Von Seide, Schwänen und Schlagmetall
Am 8. April steht die Wiederaufnahme von John Neumeiers Ballett »Illusionen – wie Schwanensee« auf dem Spielplan des Hamburg Ballett. Damit das 1976 uraufgeführte Stück auf die Bühne der Hamburgischen Staatsoper zurückkehren kann, wird in den Werkstätten seit Wochen intensiv am Bühnenbild gearbeitet. Eines der aufwendigsten Projekte, mit dem die Theatermalerinnen und -maler zurzeit beschäftigt sind, ist der blau-goldene Schmuckvorhang. Wir haben die Kolleginnen und Kollegen in den Werkstätten besucht und ihnen bei der Arbeit über die Schulter geschaut.
Zeichnen, Tupfen, Malen, Schneiden, Kleben: Seit neun Wochen arbeiten die Theatermalerinnen und -maler in den Werkstätten in Hamburg-Barmbek am Schmuckvorhang für »Illusionen – wie Schwanensee«. Insgesamt fast 170 Quadratmeter Seide werden für die Neuanfertigung des Vorhangs aufwendig von Hand verziert. Denn der Originalvorhang hat nach 42 Jahren im Bühneneinsatz ausgedient. Die goldene Farbe hat an Glanz verloren und blättert langsam ab, die Seide franst aus und wird löchrig. Nun dient das Original, das für die Uraufführung des Balletts ursprünglich in München angefertigt wurde, als Vorlage für die Neugestaltung und hängt imposant im großen Malsaal der Opernwerkstätten.
Auf dem Boden davor liegt der neue Vorhang, an dem an allen Seiten fleißig gearbeitet wird. Die Theatermalerin Natalia Vottariello erklärt, wie man ein solches Großprojekt angeht: »Zunächst wurde der Stoff ausgesucht – wir brauchen eine sehr leichte und feine Seide, damit der Vorhang nicht zu steif wirkt und sich gut bewegen lässt. Nachdem der Stoff gefunden war, wurde er extra eingefärbt und an die Farbigkeit des Originalvorhangs angepasst und anschließend mit Essigwasser imprägniert. Das verhindert später, dass die aufgetragenen Farben auslaufen.«
Bevor mit den Verzierungen begonnen werden konnte, wurden mehrere breite Streifen der Seide für die benötigte Größe des Tuchs zusammengenäht. Damit sich die dabei entstehenden Nähte in das Muster einfügen, wurde vorher anhand des Originaltuchs genau errechnet, wie breit die Streifen sein müssen. Um das Muster der Verzierungen passgenau auf den neuen Vorhang zu übertragen, haben die Theatermalerinnen und -maler den Stoff zunächst mithilfe von Fäden in quadratische Raster eingeteilt und die Maße der Verzierungen des Originalvorhangs übertragen. »Als diese Vorarbeit geschafft war, haben wir die Lilien und Schwäne, die das Tuch verzieren, auf weißem Satin neu angefertigt. Da aufgetragene weiße Farbe auf blauem Grund nicht so gut zur Geltung kommt, werden diese Elemente nicht aufgemalt, sondern aus Stoff angefertigt und später aufgeklebt«, erklärt Natalia Vottariello. Die Dekorateurinnen und Dekorateure schneiden die insgesamt 160 Lilien und Schwäne dafür von Hand aus.
Im nächsten Schritt wurden die unterschiedlichen Ornamente des Vorhangs auf Schablonierpapier übertragen, mithilfe der Schablonen wurde dann die goldene Bordüre auf den Stoff gesetzt. Vergoldet wird nicht mit Goldfarbe, sondern mit Schlagmetall, erläutert Theatermalerin Jezebel Nachtigall, die ebenfalls am Schwanensee-Vorhang arbeitet: »Mit goldener Farbe zu arbeiten, hätte uns sicher zwei bis drei Arbeitsschritte gespart, denn das Auftragen des Schlagmetalls ist sehr aufwendig. Aber Goldfarbe ist matter und hat nicht so viel Strahlkraft wie Schlagmetall. Das Ergebnis wird so viel edler«, erklärt sie.
Warum das Auftragen des Schlagmetalls so aufwendig ist, demonstrieren Natalia Vottariello und Jezebel Nachtigall dann auch direkt: Bevor die hauchdünnen quadratischen Blättchen aufgelegt werden können, muss die sogenannte Anlegemilch in zwei Schichten auf den Stoff aufgetragen werden; sie dient als Kleber. Nach dem Auftragen der Anlegemilch muss diese jeweils ca. 10 Minuten trocknen, erst dann kann das empfindliche Schlagmetall aufgelegt und an die Form der Schablone angepasst werden. Die Goldblättchen dürfen dabei nur mit Handschuhen angefasst werden, da das Gold sonst durch den Schweiß der Hände oxidieren könnte. Sitzt das Gold perfekt, wird es mit einem Überzugslack fixiert. Zum Schluss werden mit dunklerer Stofffarbe Schatten auf die goldenen Ornamente gesetzt; für eine dreidimensionale Wirkung, die auch aus größerer Entfernung – wie aus dem Zuschauerraum – sichtbar ist.
Stück für Stück entstehen so die goldene Bordüre und die kreisförmigen Ornamente des Tuchs, in die später die Stofflilien und -schwäne geklebt werden. An einem Arbeitstag schaffen es die Malerinnen und Maler, durchschnittlich 16 Quadratmeter Stoff zu vergolden – im Sitzen: »Größere Muster wie die Schwäne können wir im Stehen mit langen Theatermalerpinseln malen. Die meisten Ornamente des Tuchs sind aber so fein, dass sie im Sitzen und mit kleineren Pinseln aufgetragen werden müssen. Eigentlich malen wir fast alle Details auf dem Boden kriechend«, sagt Natalia Vottariello lachend. Dabei darf das Tuch natürlich nicht mit Straßenschuhen betreten werden. Am Rand liegen Schläppchen und Hausschuhe bereit, manche der Malerinnen und Maler haben nur ihre Socken an. So arbeiten sie sich auf ihren Sitzkissen von Raster zu Raster vorwärts.
Im direkten Vergleich der beiden Vorhänge wird deutlich, welche Spuren die 42 Jahre des Einsatzes am Original hinterlassen haben: Die Farben leuchten nicht mehr so eindringlich, das Gold verblasst und an manchen Stellen haben sich kleine Löcher in der Seide gebildet. Einerseits ist das ein natürlicher Prozess in der Alterung des Stoffes. Andererseits wurden zur Zeit der Anfertigung des Originaltuchs natürlich auch andere Materialen genutzt, erklärt Jezebel Nachtigall: »Das Gold wurde beispielsweise mit einem Kleber aufgetragen, der die Seide stärker angreift als neuere Produkte, die auf Wasserbasis produziert werden und damit schonender für den Stoff sind.«
Als feststand, dass »Illusionen – wie Schwanensee« auf den Spielplan zurückkehrt, war schnell klar, dass der Vorhang neu angefertigt werden muss, da eine Restauration des Originals zu aufwendig gewesen wäre. Bis Ende März muss die Arbeit abgeschlossen sein, da dann die technischen Einrichtungen auf der Bühne der Staatsoper stattfinden und der Vorhang gehängt wird. Bis dahin müssen noch Schwäne geklebt, Schattierungen gemalt, Ösen gestanzt und Ränder vernäht werden. Wenn das Tuch erst einmal hängt, können sie nicht mehr viel verändern.
Deswegen hoffen die Theatermalerinnen und -maler, dass das Ergebnis ihrer Arbeit am Ende alle überzeugen wird. In Hochphasen arbeiten momentan sechs Personen gleichzeitig am Tuch. Da muss man sich gut absprechen, damit niemand aus Versehen in noch nicht getrocknete Farbe tritt. Fehler lassen sich nur sehr schwer wieder beheben, erläutern die Theatermalerinnen, da der Stoff sehr empfindlich ist und nicht einfach ausgewaschen werden kann.
»Wir machen immer wieder Reparaturarbeiten an Bühnenbildern, das gehört zu unserem Alltag. Aber in dieser Dimension habe ich das noch nicht erlebt«, sagt Natalia Vottariello. Insgesamt werden sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Dekorationswerkstätten 11 Wochen Arbeit in dieses eine Detail des Bühnenbildes investiert haben. Wie das fertige Tuch am Ende auf der Bühne wirkt – davon werden sich Jezebel Nachtigall und Natalia Vottariello auf jeden Fall selbst überzeugen.
Frieda Fielers