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Jacopo Bellussi ist Armand Duval

Im Rahmen des Venedig-Gastspiels gibt unser Erster Solist Jacopo Bellussi sein Debüt als Armand Duval in John Neumeiers »Die Kameliendame«. Kurz vor der Abreise beantwortet er mir meine drei Fragen:

»Die Kameliendame« ist eines der beliebtesten und bekanntesten Ballette von John Neumeier, zahlreiche Compagnien weltweit haben dieses Werk in ihr Repertoire aufgenommen. Die Rolle des Armand Duval ist eine, nach der viele Tänzer in ihrer Karriere streben und die stets einen Höhepunkt darstellt. Was bedeutet es für dich, als Armand Duval zu tanzen? Und noch dazu dein Debüt in deinem Heimatland Italien zu geben?

Jacopo Bellussi: »Die Kameliendame« ist ein ganz besonderes Ballett, es ist eng mit dem Namen John Neumeier verbunden. Es war schon immer ein großer Traum von mir die Rolle des Armand tanzen zu dürfen. Die »Kameliendame« ist eines der ersten Ballette von John Neumeier, die ich als Kind live erlebt habe. Als ich 11 Jahre alt war und nach Mailand zog, um an der Accademia del Teatro alla Scala zu studieren, durfte ich mit meinen Mitschüler*innen die Generalprobe von »Die Kameliendame« besuchen – es war Alessandra Ferris Abschiedsvorstellung. John Neumeiers »Sylvia«-Version war die erste Ballett-DVD, die ich geschenkt bekommen habe. Diese beiden Ballette haben also eine Vergangenheit in meinem Leben und waren mit dem Namen John Neumeier verbunden, bevor ich überhaupt wirklich wusste, wer er ist. Eigentlich waren es drei Ballette: Mein Ballettlehrer hatte ein Bild von »Romeo und Julia« in der Schule hängen. Wie ich später herausfand, war es ein Motiv aus John Neumeiers Ballettfassung!

»Die Kameliendame« ist ein wunderschönes Ballett. Auch wenn es viele weitere schöne Ballette von John Neumeier gibt, so viele verschiedene Stilrichtungen. Es ist fast schon ein wenig traurig, wenn einige „nur“ die »Kameliendame« kennen.

Jacopo Bellussi mit Ida Praetorius bei den Proben im Ballettsaal (c) Kiran West

Die Rolle des Armand zu tanzen ist mit vielen Emotionen verbunden. Die Erinnerungen an meine Kindheit und meine ersten Berührungspunkte mit John kommen hoch. Gleichzeitig ist es für mich als Italiener natürlich auch besonders in meinem Heimatland zu tanzen. Nicht, weil ich mich hierfür mehr anstrenge, ich gebe auf der Bühne immer mein Bestes. Es ist wie die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Ein großer Schritt in meiner Karriere, den ich nie vergesse werde. Viele Familienmitglieder und Freunde werden zu meiner Debütvorstellung ins Teatro La Fenice kommen. Ich spüre Aufregung, auch Druck, und fühle mich geehrt, dass John Neumeier mir diese Gelegenheit gibt. Heute Vormittag hatten wir einen ersten Probedurchlauf im Ballettstudio – es wird also passieren!

Im Mittelpunkt der »Kameliendame« stehen drei zentrale Pas de deux, die John Neumeier im 1., 2. und 3. Akt platziert. Sie verdeutlichen die unterschiedlichen Stadien der Liebe zwischen Marguerite und Armand. Du tanzt an der Seite von Ida Praetorius, die mit dem Hamburg Ballett ihr Debüt in der Titelrolle gibt. Was ist das Herausfordernde an John Neumeiers Partnering? Und wie bereitet ihr euch auf euer gemeinsames Debüt vor?

Eigentlich hat Ida Praetorius die Titelrolle schon einmal getanzt, in Kopenhagen mit dem Royal Danish Ballet. Aber du hast schon Recht, es ist sicherlich anders die »Kameliendame« mit dem Hamburg Ballett zu tanzen, insofern ist es irgendwie auch ein Debüt.

In der »Kameliendame« ist Marguerite die Erfahrene im Leben. Armand ist in gewisser Weise viel naiver, er entdeckt bestimmte Aspekte des Lebens erst durch sie. Es ist hilfreich, dass ich mit Ida eine Partnerin habe, die diese Rolle schon kennt und die mich führen kann – das passt zur Geschichte, die wir erzählen. Ida konnte mir zum Beispiel sagen, welche Dinge Ballettmeister*innen mit ihr besprochen haben, als sie die Rolle zum ersten Mal einstudiert hat.

Jacopo Bellussi und Ida Praetorius im Ballettsaal (c) Kiran West

Ich habe auch außerhalb der Bühne eine gute Beziehung zu Ida. Das ist immer hilfreich, vor allem auch für das Partnering, das du in deiner Frage ansprichst. Die Partnerarbeit in Johns Balletten ist knifflig und technisch sehr anspruchsvoll, Ida und ich vertrauen uns gegenseitig. Tatsächlich haben wir gerade erst das White-Pas de deux zusammen in Italien getanzt.

Wir hatten nur wenig Zeit das ganze Ballett einzustudieren. Also haben wir auch in der Freizeit gemeinsam gearbeitet und uns die Zeit genommen, an den drei Pas de deux zu arbeiten. Auch Kevin Haigen hat uns sein Wissen über das Ballett weitergegeben. Das Erstaunliche an der »Kameliendame« ist: Du kannst 20 verschiedene Paare in den Hauptrollen sehen, und erlebst dabei 20 ganz unterschiedliche Interpretationen.   

Dass wir nur wenig Zeit zum Proben hatten, ist am Ende gar nicht schlecht. Armand ist vor allem im ersten Teils des Balletts ein junger Mann, dem Dinge passieren, die so nicht geplant waren und die er sicher so nicht erwartet hätte. Die kurze Vorbereitungszeit hilft mir, diese Spontaneität zu bewahren, mich quasi in die Rolle zu stürzen und die Dinge auf mich zukommen zu lassen.

Proben im Ballettsaal des Teatro La Fenice für »Die Kameliendame« (c) Kiran West

Du initiierst viele eigene Projekte, zuletzt eine Charity-Gala für Kinder mit Herzproblemen in deiner Heimatstadt Genua. Erzähl uns, wie hat das angefangen und was sind die nächsten geplanten Projekte?

Ich habe immer gesagt, dass ich eines Tages Ballettdirektor werden möchte, das ist immer noch mein Traum. Alles begann im August 2018, als in meiner Heimatstadt Genua der Ponte Morandi einbrach. 43 Menschen starben bei dem Unglück, Hunderte, die in Häusern unter der Brücke wohnten, wurden obdachlos. Die Brücke verband den Ost- mit dem Westteil der Stadt, jede*r in Genua fährt über sie. Ich wollte den betroffenen Familien meine Anteilnahme zeigen und organisierte meine erste Wohltätigkeitsgala mit dem Titel »Hommage an Genua«, deren Erlös dem Viertel und den Familien zugutekam, die vom Einsturz der Morandi-Brücke betroffen waren. Die Gala kam gut an – eine der Personen, die gekommen war, um die Familien der Opfer zu vertreten, bat mich zu einer Gedenkveranstaltung fünf Jahre nach dem Unfall wiederzukommen.

Ich habe diese Idee, jedes Jahr eine Benefiz-Gala in Genua zu organisieren. Ich möchte helfen in zweierlei Hinsicht: Zum einen möchte ich den großen Tanz wieder in meine Heimatstadt Genua zurückzubringen. Das Nervi Festival war eine der wichtigsten Festivals in Italien, Compagnien aus aller Welt waren zu Gast. Im Laufe seiner Geschichte tanzten hier die berühmtesten Künstler, darunter Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew. Diese Tanz-Tradition möchte ich weiter fortführen.

Zum anderen möchte ich jährlich eine bestimmte Organisation oder ein bestimmtes Projekt unterstützen, durch Benefiz-Tanzgalas. 2022 wurde ich zum »Ambasciatore di Genova nel mondo« (Botschafter Genuas in der Welt) ernannt, und das ehrt mich und motiviert, diese Wohltätigkeitsprojekte für meine Heimatstadt auch in Zukunft weiterzuführen. Die nächsten Projekte sind bereits in Planung!

Vielen Dank für das Interview, lieber Jacopo, und ein herzliches Toi, toi, toi für dein Debüt in »Die Kameliendame«!

Nathalia Schmidt