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»Orphée et Eurydice« Oper trifft auf Ballett

Petra Müller ist Spielleiterin an der Hamburgischen Staatsoper. Zwischen den Endproben und der ersten Vorstellung im Festspielhaus Baden-Baden erzählt sie mir von ihrem Job, von der Probenarbeit zu »Orphée et Eurydice« und den Besonderheiten einer Ballett-Oper.

Sie sind die guten Geister des Repertoires. An Opernhäusern und Theatern sorgen die Spielleiter dafür, dass die Stücke immer lebendig bleiben, auch wenn sie schon seit vielen Jahren auf dem Spielplan stehen. Petra Müller ist seit 20 Jahren an der Hamburgischen Staatsoper angestellt und hat schon viele Generationen von Sängern in die Ideenwelt diverser Inszenierungen eingearbeitet. Unter anderem ist sie bei der Einstudierung der Ballett-Oper »Orphée et Eurydice« beteiligt, inszeniert und choreografiert von John Neumeier. Die Produktion feierte im Jahr 2017 Uraufführung in Chicago, wurde anschließend in Los Angeles gezeigt. Beide Male hat das Joffrey Ballet die tänzerischen Parts übernommen. Im Februar 2019 folgte die Hamburg-Premiere unter Beteiligung des Hamburg Ballett. »Sobald die Proben in Hamburg begonnen haben, war ich als Spielleiterin voll im Einsatz, als Assistentin begleite und unterstütze ich den Regisseur«. Eine Inszenierung, die Petra von Anfang begleitet hat, betreut sie in der Regel auch später. Und so sehen wir sie bei der Vorstellungsserie in Baden-Baden wieder.

An jeder Neueinstudierung an der Hamburgischen Staatsoper sind ein, manchmal auch zwei Spielleiter beteiligt. Diese sind dann für die an der Produktion beteiligten Sänger verantwortlich, aber auch für die Statisten und den Chor, wenn dieser eine Szene auf der Bühne hat. Als Spielleiterin bei »Orphée et Eurydice« ist Petra für insgesamt drei Sänger zuständig. Von Anfang an ist sie in die Ideen des Regisseurs John Neumeier involviert. Während der Proben schreibt sie alles auf – ähnlich wie es bei einer Ballettproduktion der Choreologe macht. Im sogenannten Regiebuch sind alle Anweisungen der Regie vermerkt. Das Regiebuch ist ein Klavierauszug, in dem zwischen zwei Notenseiten immer eine leere Blankoseite eingeklebt wird, auf der die Spielleiterin wichtige Gedanken des Regisseurs, Auf- und Abgänge der Sänger, Blickrichtungen, technische Ereignisse und vieles mehr festhält. »Ich notiere mir auch, welche Kostüme die Sänger anhaben oder ob sie mit speziellen Requisiten spielen«.

Ein Blick in das Regiebuch © Kiran West

Wichtig ist, dass man genau erkennen kann, wie die Inszenierung abläuft, sodass man sie später eigenständig einstudieren kann. »In der Oper ist es üblich, dass ein Regisseur nach der Premiere seine Arbeit beendet«, erklärt mir Petra. »Dann sind wir als Spielleiter gefragt, wir können dank unserer Regiebücher ein Stück selbstständig über viele Jahre hinweg immer wieder aufnehmen. Wir allein sind dafür verantwortlich die Ideen des Regisseurs weiterzugeben und die gesamte Umsetzung so gut wie möglich zu erhalten«. Das erklärt auch die Bezeichnung Spielleiter, die an vielen Opernhäusern geläufig ist. Bei einer neuen Besetzung kann ein Spielleiter mithilfe des Regiebuchs die neuen Sänger präzise einarbeiten. »Jeder Sänger arbeitet anders. Bei einer Operninszenierung darf es kleinere Änderungen geben, ein Sänger macht vielleicht noch einen Schritt, bevor seine Phrase beginnt. Das geht natürlich bei einer Ballett-Oper nicht. Die Sänger, die sich zwischen den Tänzern bewegen, müssen alles minutiös richtig machen, sozusagen auf der richtigen Zählzeit. Alles muss miteinander passieren. Bei Orphée ist alles sehr viel präziser vom Timing als es in einer Oper wäre. Das macht es aber auch so faszinierend!«.

Schwieriger wird es immer, wenn ein Sänger bei einer Oper kurzfristig einspringt. Dann muss ein Spielleiter eine Art Gastfassung erstellen. Der Sänger braucht die wesentlichen Informationen, aber nicht zu viele. »Das muss alles sehr schnell gehen. Der »Einspringer« kommt ja meist ein paar Stunden vor Beginn der Vorstellung angereist. Mit der Kurzfassung müssen wir es schaffen, diesen Sänger in die Produktion zu bringen. Wir geben ihm eine Art Stichwortzettel in die Hand, in der das Wichtigste draufsteht. Geh nach links, nimm das Buch in die Hand, bleibe in der Mitte stehen. Ich bin in solchen Momenten dann hinter der Bühne. Zwischen seinen Auftritten gehen wir die nächsten Regieanweisungen durch. Szene für Szene.« Im Notfall springt die Spielleiterin selbst ein. Dies ist bei »Orphée et Eurydice« zum Glück nicht der Fall. Dennoch schaut Petra lieber von der Seitenbühne auf die Inszenierung. Für die Auftritte der Sänger ist dann aber der Inspizient verantwortlich.

John Neumeier bei einer Probe zu »Orphée et Eurydice« © Kiran West

Bei der Ballett-Oper »Orphée et Eurydice« ist alles etwas anders, denn hier gibt es einen Regisseur, der nach der Premiere nicht geht, sondern jede weitere Vorstellungsserie leitet. Änderungen, auch nach der Premiere, sind immer möglich. So auch in Baden-Baden: »John Neumeier ist sehr kreativ und entwickelt seine Stücke immer weiter. So bleiben seine Stücke lebendig. Das ist anders als bei einer Oper, die meist nach der Premiere fertig ist. Es ist eher selten, dass ein Opernregisseur noch einmal wiederkommt und nachträglich neue Anweisungen gibt«, so Petra. In Baden-Baden herrscht schon immer eine kreative Atmosphäre für John Neumeier. Viele seiner Ballette verändern sich bei den Proben auf der großen Bühne des Festspielhauses. Das kann Lichteinstellungen betreffen, aber auch die Choreografie oder – wie im Fall der Ballett-Oper – die Inszenierung. Nur einen Tag vor der Baden-Baden Premiere von »Orphée et Eurydice« gibt es eine wesentliche Änderung, die vor allem die Sänger betrifft. Für Petra ist dies keine stressige Situation, sondern etwas sehr Erfreuliches: »Ich bin total begeistert, John Neumeier hat immer sehr gute Ideen; das was er sieht und verändert, ist wunderbar. Der zusätzliche Schlussauftritt von Eurydice ist wirklich eine Steigerung gegenüber der letzten Vorstellungsserie«! Und was genau hat er verändert? »Ganz am Ende des Stücks kommt Eurydice noch einmal auf die Bühne, quasi wie eine Erscheinung. Orphée geht für das Schlussbild mit ihrem Schleier nach vorne raus und er hat das Gefühl, dass sie da ist, dass sie bei ihm ist. Wenn der Vorhang fällt, sehen wir alle drei Sänger auf der Bühne: Orphée, Eurydice und Amor. Ein berührendes Schlussbild!«

Arianna Vendittelli und Dmitry Korchak als Eurydice und Orphée © Kiran West

Für Petra geht mit der Arbeit an der Ballett-Oper »Orphée et Eurydice« ein Wunsch in Erfüllung. Bevor sie als Spielleiterin nach Hamburg ging, war sie mit nur 18 Jahren und noch vor dem Studium als Regieassistentin am Theater in Altenburg angestellt. »Das Theater bot Oper, Operette und Ballett an. Ich war meistens beim Ballett, da die Operette für mich als 18-jährige noch nicht so interessant war. Die Tänzer waren alle jung, in meinem Alter und so fand man mich immer wieder in einer Ballettprobe«. Mit »Orphée et Eurydice« schließt sich nun der Kreis. »Als Regieassistentin habe ich praktisch das gemacht, was ich jetzt auch in Hamburg mache. Durch die Ballettproduktionen, die ich damals am Theater Altenburg betreut habe, kenne ich mich im Ballett ein wenig aus. Ich weiß beispielsweise, was eine Arabeske ist oder eine Pirouette. Eine Sache habe ich vorher tatsächlich noch nie gemacht: Für »Orphée« suche ich die Spitzenschuhe für die Sängerin der Eurydice aus. Eine sehr exotische Aufgabe!«. Ohnehin übernimmt Petra auf dieser Tournee auch andere, neue Aufgaben, die sie als Spielleiterin in Hamburg sonst nicht machen würde: »Ich bin hier in Baden-Baden quasi für alles zuständig, wo die Musik live ist. Wenn zum Beispiel der Chor Chormappen braucht, dann kümmere ich mich darum. In Hamburg wäre es Aufgabe des Orchesterwarts. Ich übernehme hier gerne diese anderen Aufgaben, ich arbeite gerne so!«.

Die Begeisterung für ihren Beruf ist spürbar. Trotz kurzfristiger Änderungen, die jederzeit möglich sind und immer wieder neuen Herausforderungen, findet sie die Arbeit an der Staatsoper absolut erfüllend. »Die Arbeit an der Ballett-Oper ist nicht nur für mich, sondern auch für die Künstler etwas ganz Besonderes«, fügt sie noch hinzu. »Ich merke, wie zwei Künstlergruppen hier aufeinandertreffen und sich gegenseitig beflügeln. Die Sänger sind fasziniert von der Tänzerwelt, von dieser Präzision und Hingabe. Auch die Tänzer blicken fasziniert auf die Sänger, wenn sie ihre Stimme hören. Dieses gemeinsame Projekt ist ein einmaliges Erlebnis für alle Beteiligten!«

In knapp zwei Stunden beginnt die erste Vorstellung von »Orphée«. Petra möchte nachsehen, ob die Sänger schon da sind und ob sie etwas brauchen. Bevor sie geht, hat sie noch eine letzte Anekdote für mich: »Bei einer Probe hier in Baden-Baden hat der Sänger, der Orphée verkörpert, bei der Furienszene aufgehört zu singen, weil er die Harfe nicht richtig hören konnte. Die Tänzer, als Furien, haben die Melodie einfach weiter gesungen.« Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Tänzer und Sänger im Laufe der Zeit zusammengewachsen sind!

Nathalia Schmidt