»Wir sind da, um den Tanz zu unterstützen – und im Zusammenspiel die Kunstformen zu verbinden.«
In diesem Jahr ist das Bundejugendballett zum ersten Mal Teil der jährlichen Herbstresidenz des Hamburg Ballett in Baden-Baden. Auf der Akademiebühne feiert die junge Compagnie die Premiere des neuen Stücks »John’s-BJB-Bach«, das Ausschnitte aus John Neumeiers Balletten »Matthäus-Passion«, »Magnificat«, »Bach Suite 2« und »Bach Suite 3« enthält. Wir haben mit Marshall McDaniel, dem Musikalischen Leiter des Bundesjugendballett, über seine Arbeit und die musikalische Seite des Bundesjugendballett gesprochen.
Die Musik von Johann Sebastian Bach sind zumeist große orchestrale Werke für große Besetzungen und Chöre. Deshalb hast du für die Premiere von »John’s-BJB-Bach« in Baden-Baden die Musikstücke für die Bedürfnisse des Bundesjugendballett »arrangiert«. Vielleicht erklärst du einmal, was genau das bedeutet und wie du dabei vorgehst?
Marshall McDaniel: Arrangieren bedeutet die Musik umzuschreiben für die Instrumente, die wir für die Inszenierung des jeweiligen Stücks brauchen. Beim Bundesjugendballett bedeutet das meistens ein Streichquartett plus Klavier plus Flöte und Klarinette. Für die Inszenierung von »John’s-BJB-Bach« musste ich deshalb die Stimme der Klarinette hinzuerfinden. Denn zu Lebzeiten von Johann Sebastian Bach gab es ja noch keine Klarinetten. Da musste ich dieses Instrument irgendwie reinschieben. Ansonsten muss man aber auch sagen, dass manche Stücke funktionieren, ohne etwas zu arrangieren. Im Grunde genommen ist Bachs Musik sehr universell. Es ist möglich, seine Musik ganz unterschiedlich zu spielen: ob mit Synthesizer oder nur mit zwei Musikern – es klingt immer noch nach Bach. Von daher ist es nicht so schlimm, wenn man seine Musik reduziert oder expandiert.
Worauf muss man insbesondere achten, wenn man Musik für Tanz arrangiert?
Ja, das ist eine gute Frage. Also meistens geht es vor allem darum, die Musiker für den Tanz zu sensibilisieren. Die Meisten wollen immer direkt loslegen und losspielen und verstehen anfangs nicht die Symbiose aus Musik und Tanz und was das wirklich bedeutet. Denn wenn wir proben und der Tanz dazukommt, dann ist das wie eine neue Stimme in der Partitur beziehungsweise meistens sogar mehrere zusätzliche Stimmen. Am Anfang fällt es den Musikern oft schwer, diese andere Stimme zu lesen. Die steht ja auch nirgends aufgeschrieben und ist einfach dazugekommen. Von daher muss man wirklich aufpassen, dass man nicht zu schnell oder zu langsam spielt. Die Bewegungen der Tänzer hängen ja davon ab, was und wie wir spielen. Wenn wir nicht »tanzgerecht« spielen, gehen die Bewegungen manchmal nicht mehr oder sind nicht so wie gedacht. Wir sind letztendlich da, um den Tanz zu unterstützen – und im Zusammenspiel die Kunstformen zu verbinden.
Ist das denn eine Herausforderung für die Musiker*innen, sich in meist kurz bemessener Probenzeit auf den Tanz einzulassen?
Also die Arbeit beim und mit dem Bundesjugendballett ist sowieso ganz anders, als es viele gewohnt sind (lacht). Nicht nur, dass die Musiker bei uns oft selber ein aktiver Teil auf der Bühne sind und zum Beispiel über die Bühne laufen, während sie spielen, auch die Proben sind ganz anders. Denn selbst wenn ich es schaffe vor den Proben fertige Partituren zu schreiben, wird dann meistens eh alles komplett anders oder geändert, wenn wir erstmal in den Proben sind. Kevin Haigen hat eine tolle Empfindung für Musik und gibt häufig Impulse, was passt und was nicht passt. Deshalb muss ich auch oft Dinge mündlich erklären oder selber kurz vorspielen. Andere Musiker würden sich wahrscheinlich erschrecken, wenn sie mit uns proben würden. Aber wir suchen gezielt Musiker, die Lust auf diese freie Arbeitsweise haben und da gerne mitmachen: Gerne improvisieren und sich ausprobieren. Und zum Glück finden wir auch immer tolle Musiker, die das schnell verstehen!
Würdest du das als eine besondere Stärke des Bundesjugendballett bezeichnen, dass es auch in Bezug auf die Musik so kreativ arbeitet und so viel mit den verschiedenen Kunstformen experimentiert?
Auf jeden Fall! Das ist wirklich etwas ganz Besonderes. Mir hat das beim Musikstudium auch sehr gefehlt: Diese Art der Improvisation, des Miteinanders und etwas zu spielen, was nicht in den Noten steht. Meiner Meinung nach sollte man sowieso immer so spielen, als würde man die Musik gerade im Moment neu erfinden. Auch wenn man die Noten vor sich hat. Das stärkt das kreative, improvisierte Spiel. Und das ist eben ein großer Vorteil beim Bundesjugendballett.
Würdest du sagen, dass du bzw. auch das Bundesjugendballett besonderen Wert darauf legt mit Nachwuchs-Musiker*innen zusammenzuarbeiten? Liegt das an dieser Spiel- und Experimentierfreude?
Ich glaube, dass das in dieser Art nur mit jungen Leuten geht (lacht). Nein, wahrscheinlich geht es auch mit anderen Musikern. Aber viele erfahrenere Musiker, die schon länger in dem Beruf arbeiten, haben ihre eigene Routine und sind darin vielleicht ein bisschen festgefahren. Die wollen dann gerne alles vorbereitet haben und sind schnell genervt, wenn in den Proben nicht alles vorgeplant ist. Aber bei Tanz und Theater, zumindest so wie wir es machen, geht das leider nicht immer. Ich persönlich finde das auch besser so. Dass man bei jeder Show etwas Neues kreiert und weiterentwickelt. Selbst noch nach unseren Auftritten verändern wir, also Kevin Haigen oder ich, einzelne Stellen. Mal ein anderer Akkord, mal wird eine Stelle etwas länger oder kürzer. Ich glaube, dass das wirklich nur mit jungen, kreativen und flexiblen Leuten geht.
Als Musikalischer Leiter des Bundesjugendballett arrangierst du nicht nur die Stücke und bist für die Einstudierung der Musik und die Leitung der Musiker*innen zuständig, du spielst außerdem selber auf der Bühne Cello. Ist das eine zusätzliche Doppelbelastung oder gefällt es dir, selbst Teil der Inszenierung zu sein?
Also allen voran liebe ich es, Musik zu machen. Deshalb macht es mir auch wahnsinnig Spaß selber mitzuspielen. Aber natürlich hat die Medaille auch immer zwei Seiten. Denn wenn ich selber mitspiele, fehlt mir manchmal auch der Blick von außen beziehungsweise die Ohren. Ich muss mich ja dann selber auf meine Finger und meine Stimme konzentrieren und kann schwieriger beurteilen, ob alles klappt oder zusammenpasst. Aber trotzdem gefällt es mir besser mitzumusizieren.
Friederike Adolph