabei im Kreis, fast spiralförmig auf
und ab und bleiben in der Nähe des Bienenkastens. Für uns interessieren sich
die Bienen nicht besonders – sie sind viel zu beschäftigt mit der Orientierung,
erklärt der Imker. Diese Erkundungsflüge können bis zu zwei Tage andauern. Wenn
sich die Bienen orientiert und die Lindenbäume entdeckt haben, werden sie nur
noch die Strecke zwischen Bienenstock und Baum zurücklegen, ihre Flugbahnen
sind fest einprogrammiert. Deswegen darf der Kasten nach dieser Phase nicht
mehr umgestellt werden – die Bienen würden ihn sonst nicht mehr finden. Ein
Viertel bis ein Drittel des Volkes ist dann mit dem Eintragen von Nektar
beschäftigt.
Wie konnte Björn Schumann überhaupt sichergehen, dass er das ganze Volk im
Kasten für den Transport eingeschlossen hat? »Gestern Abend habe ich das
Flugloch geschlossen. Wenn es dunkel wird, verlassen die Bienen den Stock nicht
mehr. Deswegen kann man ziemlich sicher sein, niemanden vom Volk getrennt zu
haben. Und falls doch noch die eine oder andere Biene unterwegs war, findet sie
Unterschlupf in einem der anderen Stöcke in meinem Garten. Die Bienen bringen
Pollen oder Nektar als Gastgeschenk mit, um die Erlaubnis zu bekommen, sich dem
neuen Volk anschließen zu können. Denn die Wächterbienen erkennen am Geruch,
dass es fremde Bienen sind. Bei einem guten Gastgeschenk gewähren sie aber
durchaus mal einer fremden Biene den Zutritt«, erklärt er schmunzelnd.
Der Kasten auf dem Dach des Ballettzentrums ist der zehnte Kasten, den Björn
Schumann privat aufgestellt hat. Die Nachfrage steigt, seit die mediale
Berichterstattung zum Insektensterben zunimmt und das Thema in den Fokus der
öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt ist. Aufwendig ist die Betreuung nicht,
sagt er. Aber man muss sich zunächst viel Wissen aneignen. Mehrere
Fortbildungen hat er besucht, viele Bücher gelesen und Videos geschaut:
»Mindestens drei Jahre braucht man, um wirklich gut vorbereitet zu sein.«
Im Garten des Ballettzentrums werden die Bienen viele Blüten finden
Wie geht es nun weiter mit unseren Bienen? »Am Anfang komme ich einmal in
der Woche, um nach dem Rechten zu sehen. Ich überprüfe, ob genügend Futter
vorhanden ist und die Bienen ausreichend freie Rähmchen für den Wabenbau haben.
Ende September werden die Bienen für den Winter vorbereitet, sie werden gegen
eine spezielle Milbenart behandelt und ihre Futtervorräte werden überprüft –
ca. 20 Kilo Honig brauchen sie, dann können sie ohne Betreuung bis zum Frühjahr
überwintern.« Kritischer kann es im Frühjahr werden, wenn es plötzliche
Kälteeinbrüche oder starken Regen gibt, sagt Björn Schumann: »Kälte oder Regen
mögen die Bienen nicht. Wenn sie schon Brut angelegt haben und deswegen viel
Futter verbrauchen, aber nicht ausfliegen können, muss man mit Zuckerwasser
nachhelfen. Damit die Brut überlebt, muss das Innere des Bienenstocks nämlich
auf fast 40°C erwärmt werden. Die Wärme erzeugen die Bienen selbst. Wenn die
Außentemperaturen plötzlich fallen, brauchen die Bienen viel ›Treibstoff‹, um
diesen Temperaturunterschied auszugleichen.«
Bald werden die nächsten zwei Bienenkästen aufgestellt – nach dem Winter beherbergt das Ballettzentrum auf seinem Dach dann drei Bienenvölker, die fleißig Honig eintragen werden. Wir sind gespannt und freuen uns darauf, den ersten eigenen Balletthonig zu probieren!