Autor: Nathalia Schmidt

  • Arianna Vendittelli ist Eurydice

    Arianna Vendittelli ist Eurydice

    Heute Abend stellt sich John Neumeier mit seiner Ballett-Oper erstmals dem Publikum an der Oos als Opernregisseur vor. In Baden-Baden erleben wir noch ein weiteres großes Debüt: Die Sopranistin Arianna Vendittelli wird zum ersten Mal als Eurydice singen. Grund genug ihr meine persönlichen drei Fragen zu stellen:

    In der Produktion »Orphée et Eurydice« von John Neumeier bist du in der Rolle der Eurydice zu erleben. Wie hast du dich auf diese Rolle vorbereitet?

    Arianna Vendittelli: Ich habe diese Rolle wie gewohnt vorbereitet: Zunächst lerne ich sie technisch. Dann versuche ich mich in den Charakter hineinzuversetzen, indem ich die tiefere Bedeutung des Textes studiere. Ich möchte die kompositorischen Entscheidungen des Komponisten verstehen und umsetzen.

    Die Rolle der Eurydice ist eine Herausforderung für jeden Interpreten. »Orphée et Eurydice« ist ein Liebesdrama, doch Eurydice selbst lebt nicht. Ich muss also dem Publikum den Schmerz ihres Verlustes vermitteln, aber ohne eine wirkliche Lebenskraft.

    Arianna Vendittelli als Eurydice mit Dmitry Korchak als Orphée bei einer Probe © Kiran West
    Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit John Neumeier und seinem Team? Wie ist der Probenprozess mit einem Regisseur, der eigentlich ein Choreograf ist?

    Für mich war es eine wundervolle Erfahrung. Oft überinterpretieren wir Sänger die Charaktere, beispielsweise mit automatischen Gesten. Die Choreografie hingegen, obwohl sie keine Improvisation zulässt, befreit den Charakter auf eine magische Art und Weise. Von John Neumeier zu lernen, wie ich so auf der Bühne agieren kann, ist ein großartiges Geschenk.

    Du hast schon früh mit dem Singen angefangen, oder? Hast du schon einmal in Baden-Baden gesungen oder ist es das erste Mal hier für dich?

    Ja, ich wollte schon immer Opernsängerin werden. Mit 19 Jahren begann ich dann Gesang zu studieren. Innerhalb von nur vier Jahren gab ich mein Debüt bei den Salzburger Festspielen. Ich liebe es einfach zu singen. In Baden-Baden war ich bisher noch nicht. Es ist ein unglaublicher Ort. Das Theater hier ist riesig und hat eine sehr gute Akustik. Die Leute, die hier arbeiten, sind nett, haben immer ein Lächeln auf dem Gesicht und sind sehr professionell!  

    Vielen Dank, liebe Arianna, für das Interview und Toi Toi Toi!

    Nathalia Schmidt

  • Marc Bouchkov spielt Bernsteins Serenade

    Marc Bouchkov spielt Bernsteins Serenade

    John Neumeiers »Bernstein Dances« sind zurück im Repertoire. Ein besonderes Highlight ist, dass Marc Bouchkov den Part der Solovioline übernehmen wird. Erst kürzlich gewann er den 2. Preis und die Silbermedaille beim renommierten Tschaikowsky Wettbewerb in Moskau. Für den Blog hat er meine persönlichen drei Fragen beantwortet: 

    Leonard Bernstein wäre 2018 100 Jahre alt geworden. Was macht aus deiner Sicht Bernsteins Musik so besonders?

    Marc Bouchkov: Mich hat schon immer sehr beeindruckt, wie Bernstein dirigiert. Man sieht nicht häufig einen Komponisten, der viele seiner Werke selbst dirigiert. Wenn man dies hört und sieht, versteht man sehr viel von seinem Charakter und dem Spaß, den er dabei hatte. Ich denke, dass lässt sich auch auf das Komponieren übertragen. Bernstein hatte auch daran viel Spaß. Seine Musik ist immer auch ein Fest, es gibt so viele Sachen, die passieren; rhythmisch, harmonisch und melodisch. Meiner Meinung nach hat er einen perfekten klassischen Musikstil gefunden; Musik mit Bildern. Jedes Stück, das er komponiert hat, erzählt uns eine Geschichte. Man könnte seine Werke sofort als Film, als Musical oder auch als Tanz auf die Bühne bringen. In seiner Musik steckt aber auch viel Gefühl, wie beispielsweise in der Serenade nach Platons Symposion. Bernsteins Musik zeichnet eine Genialität aus, die man sehen, hören und verstehen kann. Als Person war er eher extravagant und sehr offen, für Viele war er ein Vorbild, auch für uns Musiker. Ich habe sehr viel Respekt vor ihm!

    Solisten des Hamburg Ballett in »Bernstein Dances« © Kiran West

    Leonard Bernstein bezeichnete einst seine Serenade für Violine, Streichorchester, Harfe und Schlaginstrumente nach Platons Symposion als sein bestes Werk. Was macht dieses Werk so besonders?

    Isaac Stern hat diese Serenade einfach genial gespielt! Bei der Uraufführung dirigierte Bernstein selbst, zwei Genies zusammen auf einer Bühne, das muss unglaublich gewesen sein. Die Serenade ist das Resultat von Bernsteins besten Qualitäten. Eine unglaublich melodische Linie, dazu sehr viel Rhythmus und Energie, das Stück ist sehr tänzerisch. Die Harmonien erkennt man sofort wieder; wenn man sie hört, weiß man, das ist Bernstein! Manchmal höre ich eine Inspiration von Strawinsky heraus, trotzdem bleibt Bernstein seinem ganz eigenen Stil treu. Von der analytischen Seite her ist die Serenade geradezu perfekt.

    Etwas Anderes macht die Serenade auch so besonders: Es ist das Thema, das Bernstein wählte: Eine Serenade nach Platons Symposion, das ist meiner Meinung nach ein Statement. Alle wissen, dass Bernstein ein unglaubliches Herz hatte. Liebe ist für ihn alles. In der Serenade präsentiert er ganz unterschiedliche Facetten von Liebe, sie kann verrückt sein, introvertiert, extrovertiert, sehr geschlossen… Ohne Liebe sind wir Menschen keine Menschen mehr. In seinem fünfsätzigen Werk hat Bernstein die bei einem Gastmahl gehaltenen erfundenen Reden zum Thema Liebe musikalisch perfekt wiedergegeben; wenn man Platons Symposion liest, dann kann man es musikalisch nur auf Bernsteins Weise spielen. Meine Verbindung zu diesem Stück ist sehr stark. 

    Wann wurde dir klar, dass die Musik zu deinem Beruf wird? Welche Rolle spielt Hamburg für deine Entwicklung?

    Eigentlich haben alle in meiner Familie Violine gespielt. Die Violine ist meine Muttersprache.

    Ich habe einige Jahre in Hamburg gelebt und mit dem NDR-Sinfonieorchester gespielt. Immer wenn ich nach Hamburg komme, fühlt es sich wie ein nach Hause kommen an. Aus Hamburg bin ich als Student weggegangen und nun komme ich als Künstler wieder zurück. Auch wenn ich weit weg wohne, ist das Gefühl für diese Stadt immer noch sehr stark. Übrigens scheint jedes Mal, wenn ich nach Hamburg komme, die Sonne – ein schöner Willkommensgruß!

    Vielen Dank für das Interview, lieber Marc und herzlich willkommen in Hamburg!

    Aufmacherbild: Marc Bouchkov (c) Nikolaj Lund

    Nathalia Schmidt

  • Ballett-Tester für »Ein Sommernachtstraum« gesucht!

    Ballett-Tester für »Ein Sommernachtstraum« gesucht!

    Die Ballett-Tester gehen in die nächste Runde: Erlebe John Neumeiers Ballettklassiker »Ein Sommernachtstraum« vor allen anderen – wir vergeben 3 Plätze für die Hauptprobe am 6. September um 17 Uhr in der Staatsoper!

    Was macht ein BallettTester?

    Wir wollen von Dir wissen, wie Du das Ballett erlebt hast: Was hat Dich an der Inszenierung beeindruckt? Wie hat Dir der Tanz gefallen? Und wie hast Du die Musik empfunden? Dein Bericht wird hier auf dem Hamburg Ballett-Blog veröffentlicht – so kannst Du Deine Eindrücke und Erlebnisse mit anderen teilen.

    Termin:

    John Neumeier »Ein Sommernachtstraum«
    Freitag, 6. September 2019, 17.00 Uhr
    Hauptprobe, Staatsoper Hamburg (Großes Haus)
    Für Tester zwischen 10 und 30 Jahren


    Wie werde ich BallettTester?

    Du bist zwischen 10 und 30 Jahre alt und hast an dem Termin Zeit? Dann melde dich ab sofort an. Schreib uns bis Montag, 2. September, eine Mail an schausdiran@staatsoper-hamburg.de mit ein paar Angaben zu Dir und sag uns, warum Du unbedingt dabei sein möchtest. Unter allen Einsendungen verlosen wir drei Plätze für die Hauptprobe.

    Wir freuen uns auf Dich!

  • Bei einer Probe von »Shakespeare – Sonette«

    Bei einer Probe von »Shakespeare – Sonette«

    Zwei Schülerinnen der Erika Klütz Schule für Tanzpädagogik besuchten in dieser Woche eine Bühnenprobe zur Premiere des Ballettabends »Shakespeare – Sonette«. Geprobt wurde der erste Teil des Abends. Für unseren Blog haben Linn und Sophie ihre Eindrücke aufgeschrieben.

    Als Schülerinnen und Schüler der Erika Klütz Schule hatten wir am 12. Juni wieder das Privileg, bei einer Probe des Hamburg Ballett in der Staatsoper zuzugucken. Diesmal sahen wir die erste Hälfte des Stückes »Shakespeare – Sonette«. Als wir abgeholt wurden, waren wir erfreut, nicht durch das Foyer zu gehen, sondern den Bühneneingang nutzen zu dürfen. Es war sehr spannend zu erleben, wie es ist, den Saal über die Bühne zu betreten. Als wir aus dem Treppenhaus auf die Hinterbühne traten, sahen wir als erstes Edvin Revazov beim Aufwärmen. Sonst sieht man Edvin Revazov als Ersten Solisten auf der Bühne tanzen, bei diesem Ballettabend hat er jedoch die Seiten gewechselt. Als Choreografen haben Edvin Revazov, Marc Jubete und Aleix Martínez zusammen an dem Ballettabend gearbeitet. Edvin hatten wir nun schon entdeckt, Marc Jubete und Aleix Martínez konnten wir vom Rang aus auch schnell finden.

    Zwei Tänzer kamen nacheinander auf die Bühne und probierten einige Tanzschritte vor einem schwarzen Vorhang aus. Ich war sehr erstaunt zu sehen, wie modern die Schritte waren. Marc Jubete begrüßte beide und klärte einige Feinheiten der Hebungen, dabei konnten wir verstehen, dass sie Englisch sprachen. Auf die Anordnung von Aleix Martínez wurde der schwarze Vorhang hochgezogen und die komplette Bühne wurde sichtbar, immer mehr Tänzer betraten die Bühne. Es gab drei große Schaukästen auf Rollen, die von jüngeren Tänzern bewegt wurden. Die richtige Position der Kästen wurde von Aleix Martínez und Edvin Revazov geklärt, dann wurde alles mit den anderen Tänzern und zu Musik probiert.

    Szene aus »Shakespeare – Sonette« © Kiran West

    Während der gesamten Zeit fiel mir auf, dass einige Tänzer barfuß waren oder in Socken und einige Tänzerinnen Spitzenschuhe trugen. Als sie dann anfingen zu tanzen, war ich angenehm überrascht, dass die Choreografie tatsächlich moderner war. Ich hatte mich vorher nicht mit dem Thema der Choreografie und den Choreografen beschäftigt, um unvoreingenommen das Stück zu sehen, und wurde deshalb davon überrascht, kein klassisches Ballett zu sehen, trotz der verwendeten Spitzenschuhe. Die Probe begann nun richtig und alles wurde auf Anweisung von Aleix Martínez auf Anfang gestellt. Die Choreografie packte mich sofort und ich wurde richtig aus dem Stück gerissen, als die Probe zum ersten Mal unterbrochen wurde.

    Das Geschehen auf der Bühne ist kaum zu beschreiben, weil man einfach so viel sehen konnte und es sehr viele Tänzer waren. Im Nachhinein konnte man klar erkennen, welche Abschnitte der Choreografie von welchem Choreografen waren. Doch während man geguckt hat, ging alles so ineinander über, dass es ein rundes Bild ergab. An einigen Stellen wurden Ausschnitte aus den Shakespeare-Sonetten vorgelesen, das hat mich zusammen mit dem Tanz und der Musik sehr berührt. Ich möchte gar nicht so viel von dem Geschehen auf der Bühne erzählen, ich kann nur sagen, dass ich begeistert bin von der Choreografie und der Musikauswahl und mich sehr auf die Aufführung freue, um dann alles komplett und mit Kostüm und Licht zu sehen.

    Bericht von Linn, Schülerin der 1. Ausbildungsklasse der Erika Klütz Schule, staatlich anerkannte Berufsfachschule für Tanzpädagogik.

    Momentaufnahme aus »Shakespeare – Sonette« © Kiran West

    Als meine Mitschülerin und ich am Mittwoch durch den Bühneneingang der Hamburgischen Staatsoper zur Bühne geführt wurden, war ich total fasziniert, den Tänzern des Hamburg Ballett so nah zu sein. Wir haben dort bekannten Gesichtern, wie zum Beispiel einem der drei Choreografen, Edvin Revazov, beim Aufwärmen zugeschaut. Man konnte auch schon einen Teil des Bühnenbildes sehen. Wir setzten uns in den 1. Rang, um das Treiben auf der Bühne zu beobachten.

    Von dort oben konnte man nur einen Teil der Bühne erkennen, da der hintere Teil durch einen schwarzen Vorhang getrennt wurde. Davor übten zwei Tänzer ihr Pas de deux, nach einiger Zeit kam der Choreograf Marc Jubete dazu und gab ihnen noch schnell ein paar Anweisungen auf Englisch. Als sie nach ein paar Minuten fertig waren, wurde der schwarze Vorhang hochgezogen und zum Vorschein kam das gesamte Bühnenbild, welches wir zuvor schon in Teilen gesehen hatten. Es kamen immer mehr Bühnenarbeiter und Tänzer auf die Bühne, unter anderem auch Schüler der Ballettschule des Hamburg Ballett John Neumeier.

    Es erinnerte etwas an einen Marktplatz, da jeder etwas anderes machte, sie sahen sehr beschäftigt aus. Während der Zeit versammelten sich die Choreografen auf den roten Sitzen im Zuschauerraum. Ein paar Tänzer stellten sich auf ihre Position und übten zu Musik einen sehr modern aussehenden Tanz. Als sie fertig waren, sagte Aleix Martínez über ein Mikrofon, dass es losgehen kann. Nun begann die eigentliche Probe. Es kehrte Ruhe ein und die Musik begann vom Band zu spielen.

    Szene aus »Shakespeare – Sonette« © Kiran West

    Man erkannte keinen wirklichen handlungstechnischen Zusammenhang zwischen den Stücken der drei Choreografen, trotzdem passten ihre Kreationen sehr gut zusammen, auch wenn die Stile der drei Künstler durchaus unterschiedlich waren. Man erkannte das zum Beispiel an der Musik, welche mal melancholisch, mal traurig oder auch mal etwas lockerer war. Auf jeden Fall treffen dort verschiedene Zeitalter der Musikgeschichte aufeinander.

    Einige Tänzer trugen bereits ihre Kostüme. Besonders die Schuhauswahl ist außergewöhnlich, zum Teil wurde auf Socken oder barfuß getanzt. Es gab Schuhe, die ein hohes Plateau hatten, das farblich an Knochen erinnerte, auf denen die Tänzer standen. Andere Tänzerinnen hatten Absatzschuhe an, vier Tänzerinnen trugen aber auch ganz klassische Spitzenschuhe. Jeder der drei Choreografen hatte seine eigenen kreativen Ideen. Etwas, dass ich auch interessant fand, war, dass ein paar Tänzerinnen und Tänzer in Tüchern getanzt haben, in denen man ihre Gesichter nicht sehen konnte. Dadurch haben ihre Bewegungen noch einmal komplett anders ausgesehen und sie waren gezwungen, mit ihren Bewegungen die Mimik zu ersetzen. Es wurde generell sehr viel mit zum Tanz passenden Masken gearbeitet, um die Gesichter der Tänzer zu verhüllen.

    Momentaufnahme aus den Proben © Kiran West

    Die Tänze der Choreografen sind besonders interessant, sie wurden von den Tänzerinnen und Tänzern schon in der Probe wunderschön umgesetzt. Immer zur Musik passend war es ein Wechsel zwischen schnellen, fließenden und stockenden Bewegungen. Auf der Bühne wusste man gar nicht, wo man als nächstes hinschauen sollte, weil überall etwas Interessantes geschah. Alle Anwesenden arbeiteten sehr professionell und konzentriert. Wenn einer der Choreografen etwas über das Mikrofon sagte, wurde dies sofort umgesetzt.

    Obwohl ich nur eine Probe des Hamburg Ballett gesehen habe, war ich trotzdem begeistert von den Kreationen der Choreografen. Es war auf jeden Fall sehr interessant, eine Bühnenprobe von »Shakespeare – Sonette« mitzubekommen, und ich bin sehr gespannt, wie die Darbietung am Ende in ihrer Gesamtheit wirken wird.

    Bericht von Sophie, Schülerin der 1. Ausbildungsklasse der Erika Klütz Schule, staatlich anerkannte Berufsfachschule für Tanzpädagogik.

  • Steckbrief: Aleix Martínez

    Steckbrief: Aleix Martínez

    Die »Shakespeare – Sonette« eröffnen am 16. Juni 2019 die 45. Hamburger Ballett-Tage. Anders als in den vergangenen Jahren präsentiert John Neumeier nicht selbst eine Uraufführung, sondern überlässt den Auftakt der Ballett-Tage drei Choreografen aus seiner Compagnie: Marc Jubete, Aleix Martínez und Edvin Revazov. Im »Steckbrief« stellen sich die drei Choreografen vor, den Anfang macht Aleix Martínez.

    Name: Aleix Martínez
    Geburtsdatum und -ort: 17.5.92 in Barcelona
    Engagement: Hamburg Ballett seit 2010, Solist seit 2014

    Meine Anfänge als Choreograf:
    Schon an der Ballettschule des Hamburg Ballett habe ich erste Choreografien geschaffen. Meine erste Kreation aus der Reihe des Hamburg Ballett war 2011 für das Projekt »Junge Choreografen«. Ich schuf »Ne Nehledej«, das im Schauspielhaus Premiere feierte. So fing alles an…  

    Das Ensemble in »Shakespeare – Sonette« © Kiran West

    Mein choreografischer Stil:
    Es ist schwer meinen choreografischen Stil in wenigen Worten zu beschreiben. Für mich geht es in erster Linie um Ehrlichkeit, um Aufrichtigkeit. Es geht mir nicht darum, dass die Bewegungen »schön« aussehen. Mich interessiert vielmehr, was der Ursprung einer Bewegung ist, woher sie kommt.

    Silvia Azzoni in »Shakespeare – Sonette« © Kiran West

    Meine Kreation: 
    Die Inspiration sind die Sonette von Shakespeare, ihre Poesie. Ich übertrage diese in die heutige Zeit. Mich interessiert zum Beispiel die Frage: »Was ist Schönheit?«. In Shakespeares Sonetten werden Auswüchse der Kosmetikindustrie und deren Anwendung angeprangert. Es geht um die »lasterhafte« Zeit, in der man sich künstlich schön macht, es geht um das Schminken und um das Tragen von Perücken, das als »unnatürlich« dargestellt wird. Das passt genau zu unserer Zeit, in der sich alles um den äußeren Schein dreht. In den sozialen Medien wirkt alles zu perfekt.

    Ich blicke auch kritisch auf bestimmte Themen wie zum Beispiel Materialismus. Kunststoffe oder auch Plastik sind aus unserer heutigen Welt nicht mehr wegzudenken. Um dies visuell zu veranschaulichen, nutze ich zum Beispiel Kostüme, die rein aus Plastik hergestellt wurden…
    Eine weitere Inspirationsquelle ist für mich der Surrealismus. Auch in »Shakespeare – Sonette« nutze ich Elemente aus dieser Kunstbewegung. Ich nehme mir das nicht vor, das passiert eher unbewusst. Als ein Fernsehteam eine meiner Proben besuchte, erkannte die Journalistin diesen Bezug. Meine Erzählweise erinnere sie zeitweise an Luis Buñuel, das hat mich sehr gefreut!

    Aleix Martínez bei der Kreation von »Shakespeare – Sonette« © Kiran West

    Dies oder Das …

    Komödie oder Tragödie?
    Beides. In meiner neuen Kreation zum Beispiel nutze ich auch komische, heitere Elemente, die aber immer wieder von Tragik durchbrochen werden. 

    Lesen oder Schreiben?
    Beides. Ich lese sehr gerne. Auch viel über die Zeit des Surrealismus. Auf der anderen Seite habe ich immer ein Notizbuch dabei und schreibe Gedanken und Inspirationen hinein.

    Handeln oder Reagieren?
    Beides. Das hängt stark von der Situation ab.

    Zuhören oder Sprechen?
    Zuhören.

    Sitzen oder Stehen?
    Stehen. Ich bin ein sehr aktiver Mensch.

    Sommer oder Winter?
    Frühling!

    Berge oder Strand?
    Strand.

    Familie oder Freunde?
    Familie. Für mich sind meine engen Freunde auch ein Teil der Familie.

    Tee oder Kaffee?
    Kaffee.

    Alster oder Elbe?
    Die Elbe atmet weite Welt.

    Nathalia Schmidt

  • Anna Laudere zu Anna Karenina

    Anna Laudere zu Anna Karenina

    Im Mai 2019 haben wir ein »Anna Karenina«-Festival in Hamburg gefeiert. Zum ersten Mal seit der Uraufführung im Juli 2017 hat unser Hamburg-Publikum die Gelegenheit gehabt, John Neumeiers jüngstes Handlungsballett in gleich vier verschiedenen Besetzungen zu erleben! Neben der ursprünglichen Hamburg-Besetzung mit Anna Laudere und Edvin Revazov als Anna Karenina und Alexej Wronski gab es ein Debüt von Xue Lin und Jacopo Bellussi und auch Svetlana Lunkina und Harrison James vom National Ballet of Canada sowie Olga Smirnova und Artem Ovcharenko vom Ballett des Bolschoi-Theaters waren als Besetzungen der Koproduktionspartner zu Gast in Hamburg.
    Am 19. Juni steht »Anna Karenina« noch einmal während der 45. Hamburger Ballett-Tage auf dem Programm. Wir haben mit Anna Laudere gesprochen, die die Rolle Anna Karenina für die Uraufführung mit John Neumeier kreiert hat. Im dritten Teil der Reihe »3 Fragen an Anna Karenina« erzählt sie uns, wie sie die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Besetzungen während des »Anna Karenina«-Festivals erlebt hat und wie es war, als sie im Mai das Ballett zum allerersten Mal aus dem Zuschauerraum gesehen hat.

    Anna, du hast die Rolle Anna Karenina zusammen mit John Neumeier für sein Ballett kreiert. Du bist quasi Anna Karenina! Wie hast du dich gefühlt, als du das Ballett zum ersten Mal aus der Perspektive des Publikums gesehen hast?

    Anna Laudere: Zuallererst möchte ich gerne John Neumeier Danke sagen, für das Vertrauen, das er mir entgegengebracht hat, indem er mich für diese Kreation, für die Rolle Anna Karenina ausgewählt hat. Denn ein Jahr lang habe ich wirklich einen Traum gelebt! Es war ein unglaublicher Prozess für mich!

    Und ich muss sagen, ich war wirklich sehr beeindruckt, als ich das Ballett zum ersten Mal gesehen habe! Ich finde, es ist wunderschön – das Licht, die Musik, einfach alles. Ich glaube, niemand hat die Geschichte besser erzählt als John. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle und obwohl das Buch ja wirklich sehr dick ist, hat John alles auf den Punkt gebracht, jeden einzelnen Charakter.
    Schon als ich das Ballett getanzt habe, war es eine Achterbahnfahrt für mich, aber als ich es aus dem Zuschauerraum gesehen habe, wurde mir bewusst, wie vielschichtig jeder Charakter ist. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Am Ende habe ich vor Rührung geweint und konnte gar nicht mehr aufhören. Ich war wirklich sehr berührt von der Performance, von den Tänzern, von dem ganzen Abend. Es war wundervoll anzusehen.

    Außerdem war es interessant, drei verschiedene Anna Kareninas zu sehen, denn jede von ihnen war unterschiedlich. Es war eine tolle Idee von John so ein Festival zu machen, damit wir und das Publikum das erleben können. Denn es ist immer spannend zu sehen, dass bei jeder Tänzerin die Arbeit mit John etwas anderes entstehen lässt – jeder hat seine eigene Art es zu zeigen. Deshalb war es für mich eine tolle Erfahrung, die drei Besetzungen zu sehen!

    Anna Laudere als Anna Karenina © Kiran West

    Xue und Jacopo sind deine Kollegen und ihr kennt euch gut. Svetlana Lunkina hast du zum ersten Mal getroffen. Xue und Svetlana haben uns schon von eurer Zusammenarbeit erzählt, aber wie hast du es erlebt, mit den verschiedenen Tänzerinnen zu arbeiten?

    Zu den Gasttänzerinnen kann ich sagen, dass sie natürlich bereits sehr gut vorbereitet waren. Sie wussten schon alles. Mit ein paar Dingen konnten Edvin und ich aber doch ein bisschen helfen – gerade bei anspruchsvolleren Teilen. Wenn man eine Rolle kreiert hat, dann weiß man genau, wie man an welcher Stelle fühlt. Aber das war wirklich nur ein kleiner Teil.

    Von Xue und Jacopo war ich total beeindruckt, denn sie mussten alles in einer Woche vorbereiten. Die Arbeit, die sie geleistet haben, war wirklich toll! Ich konnte in fast jeder Probe dabei sein und sie waren gut vorbereitet. Sie kannten ihre Schritte und die Musik und sie wurden nicht müde, es wieder und wieder zu probieren, damit es gelingt und genau so wird, wie es sein soll.

    Wir probten zunächst die anspruchsvollen Schritte und natürlich habe ich Xue alle Informationen gegeben, die mir John auch gegeben hatte, und ihr von den Partien, in denen er mich geleitet hat, erzählt. Den Rest habe ich ihr überlassen, denn ich denke, dass jeder seinen eigenen Charakter in der Rolle finden muss. Ich habe ihr manchmal erzählt, was ich darüber denke, aber ihr die Freiheit gegeben, selbst zu entscheiden. Das Ballett ist so toll gemacht, dass man beinahe die einzelnen Sätze aus dem Buch auf der Bühne sehen kann. Also habe ich sie einfach hier und da ein bisschen an die Hand genommen, aber eigentlich habe ich ihr hauptsächlich weitergegeben, was John mir gesagt hatte.

    Alle vier Hauptpaar-Besetzungen und Gäste mit John Neumeier während des
    »Anna Karenina«-Festivals © Kiran West

    In John Neumeiers »Anna Karenina« haben die Szenen teilweise sehr unterschiedlichen Settings. Auch die Musik ist vielseitig– es gibt drei Komponisten. Welche Szene ist deine Liebste im Ballett und warum?

    Ich kann nicht sagen, dass ich eine Lieblingsszene habe. Einmal angefangen durchlebe ich einfach die Geschichte. Jede Szene ist anders für mich und jedes Mal, wenn man sie tanzt, ist es wieder neu. Es gibt keinen Moment, den ich mehr oder weniger mag. Es ist einfach ein wunderbarer Trip!
    Das Besondere an dem Ballett ist für mich, dass sich jede Person darin selbst finden kann. Das ist der Grund, warum es so nah an jedem ist. Wenn man ehrlich zu sich ist, dann kann sich jeder in den Charakteren wiederfinden.

    Karen Azatyan, Anna Laudere und Edvin Revazov in »Anna Karenina« © Kiran West

    Ihr wollt mehr über Anna Laudere erfahren? Schaut euch ihren Steckbrief an!

    Lisa Zillessen

    Im ersten Teil der Serie »3 Fragen an Anna Karenina« haben wir mit unserer Solistin Xue Lin über ihr Debüt als Anna Karenina gesprochen. Im zweiten Teil der Serie »3 Fragen an Anna Karenina« hat Svetlana Lunkina vom National Ballet of Canada ihre Eindrücke zur Rolle Anna Karenina mit uns geteilt.

  • Svetlana Lunkina zu Anna Karenina

    Svetlana Lunkina zu Anna Karenina

    John Neumeiers »Anna Karenina« entstand als Koproduktion zwischen dem Hamburg Ballett, dem Ballett des Bolschoi Theaters und dem National Ballet of Canada. Die russische Startänzerin Svetlana Lunkina war die Premierenbesetzung der Anna Karenina beim National Ballet of Canada. Am 11. Mai ist sie gemeinsam mit ihren kanadischen Kollegen Harrison James als Alexej Wronski und Félix Paquet als Lewin zu Gast in der Hamburgischen Staatsoper. In einem Gespräch erzählt sie uns von ihren Eindrücken zur Rolle Anna Karenina.

    Svetlana, John Neumeier hat dir die Titelrolle seiner Ballettadaption von »Anna Karenina« für die Premiere am National Ballet of Canada im November letzten Jahres in Toronto anvertraut. Wie hast du die Zusammenarbeit mit John Neumeier erlebt?

    Svetlana Lunkina: Mit John zusammenzuarbeiten ist auf so viele Arten sehr besonders. Jedes Mal kann ich es kaum erwarten, dass er in das Studio kommt und ich mit ihm arbeiten kann. »Anna Karenina« war ja nicht die erste Zusammenarbeit mit ihm. Ich habe davor »Nijinsky« und »Endstation Sehnsucht« mit ihm gemacht. Es ist immer wieder herausfordernd, sehr interessant und emotional. Mit John erlebe ich alle Emotionen, die ich aus meinem Leben kenne, an einem Tag. Wenn man mit ihm arbeitet, dann muss man lernen, natürlich, emotional und menschlich zu sein, aber trotzdem in der Rolle zu bleiben.

    Wenn ich dann nach den Proben alleine bin, fühlt es sich so an, als wäre er immer noch bei mir. Ich denke weiter darüber nach, was er gesagt hat, über jedes Detail. Wenn ich mit John zusammenarbeite, dann gibt es nichts anderes mehr. Unterwegs auf der Straße oder zuhause im Bett denke ich: »Was haben wir heute gemacht? Was kann ich morgen besser machen? Wie kann ich wachsen? Wie kann ich mich noch besser ausdrücken?«
    Ich weiß jedes Mal, dass es nicht einfach wird. Es ist eine Herausforderung – im positivsten Sinne! Es ist wichtig, offen zu bleiben und fähig zu sein, selbst wenn man die Schritte kann, jedes Mal mehr zu wagen, Tag für Tag. Ich liebe es einfach, mit John zu arbeiten!

    Svetlana Lunkina und Harrison James tanzen Anna Karenina und Alexej Wronski am 11. Mai in Hamburg © Kiran West

    Es gibt verschiedene Film-, Theater- und choreografische Adaptionen des Romans von Leo Tolstoi. Darunter ist ein Ballett, das 1974 vom Ballett des Bolschoi-Theaters mit Maya Plisetskaya und Alexander Godunov in den Hauptrollen gezeigt wurde. Die Rolle der Anna Karenina ist sehr komplex und facettenreich – emotional und physisch. Wie bist du an diese Rolle herangegangen und worin liegt für dich die Herausforderung in der Interpretation der Figur?

    Wir haben uns natürlich die Filme, die unterschiedlichen Ballette und das Buch angesehen. Aber das Interessante an Johns Ballett ist, dass er nicht einfach das Buch in ein Ballett verwandelt hat. Leo Tolstoi war zwar seine Inspiration, aber das Ballett ist seine Interpretation, es sind Johns Gefühle.

    John konnte nicht jedes Detail über jeden Charakter in seinem Ballett ausarbeiten. Er hat immer wieder gesagt: »Ich habe keine fünf oder sechs Stunden Zeit!« Das Ballett ist sein Blick auf die Charaktere und erzählt die Geschichte sehr kompakt. Daher hat er mir klargemacht, dass ich in jeder Szene sehr anders sein muss. Weil keine Übergänge oder Entwicklungen auf der Bühne dargestellt werden, gibt es in jeder Szene eine neue Anna mit neuen Gefühlen in neuen Situationen. Das war am Anfang wirklich nicht einfach für mich, denn Anna ist fast immer auf der Bühne.

    Und weil die Bewegungen natürlich sein sollen, kann man die verschiedenen Reaktionen und Gefühle nicht einfach »spielen«, ich muss die Emotionen wirklich fühlen. Das hat seine Zeit gebraucht und diese Entwicklung hört nicht auf. Ich muss immer wieder einen neuen Weg finden, um das, was Anna erlebt, auszudrücken. Besonders wenn John dabei ist, ist es unglaublich: Seine Anwesenheit und auch eine neue Compagnie verändert alles. Ich kann manche Dinge nicht genau gleich machen wie zuvor, weil die unterschiedlichen Tänzer neue Impulse geben. Jeder ist in seinem Charakter und man reagiert aufeinander. Weil jeder Tänzer einzigartig ist, führt das zu neuen Reaktionen – auch bei mir. Ich denke mir dann: »Wow, du hast gerade total anders reagiert!«

    John sagt: »Ich will nicht das sehen, was ich gestern gesehen habe. Ich will mehr!« Man muss sich immer weiterentwickeln, jeden Tag sein Bestes geben. Selbst wenn du heute das Beste gegeben hast, sieht dein Bestes von morgen vielleicht anders aus.

    Eine Szene aus »Anna Karenina« mit Svetlana Lunkina und Harrison James als Hauptpaar © Kiran West

    John Neumeier überträgt die Geschichte der Figur Anna Karenina aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart. Worin liegt deiner Meinung nach die moderne Relevanz und Zeitlosigkeit von »Anna Karenina«?

    Jeden Moment aus »Anna Karenina« können wir in irgendeiner Form in unserem eigenen Leben finden – so geht es auf jeden Fall mir. Als ich das Ballett zum ersten Mal getanzt habe, musste ich an mein eigenes Leben denken und wie ich auf Dinge, die mir passiert sind – gut und schlecht – reagiert habe. Die Emotionen, die in der Geschichte vorkommen, kennt jeder, egal in welcher Zeit – sie sind zeitlos. Ich mag es, dass John das Ballett in unserer Zeit angelegt hat. Man muss als Tänzer nicht über historische Kostüme oder sowas nachdenken. Es ist so viel näher an einem selber dran, näher an dem eigenen Leben, am eigenen Herz, näher an dem, was man ist. Dadurch kann man die Gefühle stärker transportieren.

    Lisa Zillessen und Katerina Kordatou

    Im ersten Teil der Serie »3 Fragen an Anna Karenina« haben wir mit unserer Solistin Xue Lin über ihr Debüt als Anna Karenina gesprochen.

  • Xue Lin zu Anna Karenina

    Xue Lin zu Anna Karenina

    Seit dem 29. April und noch bis zum 11. Mai 2019 feiern wir ein regelrechtes »Anna Karenina«-Festival. Zum ersten Mal seit der Hamburg-Premiere im Juli 2017 hat unser Publikum die Gelegenheit John Neumeiers jüngstes Handlungsballett in gleich vier verschiedenen Besetzungen zu erleben! Neben der ursprünglichen Hamburg-Besetzung mit Anna Laudere und Edvin Revazov als Anna Karenina/Alexej Wronski, werden auch die Besetzungen der Koproduktionspartner aus Kanada und Russland zu Gast in der Hamburgischen Staatsoper sein.
    Sehr gelungen ist bereits das Debüt der neuen Besetzung aus unserer Compagnie: am 1. und 2. Mai tanzten unsere Solisten Xue Lin und Jacopo Bellussi das Hauptpaar und ernteten dafür gebührenden Applaus! Im ersten Teil der Reihe »3 Fragen an Anna Karenina« haben wir mit Xue Lin über ihr Debüt und die Rolle der Anna Karenina gesprochen.

    Xue, Anna Karenina ist die tragische Titelfigur in Leo Tolstois Roman und John Neumeiers Ballettadaption. Sie ist eine Figur, die in den unterschiedlichsten Medien interpretiert wurde und kulturübergreifende literarische Bedeutung hat. Wie setzt man sich als Tänzerin mit solchen Charakteren auseinander und wie hast du dich auf die Rolle der Anna Karenina vorbereitet?

    Xue Lin: Ich hatte schon zu Beginn der Saison angefangen die Schritte zu lernen und bevor wir zur Tournee nach China gereist sind, bestätigte John Neumeier, dass ich auf jeden Fall zwei Vorstellungen tanzen werde. Das führte dazu, dass ich mir viele Gedanken über die Geschichte machte. Ich habe das Buch von Leo Tolstoi mit nach China genommen und es gelesen. Außerdem habe ich mir den »Anna Karenina«-Film mit Keira Knightley gleich zwei Mal angeschaut.

    Die Schritte zu können ist nicht so schwer wie zu lernen, die Geschichte zu erzählen. Also musste ich irgendwie eine Idee davon bekommen, wie ich den Charakter spiele. Nachdem ich mir viele Videos angesehen hatte, bekam ich ein Bild von Anna Karenina. Aber als ich tanzte, habe ich gemerkt, dass es mir am leichtesten fällt sie zu verkörpern, indem ich ich selbst bin. Ich habe nicht daran gedacht »In diesem Moment muss ich dies tun, jetzt das spielen.« – Ich musste nichts spielen. Auch unsere Ballettmeister sagen immer: »Lass dich von der Geschichte leiten und spreche mit deinem Herzen, tanze mit deiner Seele!« Das habe ich versucht.

    Xue Lin und Carsten Jung als Anna Karenina und Alexej Karenin © Kiran West

    Anna Karenina ist ein vielseitiger und emotionaler Charakter. Wie bringst du die Emotionen auf die Bühne und was war die größte Herausforderung für dich?

    Ich versuchte mich in Anna Kareninas Situation hineinzuversetzen – das hat mir geholfen, die Geschichte zu verstehen. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich in den Situationen fühlen würde. Ich bin der Meinung, dass man mit den Erfahrungen, die man in seinem eigenen Leben macht, sich manches vorstellen kann. Zum Beispiel ein Kind zu vermissen – ich habe zwar selbst kein Kind – aber ich versuchte mir vorzustellen, wie es sich anfühlen würde das Kind zu verlassen oder von der Person, die man am meisten liebt, verlassen zu werden. Ich stellte mir vor, wie ich mich verhalten würde, wenn mein ganzes Leben zusammenbricht.

    Was mich herausforderte, war vor allem der Anfang des Balletts. Ich hatte Bedenken, dass ich nicht wie eine Mutter oder Ehefrau oder ›Frau‹ aussehe. Aber durch die Proben lernte ich, wie ich stehen und mich positionieren muss. Das fiel mir anfangs nicht leicht, aber am Ende habe ich mich wohl gefühlt.

    Anna Karenina (Xue Lin) besucht ihren Sohn Serjoscha (Marià Huguet) © Kiran West

    Für das Hamburger Publikum warst du die erste Neubesetzung der Anna Karenina. Du folgst auf Anna Laudere, die an der Kreation der Anna Karenina beteiligt war. Wie war das für dich und warst du dadurch nervöser als sonst?

    Tatsächlich habe ich nicht so viel darüber nachgedacht, dass Anna Laudere bisher die einzige Anna Karenina in Hamburg war. Ich hatte aber auch keinen Druck, denn die Ballettmeister und Anna selbst haben mir ihr vollstes Vertrauen gegeben und mir sehr geholfen! Anna war in fast jeder Probe dabei – sie hat mir so viel Selbstvertrauen gegeben! Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass es schlecht laufen könnte. Ich sagte mir, dass ich ich selbst sein muss und mit meiner Seele tanzen muss, denn das ist das Wichtigste! Ich hatte die beste Unterstützung von Anna und bin so dankbar, dass sie da war! Sie war so nett und hat mir von Anfang bis zum Ende mit Allem geholfen. Sie hat bei der Vorstellung zugesehen und ich habe zu ihr gesagt, dass es mir Ruhe und Selbstvertrauen gibt, dass sie da ist. Auch Anna sagte, dass sie da sei um mich zu unterstützen.

    Es war auch schön mit Jacopo zu arbeiten. Er lernt so schnell und ist ein guter Freund. Dadurch waren wir sehr entspannt und nicht nervös. Dann kam der erste Durchlauf mit John: Es war eine Herausforderung für uns, denn wir hatten plötzlich so viele Dinge im Kopf – der explodierte fast durch die ganzen Informationen und den Input. Aber dennoch blieben wir beide sehr entspannt, denn am Ende ist das, was zählt, am Abend die Geschichte zu erzählen!

    Xue Lin und Jacopo Bellussi debütierten als Anna Karenina und Alexej Wronski © Kiran West

    Ihr wollt mehr über Xue Lin erfahren? Schaut euch ihren Steckbrief an!

    Lisa Zillessen

    Im zweiten Teil der Serie »3 Fragen an Anna Karenina« sprechen wir mit Gasttänzerin Svetlana Lunkina vom National Ballet of Canada über die Rolle Anna Karenina und ihre Zusammenarbeit mit John Neumeier.

  • Auf Tour in China II

    Auf Tour in China II

    Das Hamburg Ballett gastiert zum vierten Mal beim Hong Kong Arts Festival und bringt drei große Ballettproduktionen auf die Bühne: »Der Nussknacker«, »Beethoven-Projekt« und das Galaprogramm »The World of John Neumeier«. Von der zweiten Woche in Hongkong und den ersten Vorstellungen des Balletts »Beethoven-Projekt« außerhalb Hamburgs berichtet Nicolas Hartmann, Assistent der Ballettbetriebsdirektion:

    Unsere zweite Produktion, die wir im Rahmen des Hongkong Arts Festival zeigen, ist das Ballett »Beethoven-Projekt«. John Neumeiers jüngste Ballettkreation wird zum ersten Mal außerhalb Hamburgs gezeigt! Nach unserer ausverkauften Vorstellungsserie von »Der Nussknacker« sind auch die Aufführungen dieses Programms mit Kammermusikstücken – ein Satz aus dem Geistertrio und ein Streichquartettsatz, vier Sätzen aus den »Geschöpfen des Prometheus« und der »Eroica« Sinfonie – sehr gut besucht. Auch mit diesem jüngsten Werk John Neumeiers können wir in Hongkong einen großen Erfolg verbuchen. Für das »Beethoven-Projekt« ist unser Solo-Pianist Michal Bialk angereist, der uns später weiter nach Peking begleiten wird. Unser Erster Dirigent für Ballett, Simon Hewett, leitet die Abende musikalisch.

    Szene aus »Beethoven-Projekt« © Kiran West

    In einem »Pre-Performance Talk« gibt unser Pressesprecher Jörn Rieckhoff eine Einführung in das Ballett. Es kommen viele Nachfragen von den Gästen. Schön zu sehen, wie interessiert unser Publikum ist! Eine weitere Zusatzveranstaltung in Hongkong ist »The Artist Salon«: Am Donnerstag sprach Emma Liu, Radiomoderatorin bei RTHK Radio 4, im wunderschönen Lanson Place Hotel mit John Neumeier eine Stunde lang über seine Sammlung und Stiftung, über seine Herangehensweise bei der Kreation von neuen Balletten und über das »Beethoven-Projekt«.

    Nachdem wir einige kleine Krankheitsausfälle am Anfang der Tournee hatten, sind alle wieder fit. Zwei unserer Tänzer, Sara Ezzel und Matias Oberlin, sind nach Toronto zum Erik Bruhn Preis eingeladen worden und verlassen uns für ein paar Tage. Sie tanzen das Grand Pas de deux aus John Neumeiers »Der Nussknacker« und zeigen außerdem eine neue Choreografie des ehemaligen Tänzers aus dem Bundesjugendballett, Kristian Lever. Das Stück von Kristian Lever mit dem Titel »An intimate distance« gewinnt schließlich den choreografischen Preis des Wettbewerbs – ein toller Erfolg!

    Szene aus »The World of John Neumeier« © Kiran West

    Den Abschluss unseres Gastspiels in Hongkong bilden zwei Vorstellungen der Ballettgala »The World of John Neumeier«: ein besonderes Programm mit vielen Ausschnitten aus einigen der wichtigsten Ballette John Neumeiers, speziell von unserem Chef wie eine Art Retrospektive zusammengestellt. Dieses Mal ist es ganz besonders aufregend, da John Neumeier die Gala live moderiert. Dadurch gewinnt der Abend noch mehr an Emotionalität.

    Am Sonntagmorgen gibt unsere Ballettmeisterin Laura Cazzaniga ein letztes Ballett-Training für fortgeschrittene Amateure im Rahmen des Zusatzprogramms vom Hongkong Arts Festival. Ein sehr talentiertes Mädchen aus dieser Gruppe wird an der Aufnahmeprüfung der Ballettschule des Hamburg Ballett teilnehmen – wir sind gespannt, ob wir sie in unserer Ballettschule wiedersehen.

    Gruppenfoto mit Laura Cazzaniga und den Ballett-SchülerInnen

    Wir haben uns sehr gut aufgehoben gefühlt beim Hongkong Arts Festival. Wir wurden von einem sehr professionellen und herzlichen Team betreut – und die Atmosphäre der Stadt ist einfach beeindruckend: Jeden Abend gibt es eine Licht- und Lasershow von allen Hochhäusern in Hongkong City. Druch unsere Vorstellungen bekommen wir die Shows meist nur durch Zufall mit oder verpassen sie natürlich an einigen Abenden ganz. Aber der Blick vom Theater über das Wasser nach Hongkong Central ist überwältigend. Viele Touristen kommen extra mit einer Fähre rüber, um das Spektakel von unserer Seite zu sehen.

    Skyline mit Lichtershow © Kiran West

    Wir haben außerdem erlebt, dass Hongkong eine sehr große, aufgeschlossene und interessierte Expats-Gemeinde hat, in der man durchaus auf bekannte Gesichter treffen kann. So haben unser Pressesprecher Jörn Rieckhoff und ich zufällig eine gemeinsame alte Bekannte aus unserer Heimatstadt Bremen in Hongkong getroffen, die mit ihrem Mann eine unserer Vorstellungen besuchte. Wie klein die Welt doch sein kann!

    Das Festival endet nun offiziell nach unserer letzten »Gala«-Vorstellung. Für uns heißt es: Auf nach Peking – die dritte Woche unserer China-Tour beginnt!

    Nicolas Hartmann