Der Erste Solist Alessandro Frola verabschiedet sich vom Hamburg Ballett
Alessandro Frola und Madoka Sugai in „Die Kameliendame“ c) Kiran West
Die Nachfrage von Bahntickets von Hamburg nach Wien dürfte in der nächsten Saison rasant ansteigen, wenn der Erste Solist Alessandro Frola mit dem Beginn der neuen Spielzeit 2025/26 Hamburg den Rücken kehrt und ans Wiener Staatsballett wechselt. Ein wahrlich schmerzlicher Verlust für die Hamburger Ballettszene, verliert sie doch einen ihrer Topstars, aber ein spannender neuer Karriereschritt für dich, lieber Alessandro!
Alessandro Frola als Puck in „Ein Sommernachtstraum“ c) Kiran West
Geboren wurde Alessandro Frola in Parma, Italien, und erhielt seine Ausbildung in Profession Dance Parma, Fomento Artístico Cordobés im mexikanischen Córdoba. 2017 hatte er die Möglichkeit durch die Teilnahme am Finale des renommierten Ballettwettbewerb Prix de Lausanne, eine Ballettschule seiner Wahl zur Fortführung seiner Ausbildung auszusuchen und seine Wahl fiel glücklicherweise auf die Ballettschule des Hamburg Ballett. Zwei Jahre später, 2019, wurde er in die Compagnie aufgenommen.
Alessandro Frola in „Dornröschen“ c) Kiran West
John Neumeier gab ihm früh die Möglichkeit Solorollen zu tanzen. So war er der jüngste Tänzer, der jemals die Rolle des Lysander in „Ein Sommernachtstraum“ tanzen durfte. Auch andere große Solorollen wie Prinz Desirée in „Dornröschen“ und Wolf Beifeld in „Liliom“ stärkten sein Profil als vielversprechender Nachwuchskünstler. 2022 wurde er zum Solisten befördert und bereits im Jahr darauf zum Ersten Solisten. John Neumeier lobte in seiner Laudatio zur Vergabe des Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis 2023 neben Alessandro Frolas enorm starker Technik vor allem seine einnehmende Präsenz und Persönlichkeit auf der Bühne. Noch im selben Jahr folgte die Ernennung zum Ersten Solisten.
Alessandro Frola als Drosselmeier in „Der Nussknacker“ c) Kiran West
Seine einzigartige Ausstrahlung und feine Schauspielkunst bewies er als Mercutio in „Romeo und Julia“, Drosselmeier in „Der Nussknacker“, Armand in „Die Kameliendame“, Love in „Bernstein Dances“, Ein Freier / Der Krieg in „Odyssee“ und zog als Allan Gray in „Endstation Sehnsucht“ und Verwirrung stiftender Puck in „Ein Sommernachtstraum“ das Publikum in seinen Bann. Er interpretierte Solopartien in „Matthäus-Passion“, „Dritte Sinfonie von Gustav Mahler“ und „Préludes CV“.
Alessandro Frola mit John Neumeier in Proben zu „Dona Nobis Pacem“ c) Kiran West
John Neumeier kreierte für ihn Der Schatten in „Dona Nobis Pacem“ und Soli in „Epilog“ und in „Peter und Igor“, mit dem er an der Seite von Jacopo Bellussi 2021 in Italien (Rom, Genua und Ravenna) gastierte. In der laufenden Saison war er unter anderem in „Variations for Two Couples“ von Hans van Manen und „Blake Works V – The Barre Project“ von William Forsythe zu sehen.
Alessandro Frola und Jacopo Bellussi in „Igor und Peter“ c) Kiran West
Im Rahmen der 50. Hamburger Ballett-Tage tanzte Alessandro Frola noch einmal seine Paraderolle des Mercutio in „Romeo und Julia“ sowie Friedrich, der Große in „Tod in Venedig“. Darüber hinaus ist er in den Ballettabenden „THE TIMES ARE RACING“ (17. Juli) und „SLOW BURN“ (19. Juli) und natürlich beim festlichen Saisonabschluss mit der Nijinsky-Gala L (20. Juli) zu erleben.
Alessandro Frola als Mercutio mit Artem Prokopchuk als Tybalt in „Romeo und Julia“ c) Kiran West
Mit erst 24 Jahren nun schließt sich Alessandro Frola dem Wiener Staatsballett an, das ab der kommenden Saison von seiner Landsmännin Alessandra Ferri geleitet wird. Für diesen neuen Schritt wünschen wir Dir nur das Beste, lieber Alessandro, viel Erfolg, Inspiration und neue Impulse! Ein herzliches Toi, Toi, Toi für dieses neue Kapitel!
2012 war sie für das Bundesjugendballett nach Hamburg gekommen. In unzähligen Rollen begeisterte sie durch ihre makellose Technik und natürliche Ausstrahlung. Zum Ende der Saison 2024/25 verabschiedet sich die Erste Solistin Madoka Sugai nun vom Hamburg Ballett. Hamburg wird dich schmerzlich vermissen, liebe Madoka!
Madoka Sugai in „Don Quixote“ c) Kiran West
Die gebürtige Japanerin erhielt ihre Ausbildung an der Sasaki Mika Ballettakademie in Yamato. Nachdem sie 2012 beim Prix de Lausanne gewann, wählte sie ganz bewusst das Bundesjugendballett als erste Station ihrer weiteren Karriere. Dort habe sie gelernt, flexibel und kreativ auf unterschiedlichste Situationen, Räume und Umgebungen zu reagieren, was sie als ganz besonders wertvoll für ihren weiteren Werdegang empfand. 2014 engagierte John Neumeier sie ins Ensemble des Hamburg Ballett, wo sie 2017 zur Solistin und 2019 zur Ersten Solistin avancierte.
Madoka Sugai in „Sylvia“
Madoka Sugai überzeugte in klassischen, neoklassischen sowie zeitgenössischen Werken durch ihre gefühlvollen Interpretationen in Verbindung mit exzellenter klassischer Technik. So begeisterte sie das Publikum als Kitri oder Dulcinea in „Don Quixote“ (Rudolf Nurejew), Marguerite Gautier in „Die Kameliendame“, Prinzessin Natalia in „Illusionen – wie Schwanensee“, Prinzessin Aurora oder Florine in „Dornröschen“, „Cinderella“ in „A Cinderella Story“, Luise in „Der Nussknacker“ oder in der Titelrolle in Cathy Marstons „Jane Eyre“. Sie verzauberte als kämpferische Sylvia, willensstarke Hermia in „Ein Sommernachtstraum“, fesselte ihr Publikum als Nijinskys Schwester Bronislava, und verdrehte als Kirke nicht nur Odysseus in „Odyssee“ den Kopf.
Madoka Sugai und Jacopo Bellussi in „Ein Sommernachtstraum“ c) Kiran West
John Neumeier kreierte für sie unter anderem die Rollen der jungen Frau und der Geistlichen in „Dona Nobis Pacem“ und zahlreiche Soli, u.a. in „Beethoven-Projekt I & II“, „Ghost Light“ und „Epilog“. Auch in Aszure Bartons Neukreation „Slow Burn” (2024), das sich weisen und starken Frauen widmet, tanzte sie eine der beiden weiblichen Hauptrollen an der Seite von Silvia Azzoni.
Madoka Sugai mit Alexandr Trusch in „Der Nussknacker“ c) Kiran West
2018 wurde sie mit dem Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis ausgezeichnet, der alljährlich vielversprechende Nachwuchskünstler*innen aus den Bereichen Tanz, Musik und Gesang kürt.
Madoka Sugai in „Die Kameliendame“ c) Kiran West
Madoka Sugai ist gern gesehener Gast auf zahlreichen internationalen Ballett-Galas. So war sie beispielsweise Gast des World Ballet Festival in Tokyo 2024 – u. a. mit „Sinatra Suite“ von Twyla Tharp – und trat auf renommierten internationalen Galas in Japan und Europa auf, wo ihre Darbietungen von einer großen Schar internationaler Fans gefeiert werden.
Madoda Sugai und Alexandr Trusch in „Variations for Two Couples“ von Hans van Manen c) Kiran West
Bevor sie sich von Hamburg verabschiedet, ist Madoka Sugai noch einige Male im Rahmen der 50. Hamburger Ballett-Tage zu erleben. Als Bronislava Nijinsky tanzt sie am 15. Juli in »Nijinsky«. Darüber hinaus ebenso in den beiden mehrteiligen Ballettabenden »THE TIMES ARE RACING« (17. Juli) und »SLOW BURN« (19. Juli), sowie in der Nijinsky-Gala L(20. Juli), dem feierlichen Abschluss der Festtage und der Spielzeit 2024/25.
Liebe Madoka, wir wünschen dir von Herzen alles Gute für die Zukunft und weiterhin viele glorreiche Momente auf den Bühnen dieser Welt und sagen danke für dein Feuer, deine Präzision und die unzähligen unvergesslichen Bühnenmomente, die uns alle tief berührt haben!
Nach über zwölf Jahren auf Hamburger Bühnen geht für Christopher Evans eine bedeutende Etappe zu Ende: Mit Ende der Spielzeit 2024/25 verabschiedet sich der Erste Solist vom Hamburg Ballett – ein Tänzer, dessen Vielseitigkeit, Bühnenpräsenz und künstlerische Klarheit das Ensemble über ein Jahrzehnt lang bereichert haben. Am 13. Juli 2025 tanzt er im Rahmen der 50. Hamburger Ballett-Tage ein letztes Mal mit der Compagnie auf der Bühne die tiefsinnige Rolle des Gustav von Aschenbach in John Neumeiers »Tod in Venedig«.
Christopher Evans wurde 1994 in Loveland, Colorado geboren. Seine tänzerische Ausbildung führte ihn von der BalletMet Dance Academy über Canada’s National Ballet School schließlich an die Ballettschule des Hamburg Ballett. Hier wurde er – unter anderem von Kevin Haigen – geprägt und begleitet. Bereits 2012 trat er ins Ensemble des Hamburg Ballett ein, wurde 2015 Solist, drei Jahre später Erster Solist.
Christopher Evans als Man I in »Bernstein Dances« Foto: Kiran West
Mit der Compagnie entwickelte sich Christopher Evans zu einem der prägenden Gesichter des Repertoires: unter anderem als Gustav von Aschenbach in »Tod in Venedig«, als Odysseus in der »Odyssee«, als Günther in »Der Nussknacker« oder als Theseus/Oberon in »Ein Sommernachtstraum«. Er war Man I in »Bernstein Dances«, Catalabutte in »Dornröschen«, Harlequin und Geist der Rose in »Nijinsky«, Herzog Albert in »Giselle« – Figuren, in denen er nicht nur technische Präzision, sondern auch psychologischen Tiefgang zeigte.
Christopher Evans als Oberon, Alina Cojocaru als Hippolyta in »Ein Sommernachtstraum« Foto: Kiran West
Neben seinen Hauptrollen tanzte Evans Soli in u.a. »Matthäus-Passion«, »Weihnachtsoratorium I-VI« oder »Préludes CV« ebenso wie in international gefeierten Stücken anderer Choreograf*innen: George Balanchines »Brahms-Schoenberg Quartet«, Jerome Robbins’ »Dances at a Gathering«, Rudolf Nurejews »Don Quixote« (als Basil), Cathy Marstons »Jane Eyre« (als St. John Rivers), Justin Pecks »The Times Are Racing« oder William Forsythes »Blake Works V – The Barre Project« sowie zuletzt in Edvin Revazovs »Silentium« für das Hamburger Kammerballett.
Christopher Evans als Jim O’Connor, Alina Cojocaru als Laura Rose Wingfield in »Die Glasmenagerie« Foto: Kiran West
John Neumeier schuf für ihn u. a. die Figur des lebenslustigen Jim O’Connor in »Die Glasmenagerie« sowie einen Geistlichen in »Dona Nobis Pacem« und eine der führenden Rollen in seinem sinfonischen Ballett »Turangalîla«. Er kreierte zahlreiche Soli in John Neumeiers Spätwerken wie »Beethoven-Projekt I & II«, »Ghost Light« und »Epilog«. Es sind Rollen, die Christopher Evans mit seiner klaren Körpersprache, seinem differenzierten Ausdruck und einem besonderen Gespür für Atmosphäre prägte.
Christopher Evans als Catalabutte und Xue Lin als Prinzessin Florine in »Dornröschen« Foto: Kiran West
Auch als Choreograf machte er erste Schritte: 2016 zeigte er im Rahmen von »Junge Choreografen« das Solo »Soul Sketch«, gefolgt von »A Cosmic Second« ein Jahr später. Seine tänzerischen Leistungen wurden mehrfach ausgezeichnet – 2010 erhielt er den renommierten Prix de Lausanne und wurde 2015 mit dem Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis ausgezeichnet.
Christopher Evans in »Turangalîla« Foto: Kiran West
Bei den50. Hamburger Ballett-Tage ist Christopher Evans zum letzten Mal als Gustav von Aschenbach von John Neumeiers »Tod in Venedig« (13. Juli) zu erleben. Darüber hinaus tanzt er als als Harlequin und Geist der Rose am 15. Juli in John Neumeiers »Nijinsky« und am 17. Juli in der erfolgreichen Eröffnungsproduktion der Spielzeit, »THE TIMES ARE RACING«. Im Rahmen der feierlichen Nijinsky-Gala L(20. Juli), die den krönenden Abschluss der Spielzeit 2024/25 markiert, steht er ein letztes Mal auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper.
Danach schlägt Christopher Evans ein neues Kapitel auf: Ab der kommenden Spielzeit ist er Mitglied des Badischen Staatsballetts in Karlsruhe – dort trifft er auf Kristina Paulin, einst selbst Tänzerin beim Hamburg Ballett unter John Neumeier. Heute wirkt sie als stellvertretende Ballettdirektorin, Ballettmeisterin und Hauschoreografin. In Karlsruhe wird Christopher Evans seine Karriere fortsetzen.
Lieber Christopher, wir wünschen Dir für alles, was kommt, viel Erfolg, Inspiration und Freude auf Deinem Weg!
Anna Laudere hat als Erste Solistin in ihren 23 Jahren beim Hamburg Ballett viele große Hauptrollen getanzt und kreiert. Darunter unter anderem die Titelrolle in »Anna Karenina«, Marguerite Gautier in »Die Kameliendame« oder die Doppelrolle Hippolyta/Titania in »Ein Sommernachtstraum«. Beim Festival »The World of John Neumeier« in Baden-Baden 2024 verkörpert sie in den beiden Tennessee Williams-Balletten von John Neumeier eine der weiblichen Hauptcharaktere. Im Interview für unseren Blog verrät sie, was das Besondere an diesen Figuren ist und wie sie sich den künstlerischen Herausforderungen stellt.
Du tanzt bei »The World of John Neumeier« in Baden-Baden nicht nur die Hauptrolle der Blanche DuBois in »Endstation Sehnsucht«, sondern gibst auch dein Debüt als Amanda Wingfield in »Die Glasmenagerie«. Beides sind emotional intensive, komplexe Frauenfiguren, die aus der Feder von Tennessee Williams stammen. Was verbindet deiner Meinung nach diese beiden Figuren? Wo liegen ihre Unterschiede?
Anna Laudere: „Ich denke, dass beide Frauen sehr starke Persönlichkeiten sind, die sich in einer schwierigen Situation befinden, in die das Leben sie gebracht hat. Sie gehen mit ihren Herausforderungen um, so gut sie es können, so gut sie es wissen. Beide Rollen sind sehr komplizierte und vielschichtige Charaktere, die viele verschiedene Emotionen in sich vereinen. Amanda habe ich noch nicht in ihrer Gänze kennengelernt, aber ich würde schon jetzt sagen, dass sie mir nahesteht. Ich freue mich also sehr auf die Zeit in Baden-Baden, auf die Proben und die Vorstellungen, um meine Reise mit Amanda zu vertiefen. Da wird Johns Unterstützung sicherlich eine große Hilfe sein, dass er mich anleitet, sie besser kennenzulernen um hoffentlich das Beste aus mir herauszuholen. Ich bin wirklich aufgeregt.“
Sowohl die Rolle der Blanche, als auch die Rolle der Amanda erfordern nicht nur tänzerisches Können, sondern auch schauspielerisches Talent. Wie balancierst du diese beiden Aspekte während deiner Performance, und welche Techniken nutzt du?
Anna Laudere: „Ich würde sagen, es ist Arbeit, Arbeit, Arbeit. Man muss viel proben, viel Zeit investieren. Denn man sollte die Schritte und die Musik so klar haben, dass man nicht darüber nachdenken muss. Sie müssen automatisch in deinem Körper sein. Außerdem sollte man wissen, was die einzelnen Schritte bedeuten, denn die meisten Schritte in Johns Balletten haben eine Bedeutung. Für die tiefe Darstellung der Emotionen ist es wichtig, immer mit vollem Einsatz zu proben. Sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig. Nur so findet man über die Zeit hinweg den richtigen Weg. Johns Ballette sind meistens sehr komplex, weil die Figuren immer eine Menge Subtext haben. Es ist nicht notwendig, dass das Publikum diesen gesamten Subtext kennt, aber wenn man es selber richtig fühlt, dann kann auch das Publikum mitfühlen. Deshalb ist es so wichtig immer beide Seiten, also den Tanz und das Schauspielen zu kombinieren. Für mich ist Johns Anleitung in diesem Prozess absolut notwendig und schön. Denn er sieht jeden Künstler anders. Er sieht, wie er dich weiterentwickeln kann und führt dich in die richtige Richtung. Und auch wenn man eine Rolle schon oft getanzt hat, sollte man sich stetig reflektieren. Denn mit der Zeit verändert man sich und damit verändert sich auch die Rolle in einem selbst. Man kann immer etwas mehr in sie hineinlegen. Und ich denke, das ist das Wichtigste für uns Künstler: immer weiter zu wachsen.“
Das Hamburg Ballett gastiert in diesem Jahr zum 27. Mal in Baden-Baden. Du bist bereits seit 2001 mit dabei, also zum 24. Mal! Wie hast die Kurstadt im Laufe der Jahre empfunden und gibt es Lieblingsorte von dir?
„Ich muss ganz ehrlich sagen, dass Baden-Baden einer meiner absoluten Lieblingsorte ist. Wirklich. Es ist die Atmosphäre, die Natur, die Menschen, und auch das Festspielhaus ist einfach wunderbar. Jeder hier ist so freundlich, so offen und bereit zu helfen. Und das ist meiner Meinung nach alles, was für die Kreativität notwendig ist. Baden-Baden inspiriert mich als Künstlerin jedes Jahr aufs Neue. Und wir haben hier so schöne Ballette aufgeführt. Jedes einzelne Jahr war eine wunderbare Erfahrung. Es ist wirklich einer meiner Lieblingsorte.“
Seit 2019 tanzt der gebürtige Ukrainer Artem Prokopchuk beim Hamburg Ballett und verkörperte seitdem viele verschiedene Rollen wie zum Beispiel Tybalt in »Romeo und Julia« und Der Goldene Sklave und Der Faun in »Nijinsky«. Im Rahmen des Gastspiels des Hamburg Ballett beim Festival »The World of John Neumeier« in Baden-Baden debütiert er in diesem Jahr nun in der Rolle des Stanley Kowalski in John Neumeiers Literaturballett »Endstation Sehnsucht«. Wir haben mit ihm über sein Debüt und seine Vorbereitungen auf die Rolle gesprochen.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Artem, zu deinem Debüt in Baden-Baden! Die Rolle des Stanley Kowalski aus Tennessee Williams‘ Drama »Endstation Sehnsucht«ist eine sehr komplexe Figur mit vielen Facetten. Was bedeutet es für Dich, diese Rolle zum ersten Mal zu tanzen und wie bereitest Du Dich auf die emotionalen Herausforderungen vor, die mit dieser Darstellung verbunden sind?
Artem Prokopchuk: „Es fasziniert mich, in diese Rolle schlüpfen zu können und all das zu erleben, was Stanley zu bieten hat. Dabei ist es eine besondere Ehre und Hilfe, von so vielen Tänzer*innen umgeben zu sein, die ihre Rollen in »Endstation Sehnsucht« schon oft getanzt und tief erkundet haben. Ihre Erfahrungen geben mir Zuversicht. Sie sind zu einem wichtigen Teil der Vorbereitung auf diese Aufführung geworden, und ihr Wissen und Vertrauen haben uns zusammengeschweißt. Derzeit bin ich noch dabei herauszufinden, wie es sich schlussendlich anfühlen wird, Stanley zu verkörpern. Aber ich bin gespannt – und auch ein wenig ängstlich – es zu erfahren!“
John Neumeiers Choreografie ist bekannt für ihre Ausdruckstiefe und musikalische Komplexität. Was ist für dich in Bezug auf die Figur des Stanley besonders wichtig?
Artem Prokopchuk: „Ich fühle eine enorme Verantwortung, mit dieser Figur sorgsam umzugehen. Ich muss im Grunde in die Schuhe von jemandem schlüpfen, der zu ungeheurem Schaden, ungeheurer Gewalt fähig ist. Stanleys Gewalt ist nicht nur physisch; sie ist gleichzeitig auch psychologisch und emotional, und ich hoffe, dass ich das in jedem Blick und jeder Bewegung vermitteln kann. Es ist aufregend, mit einer so komplexen Figur betraut zu werden, und ich bin mit einer Mischung aus Nervosität und Aufregung erfüllt, während ich all die Emotionen durchlebe, die mit der Darstellung von Stanley einhergehen.“
Verrätst Du uns dein persönliches Ritual, bevor Du auf die Bühne gehst?
Artem Prokopchuk: „Bevor sich der Vorhang hebt und das Publikum eintrifft, verbringe ich gerne einen ruhigen Moment auf der Bühne nur für mich selbst. Ich schaue mir die Kulissen an, die mich umgeben, und das Kostüm, das ich trage, versuche die Energie zu spüren, die all das besitzt. Ich danke diesen Kulissen und Kostümen dafür, dass sie mir den Zugang zu einer anderen Seite von mir ermöglichen. Für mich bedeutet das Tanzen von solchen Balletten auch immer in der Zeit zu reisen. Ich versetze mich in eine andere Zeit im Raum, um andere Menschen zu treffen und in manchen Fällen ein anderer Mensch zu sein. Es ist eine Reise, für die ich sehr dankbar bin.“
Vielen Dank für das Gespräch, Artem und TOI TOI TOI!
Wie sieht der Entstehungsprozess einer Choreografie aus? Wie sucht ein*e Choreograf*in seine*ihre Musik aus und warum möchten Tänzer*innen überhaupt choreografieren? Diese Fragen stellen sich bestimmt viele Ballettfans. Als Zuschauer*in sieht man häufig nur das Ergebnis einer Arbeit der Choreografierenden, nicht aber den Prozess dahinter.
Einige der »Jungen Choreografen« haben mir einen Einblick hinter die Kulissen gegeben und viele interessante Hintergrundinformationen preisgegeben.
Das Projekt »Junge Choreografen« ist für viele der Tänzer*innen ein Schritt aus ihrer Komfortzone. So erging es auch beispielsweise Ida Stempelmann und João Santana. Beide sind das erste Mal bei diesem Format dabei, probieren sich mit ihren Choreografien selber aus.
Die Möglichkeit, eigene Stücke einem Publikum zu präsentieren, ist für einige der Choreografierenden der erste Schritt in eine andere Berufsrichtung nach dem professionellen Tanzen. Gabriel Barbosa betont hierzu, dass es den wenigsten Tänzer*innen möglich sei, bis zum Ende ihres Lebens zu tanzen. Für ihn ist klar, Tanzen ist seine Leidenschaft, seine Passion, aber nach seiner Tanzkarriere will er als Choreograf tätig sein. Deswegen baut er beide Karrieren gleichzeitig auf.
Aber wie kommt man nun eigentlich von der Idee bis hin zur endgültigen Choreografie? Der Prozess sieht bei jedem*r Choreograf*in unterschiedlich aus, wie auch die Inspiration für jedes Stück eine andere ist.
»Ich bin der festen Überzeugung, dass es in unserer menschlichen Natur liegt, etwas zu erschaffen«, sagt Priscilla Tselikova. Ihren Leitfaden und ihre Inspiration findet sie in Gott. Andere lassen sich von ihren Tänzer*innen oder von der Musik inspirieren. Gabriel Barbosa nimmt alles als Inspiration, was anderen Leuten als uninteressant und normal erscheint. Er nimmt alltägliche Bewegungen und zeigt ihre eigentliche Einzigartigkeit in seiner Choreografie, denn »ALLES hat Potenzial!«, findet Gabriel. Als Inspiration für die »Jungen Choreografen« dienen aber auch verschiedene Vorbilder wie beispielsweise Pina Bausch für João Santana oder Marcos Morau und Christian Spuck für Lasse Caballero.
Sobald die Inspiration gefunden wurde, geht es in das Studio und die Tänzer*innen verwirklichen die Vorstellungen der Choreografierenden. Diese beiden Schritte, das Finden der Inspiration und das Umsetzen in Bewegungen und Dynamiken, werden in einem Prozess gebündelt.
Und was wünschen sich die »Jungen Choreografen« für ihr Publikum? Gabriel Barbosa fasst es gut zusammen. Sein Ziel, wie auch das der anderen Choreograf*innen, sei es, »das Publikum von der Bühne aus zu berühren«.
Als BallettTester*innen durften Linn, Fabien und Dionissios unsere Wiederaufnahme bereits in der Hauptprobe erleben. Hier erzählen sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.
Am 23.02.24 durfte ich mir die Hauptprobe zu »Odyssee«, inszeniert von John Neumeier und nach dem Epos des Homer, ansehen. Zu Anfang des Stückes sah man unten auf der Bühne Odysseus mit seinem Sohn Telemachos und oben auf den Kulissen des Bühnenbilds die griechischen Götter auf dem Olymp. Ich habe eine Weile gebraucht, um in die Handlung hineinzukommen, auch da sie von Odysseus in der Rückblende erzählt wird. Als ich jedoch verstanden hatte, was gerade passierte, wurde ich vollständig in den Bann gezogen. Die Tänze waren unfassbar beeindruckend und brachten, im Zusammenspiel mit der Musik und dem Licht, die Atmosphäre der Geschehnisse perfekt rüber. Die Musik war besonders und es gab einen Sänger, welcher an einigen Stellen auf Griechisch sang. Auch die Kostüme fand ich wirklich toll. Sie waren sehr unterschiedlich, von wunderschön bis fast schon bizarr war alles dabei. Besonders beeindruckt hat mich das Kostüm des Meeres, das aus Kleidern mit sehr langen Schleppen bestand. Wenn sich die Tänzerinnen darin bewegten, haben sie wirklich den Eindruck kleiner Wellen vermittelt. Und wenn sie darin getanzt haben, habe ich mich oft gefragt, wie sie das überhaupt schaffen.
Ähnlich ging es mir mit dem Kyklopen, auch da fand ich es erstaunlich, wie er in seinem Kostüm so gut tanzen konnte. Die Szenen, die mich am meisten beeindruckten, waren der Überfall auf Ismaros und das anschließende Lazarett. Die Stimmung war sehr bedrückend, was durch die lauter werdenden Geräusche und die Bilder, die auf dem kleinen Bildschirm oben auf dem Olymp gezeigt wurden, noch verstärkt wurde. Ebenfalls sehr toll – und sehr viel fröhlicher – war auch die Szene, als sich Odysseus und sein Sohn, welcher zuvor immer wieder auf der Suche nach seinem Vater zu sehen war, erkennen. Auch das Wiedersehen zwischen dem als Bettler verkleideten Odysseus und seiner Frau Penelope ist toll dargestellt, da man merkt, wie sie immer vertrauter zusammentanzen. Das Ende des Stückes wird von einer großen Gruppe Tänzer:innen rund um Telemachos gebildet, welche in die Verbeugungen übergeht und damit einen tollen Abschluss für das Stück bildet.
Linn, 13 Jahre
Im Rahmen des BallettTester*innen-Angebots des Hamburg Ballett wurde ich zu einer Hauptprobe für das Ballett »Odyssee« eingeladen. Ich war auf diese Probe sehr gespannt, weil ich als Kind eine CD über Odysseus und seine Abenteuer hatte und diese sehr gern und auch häufig hörte. Danach war ich mit dem Mythos von Odysseus eigentlich nur im Lateinunterricht in Kontakt gekommen, der jetzt auch schon ein bisschen zurückliegt. Darum freute ich mich darauf wieder die Sagen von Odysseus erleben und diesmal in einer tänzerischen Interpretation sehen zu können. Die Veranstaltung begann im Foyer der Staatsoper. Nach einer kurzen und sehr freundlichen Begrüßung, in der wir ermutigt wurden, jederzeit Fragen zu stellen, wenn uns etwas interessierte, gingen wir in den Vorführungssaal. Auf der Bühne, die mittig über den Orchestergraben bis hin zu den ersten Sitzreihen des Parketts verlängert worden war, sah man bereits Tänzer, die sich auf die Probe vorbereiteten. In der Mitte des Saals war ein Pult mit verschiedenen Bildschirmen aufgebaut, von dem die Probe geleitet wurde. All diese Eindrücke traten aber schnell in den Hintergrund, als die Lichter gedämmt wurden, die Probe begann und Odysseus und Telemachos auf Fahrrädern über die Bühne fuhren. Diese Idylle war dann bald unterbrochen, als Odysseus in den trojanischen Krieg ziehen musste, dabei trug er nicht Lederrüstung und Kupferschwert, sondern Uniform und Schusswaffe.
Über die nächsten zwei Stunden hielten die Choreografie, die Tänzer und Tänzerinnen und die Musik mich dann in einem Zustand andauernder Faszination und Anspannung. Fasziniert war ich, weil ich all die Geschichten wiedererkannte, die mir aus meiner Kindheit vertraut waren und die jetzt in tollen Kostümen großartig vertanzt wurden. Es war Penelope zu sehen, wie sie sich gegen ihre Freier wehrt und auf Odysseus wartend an einem roten Tuch webt und Kirke, die Odysseus Gefährten in Schweine verwandelt, für den Zuschauer durch lautes Grunzen vernehmbar, und Odysseus Kampf gegen den einäugigen Kyklopen Polyphemos. Es waren darüber hinaus auch Szenen aus der »Odyssee« dargestellt, die ich bisher noch nicht kannte, die dadurch aber nicht weniger stark auf mich wirkten. Diese Abenteuer wurden in einer Art Rückblende erzählt und immer wieder stellte sich bei Odysseus Heimkehr das Meer, symbolisiert von Tänzerinnen in langen blauen Kleidern, in den Weg.
Dabei war das Meer aber nicht Odysseus einziges Hindernis. Die meist bunt und leichtmütig dargestellten Abenteuer von Odysseus, wurden immer wieder unterbrochen von harten, martialischen Szenen von uniformierten Männern, die auch Odysseus immer wieder in seinen kriegerischen, uniformierten Zustand vom Anfang zurückzehrten. Diese Szenen und ein Bildschirm auf der Bühne, der gelegentlich explodierende Gebäude zeigte, führte dazu, dass ich die Abenteuer von Odysseus zwar mit viel Interesse und Freude verfolgte, aber die ganze Zeit auch eine Spannung darüber empfand, wann die nächste gewaltsame Unterbrechung dieser Abenteuer stattfinden würde. Dieser kriegerische Aspekt von Odysseus war eine sehr interessante Ergänzung zu dem Bild vom lustigen und listenreichen Abenteurer, das ich als Kind von Odysseus hatte. Es war eine wirklich tolle Erfahrung, einer Probe beiwohnen zu dürfen und das Ballett hat mir sehr gut gefallen.
Fabien, 25 Jahre
Am Freitag, den 23.02.2024 durfte ich als BallettTester bei der Hauptprobe der Neueinstudierung des Stückes »Odyssee« in der Ballettfassung von John Neumeier zugucken. Das Stück war zunächst ungewöhnlich aufgebaut und hatte eine interessante Atmosphäre. Die Gesten und Bewegungen wirkten rau und teilweise hektisch. Die Reihenfolge, in der das Geschehen erzählt wird, wurde in Hinblick auf das Originalepos von Homer verändert. Ich fand es aufregend dem Stück zuzugucken, denn die Balletttechnik war super. Jedoch fand ich das Verändern der Sicht als Rückblende der Ereignisse auf der Insel eher verwirrend. Wenn man das Stück »Odyssee« nicht schon viele Male geschaut und die Ereignisse im Stück alle schon kennt, ist es schwer zu folgen. An manchen Stellen war es schwer zu verstehen, in welchem Teil man sich gerade befand. Die Interpretation an sich fand ich jedoch super. Schon vor dem Ballettstück gab John Neumeier Auskunft über seine Ansicht auf das Thema Krieg und im Ballett wurde es deutlich. Die Idee, dass Odysseus gebrochen vom Krieg sein musste und seinen Zustand mit dem Krieg heutzutage zu verknüpfen, fand ich einmalig. Somit wirkte das Stück nicht nur schön, sondern auch aktuell. Normalerweise mag ich moderne Umsetzungen von klassischen Stoffen nicht so gerne, dieses war aber gut umgesetzt. Auch die traditionelle Musik hat da gut hereingespielt. Das Stück hat nicht nur von der schönen Technik gelebt, sondern auch von der Idee. Zu sagen, dass das, was ich auf der Bühne sah, mich schon im Moment der Probe in Staunen verursacht hat, wäre generell falsch. Es ist einer der Auftritte, die erst im Laufe der Zeit sacken und einen Denkanstoß geben. Die modernen Ansätze fielen natürlich sofort auf.
Der kleine Bildschirm mit den modernen Kriegsaufzeichnungen, der Kyklop mit dem beeindruckenden Monsterkostüm und die Maschinengewehre in den Händen, haben das Ballettstück bereichert. Dass auch die antike griechische Musik miteingebracht werden konnte, spricht für die einmalige Umsetzung. Zudem war das Bühnenbild in einem einfachen, aber passenden Stil gestaltet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mir die Neueinstudierung von John Neumeier sehr gefallen hat, sie meiner Meinung nach gut umgesetzt wurde und tiefgründig ist. Die technische Leistung war auf dem höchsten Niveau. Das Stück braucht auf jeden Fall Zeit, damit man es überdenken kann.
Das Bundesjugendballett tanzt beim Festival »The World of John Neumeier« zwei Vorstellungen im Kurhaus Baden-Baden und kooperiert dabei erstmalig mit der jungen norddeutschen philharmonie. Der junge israelisch-amerikanische Dirigent Ilya Ram ist derzeit als musikalischer Leiter des Leipziger Univesitätsorchesters und des Akademische Philharmonie Heidelberg tätig und dirigiert bei den Auftritten des BJB die jnp. In drei Fragen beantwortet er wie es ist, die junge norddeutsche philharmonie zu dirigieren, warum er gerne mit Tänzer*innen arbeitet und was das Besondere an der Baden-Badener Fassung von »Der Bürger als Edelmann« ist.
Die junge norddeutsche philharmonie ist ein Jugendorchester, das hauptsächlich aus Studierenden deutscher Musikhochschulen besteht und weitgehend ehrenamtlich organisiert wird.Wie ist es für dich dieses Orchester zu dirigieren? Ist es dein erstes Mal?
Iyla Ram: Ich freue mich sehr, die junge norddeutsche philharmonie zu dirigieren! Das Projekt mit dem Bundesjugendballett ist tatsächlich mein erstes Mal und ich bin mehr oder weniger durch einen glücklichen Zufall dazugekommen: Eine Kollegin hat mir empfohlen, die jnp zu kontaktieren und just genau an diesem Tag hatte der Dirigent, der ursprünglich für dieses Projekt angedacht war, abgesagt. Ich finde die Arbeit der jnp extrem wichtig! Sie ermöglicht jungen begabten Musiker*innen Erfahrung zu sammeln und in vielen verschiedenen, interessanten Projekten zu spielen, wie zum Beispiel diese Kooperation mit dem BJB. Das ganze Team und auch alle Musiker*innen sind so gut und professionell, dass mir die Arbeit ganz viel Freude bringt.
Worauf musst du insbesondere achten, wenn du für Tanz dirigierst? Hast du darin Erfahrung?
Iyla Ram: Ich liebe es, mit und für Tänzer*innen zu musizieren. Ich hatte schon die Gelegenheit, ein paar Ballett Vorstellungen von »Schwanensee« in Chemnitz vom Graben aus zu dirigieren und das war eine wirklich besondere Erfahrung für mich – bester Platz im ganzen Haus! Ich kann natürlich nur aus meiner Erfahrung sprechen, aber ich glaube, dass viele Menschen denken, dass es im Zusammenspiel von Musik und Tanz nur um ein spezielles »Tempo-Halten« geht. Ich finde es aber viel wichtiger, musikalisch und vor allem durch die Phrasierung die Tänzer*innen zu unterstützen. Es geht immer um den Flow der Musik. Natürlich sollte man eine Idee haben, wie die Choreografie funktioniert und nach welchen Tempovorstellungen diese entstanden ist. Aber gute Tänzer*innen, wie zum Beispiel die des BJB, sind wirklich musikalisch und dadurch wird das, was auf der Bühne passiert zu einer spannenden, herausfordernden und besonderen Aufgabe für mich.
Für die Aufführungen mit dem Bundesjugendballett wurde Richard Strauss »Der Bürger als Edelmann« extra von Esin Aydingoz und Emre Ozer für eine kleinere Besetzung arrangiert. Was ist das Besondere an dieser Fassung?
Iyla Ram: Das Arrangement ist wirklich grandios! Die Originalfassung von Richard Strauss ist eine besondere Komposition von ihm, weil sie viel mehr in der Richtung des Neoklassizismus geht, als andere Stücke, die wir sonst von Richard Strauss kennen. Ich finde es wirklich traumhaft, wie Esin und Emre das Stück für eine kleinere Besetzung von dreizehn Musiker*innen arrangiert haben. Das bringt diese Besonderheit viel mehr raus. Es ist im Kern ein Kammerstück, und durch die Bearbeitung hört man das jetzt auch. Obwohl das Arrangement für die musizierenden Musiker*innen durch die kleinere Besetzung sehr herausfordernd ist, wird das Publikum das nicht merken, weil die Musiker*innen so gut sind.
Im Dezember 2022 feierte John Neumeiers jüngste Kreation »Dona Nobis Pacem« ihre Uraufführung in Hamburg. Nun ist das Ballett im Rahmen von John Neumeiers Festival »The World of John Neumeier« zum ersten Mal in der Kurstadt Baden-Baden zu erleben. Aleix Martínez beantwortet drei Fragen über die Musik von Johann Sebastian Bach, seine Rolle »ER«und den Kreationsprozess mit John Neumeier.
John Neumeier hat sich für sein Ballett »Dona Nobis Pacem« für die h-Moll Messe von Johann Sebastian Bach entschieden. Was für einen Bezug hast du zu dieser Musik?
Aleix Martínez: Ich denke, dass die Musik von Johann Sebastian Bach etwas wirklich Tiefes in jedem Menschen berührt. Für mich geht es nicht primär um das Verstehen, sondern eher mehr um das Gefühl und die universelle Idee seiner Musik. Für mich persönlich steht auch nicht die Religion im Fokus, obwohl ich natürlich weiß, dass es sich um eine Messe handelt und ich empfinde, dass es ein riesiges, gehaltvolles Werk ist. Aber ich versuche eher die Essenz der Musik zu finden, mich loszulösen von allen Interpretationen und Fakten, die es auch im wissenschaftlichen Kontext über dieses Werk gibt. Und auch wenn John Neumeier die Musik vielleicht aus einer anderen Perspektive anhört, sehe ich darin – und das ist meine persönliche Meinung – die Suche nach dem Unbekannten oder den Versuch, einen gewissen Sinn im Unbekannten zu finden. Antworten auf die vielen Fragen zu finden, die wir nicht wirklich beantworten können. Ich würde also sagen, für mich hat die Musik fast den gegenteiligen Effekt. Ich hinterfrage durch die Musik eher, was vielleicht der Glaube ist. (lacht) Das ist für mich auch eine Stärke dieser Musik: es gibt kein richtig und kein falsch, es gibt nur die persönliche Emotion, die die Musik in jedem Menschen auslöst.
Du hast bereits mehrere große Rollen für Ballette wie »Anna Karenina«, »Beethoven-Projekt I« und »Beethoven-Projekt II« mit John Neumeier kreiert. Was ist das Besondere an deiner Rolle »ER« in »Dona Nobis Pacem«?
Aleix Martínez: Es ist schwer zu sagen, was besser oder schlechter ist, denn es ist immer anders. Jede Kreation, jede Produktion ist anders. Manchmal gibt es bei Balletten wie zum Beispiel »Anna Karenina« eine sehr starke Dramaturgie oder eine vorgeschriebene Handlung, auf der die Geschichte und Choreografie aufbaut. Das ist dann eine andere Herangehensweise und in der Hinsicht habe ich bei der Kreation von DNP eine große Freiheit empfunden. DNP berührt für mich Themen, die universell sind. Ich fühle, dass ich in der Choreografie sowohl über die Gegenwart, die Vergangenheit und vielleicht auch die Zukunft spreche. Und die Kraft dieser Arbeit – was ich erlebe, während ich auf der Bühne stehe oder auch schon in der Kreation erlebt habe – ist die Möglichkeit, mich immer wieder zu hinterfragen. Immer wieder zu hinterfragen, was wir als Menschheit im Allgemeinen tun. Woran wir glauben. Worum wir bitten und wen wir um Hilfe bitten. Ich kann also keine klare Antwort auf die Frage geben, was das Besondere an der Rolle ER ist. Denn es hat viel damit zu tun, was ich fühle.
Wie kann man sich den Kreationsprozess eines neuen Balletts von John Neumeier vorstellen?
Aleix Martínez: Nun, es gibt immer eine gewisse Aufregung, wenn man etwas Neues beginnt. Besonders bei der Arbeit mit einem so großartigen Künstler wie John. Als Choreograf hat John sein Vokabular über viele Jahre hinweg entwickelt und ich darf nun Teil eines dieser Kapitel sein. Mittlerweile würde ich sagen haben wir eine künstlerische Beziehung aufgebaut und ich fühle mich sehr frei, auch im Studio mit ihm zu forschen. Das ist für mich das Interessanteste, dass ich nicht nur ein Instrument bin, sondern aktiver Teil des Prozesses. Ich versuche jedes Mal herauszufinden, was er will, und in welche Richtung wir gehen können. Manchmal wissen wir das beide nicht und das ist auch ok, denn dann entwickelt sich etwas zwischen dem Schöpfer und dem Tänzer. Und wenn man kreiert, gibt es nichts Richtiges, nichts Falsches. Es geht immer um das, was in dem Moment passiert, und daraus können viele Dinge entstehen. Im Prozess ist es für mich wichtig, mich genau wie bei der Musik von Bach von allem, was ich über John weiß, frei zu machen. Wenn ich mich vollkommen in den Künstler hineinversetzen kann, mich wirklich mit der Essenz seiner Arbeit verbinden kann, ist das für mich das Wesentliche.
Als BallettTester*innen durften Sophie, Judith und Sammy unsere Wiederaufnahme bereits in der Hauptprobe erleben. Hier erzählen sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.
In der Staatsoper durfte ich das erste Mal bei einer Hauptprobe eines professionellen Ballettstückes zuschauen. Das Stück von Tennessee Williams kannte ich vorher nicht, weshalb ich umso aufgeregter war, die Geschichte auf mich zukommen zu lassen. Wir werden in den Saal geführt und dürfen gemeinsam mit den Fotografen, Technikern und John Neumeier selbst Platz nehmen. Die Stimmung ist ganz anders als bei einer ausverkauften Vorstellung. Irgendwie entspannter, aber deshalb auch umso spannender. Und dann geht der Vorhang auf. Die starken Emotionen von Blanche kommen mit jeder Szene mehr und mehr zum Vorschein. Besonders ihre Wut am Tage ihrer Hochzeit sowie ihr großer Schmerz im 2. Akt, am Höhepunkt des Geschehens, gehen einem sehr unter die Haut. Mit einer Mischung aus klassischem und modernem Ballett wird ihr Charakter und ihre Geschichte verkörpert, was mir sehr gefiel.
Der Ausdruck ihrer inneren Gefühle wird nochmal verstärkt durch das Zusammenspiel aus Musik und Stille. Die Musik baut sich immer mehr auf, bis sie zu einem ohrenbetäubenden Klang wird und im nächsten Moment herrscht Schweigen. An einigen Höhepunkten hört man nur einen Schuss, der so laut ist, dass man nicht anders kann, als sich zu erschrecken. Je weiter das Stück voranschreitet, desto mehr gehen Realität und Illusion ineinander über. Das Bühnenbild schmilzt dahin und fällt in sich zusammen, was die Situation des Geschehens und der Charaktere sehr gut widerspiegelt und zu einem eindrücklichen Bild führt. Bühnenbild und Requisite sind nicht nur im Hintergrund des Stücks, sondern werden wichtige Teile der Geschichte, wodurch ein emotionales Gesamtbild entsteht. Das Ende ist eher simpel, aber ergreifend. Die Erzählung macht einen Bogen und schließt wieder an den Anfang an, auf den man nun mit anderen Augen schaut. Man versteht jetzt die Umstände von Blanches Situation und ihre Vergangenheit, doch die Zukunft bleibt offen. Insgesamt ein zutiefst ergreifendes und emotionales Erlebnis.
Sophie, 21 Jahre
»Endstation Sehnsucht« ist ein sehr emotionales Ballettstück. Beginnend in der Irrenanstalt lernt man Blanche kennen. Sie so zu Beginn und am Ende zu sehen, ist für den Zuschauer sehr schockierend. Hingegen die Hochzeit in Belle Rêve verzaubert den Zuschauer: Für diesen Moment taucht man in eine andere, sehr pompöse und friedliche Welt ein. Die festliche Kleidung und die harmonische Stimmung auf dem Ball imponieren sehr. Besonders beeindruckend wirkte der Auftritt von ihrem Mann Allan Gray. Eine wirklich romantische Hochzeit und doch nimmt der Hochzeitstag ein tragisches Ende.
Der Tod ist plötzlich allgegenwärtig und das beachtliche Familienanwesen wird verloren. Die tatsächlich fallenden Schüsse sowie die Sirene haben die Dramatik des Stücks nochmals verstärkt. Im zweiten Teil ist der Wechsel der Kulisse sowie insbesondere der Musik sehr auffällig. Hier ist es den Darsteller*innen gelungen, die intimen Momente, die Gewalt und die damit einhergehenden Emotionen aufzuzeigen. Die Szene an den Straßenbahnschienen vermittelt dem Zuschauer das Gefühl, zur damaligen Zeit in New Orleans zu sein.
Mit der erneuten Darstellung der Irrenanstalt, schlicht durch das eine Bett als Hauptrequisite, endet das Drama. Hier zeigt die Hauptdarstellerin erneut auf beeindruckende Weise, wohin sie das Drama schließlich brachte. John Neumeier ist mit seinen Künstler*innen eine erfolgreiche Wiederaufnahme des Stücks gelungen!
Judith, 30 Jahre
John Neumeier, einer der renommiertesten Ballettchoreografen unserer Zeit, hat wieder sein Können mit »Endstation Sehnsucht« unter Beweis gestellt. Dieses Ballett, das auf Tennessee Williams‘ gleichnamigem Theaterstück basiert und von Sergej Prokofjews und Alfred Schnittkes Musik begleitet wird, entführt das Publikum in eine Welt der zerrissenen Träume, der Leidenschaft und des emotionalen Aufruhrs.
Die Hauptdarsteller waren sehr gut. Die Primaballerina verkörperte Blanche DuBois mit einer tiefen Emotionalität und einer kraftvollen Bühnenpräsenz. Ihr Tanz war anmutig und gleichzeitig zutiefst ausdrucksstark. Der männliche Hauptdarsteller brachte Stanley Kowalskis animalische Energie und Brutalität in jeder Bewegung zum Ausdruck. Die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren war spürbar.
Die eindringliche Musik verlieh der Handlung eine emotionale Tiefe. Die schweren, melancholischen Melodien schufen eine bedrückt-angespannte Atmosphäre, die die emotionalen Nuancen der Handlung unterstrich. Ich schätze dieses Ballett wegen seiner emotionalen Unverfälschtheit. Es hinterlässt Eindruck.