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Bei einer Probe von »Brahms/Balanchine«

Zwei Klassen der Erika Klütz Schule für Tanzpädagogik besuchten in dieser Woche Bühnenproben zur Premiere des Ballettabends »Brahms/Balanchine«. Geprobt wurde der erste Teil des Abends, Balanchines Choreografie »Liebeslieder Walzer«. Für unseren Blog haben Lucia und Linn ihre Eindrücke aufgeschrieben.

Am Donnerstag hatten wir als Schülerinnen und Schüler der Erika Klütz Schule das Glück, bei einer Bühnenprobe des Hamburg Ballett in der Hamburgischen Staatsoper zugucken zu dürfen. Geprobt wurde der erste Teil aus dem Ballettabend »Brahms/Balanchine«, der aus zwei Choreografien George Balanchines besteht und zur Musik von Johannes Brahms am kommenden Sonntag erstmalig in Hamburg aufgeführt wird.

Als wir den großen, leeren Saal der Staatsoper betraten, hatte die Probe noch nicht begonnen. Bühnentechniker in Turnschuhen und schwarzen Jeans liefen über die Bühne, das Bühnenbild wurde gerade aufgebaut und auch der schwarze Behang der Bühnenwand war noch nicht heruntergelassen. Man konnte deshalb tief in die Bühne hineingucken, deren hinterer Teil aussah wie ein Baumarktlager mit vielen Brettern, Eisenstangen und sogar kleinen Fahrzeugen.

Auch kam es mir komisch vor, dass Menschen in Straßenkleidung einfach auf der Bühne herumstanden, sich unterhielten und herumliefen, ohne sich dabei dem Zuschauerraum zuzuwenden. Denn eine Bühne, vor allem die einer Oper, hatte ich bisher nur als öffentlichen, besonderen Ort gesehen, auf der es keinen Raum für Alltägliches, Uneinstudiertes und Beilläufiges gibt.

Es war toll, Edvin Revazov, den ich schon zwei Mal auf der Bühne tanzen gesehen habe, zuzusehen, wie er sich ganz privat am Bühnenrand aufwärmt. Eine Pianistin spielt sich ein, dann kommt ein zweiter Pianist dazu und sie spielen gemeinsam, vollkommen synchron, hören jedoch auch gleich wieder auf. Plötzlich kommt eine Ballerina in ungebundenen Spitzenschuhen, deren Bänder lose auf dem Boden schleifen, über die Bühne gelaufen. Immer mehr bekannte Ballettgesichter tauchen auf wie zum Beispiel Carsten Jung. Auch zwei Sängerinnen und zwei Sänger, ebenfalls in privater Kleidung, stellen sich auf, der Vorhang schließt und öffnet sich, die Probe beginnt.

Silvia Azzoni und Alexandre Riabko proben ihr Pas des deux © Kiran West

Auf einmal sind die Tänzerinnen und Tänzer nicht mehr privat, sondern tanzen auf der Bühne so, als ginge es dabei nicht um das Einstudieren eines Stückes in Abstimmung mit der musikalischen Begleitung, sondern als wäre dies nun schon die eigentliche Aufführung. Sie wirken vollkommen eingenommen von ihrem Tanz und Schauspiel, drücken Freude, Leid oder Ernsthaftigkeit durch ihre Mimik aus und nichts an ihren Bewegungen und ihrem Ausdruck verrät, dass sie »lediglich« bei einer Probe sind. Dennoch brechen Tanz, Musik und Schauspiel manchmal nach mehreren Minuten oder schon nach einigen Sekunden schlagartig ab, wenn die Stimme eines Ballettmeisters auf Englisch, verstärkt durch ein Mikrofon, unterbricht und Korrekturen gibt.

Bei den meisten Korrekturen ging es um die Abstimmung der musikalischen Begleitung auf den Tanz und umgekehrt. Besonders Sänger und Pianisten wurden oft unterbrochen und mussten sich in ihrem Tempo der Choreografie anpassen. Die Konzentration, Professionalität und die Genauigkeit aller Teilnehmer der Probe, bei der ich für 90 Minuten zuschauen durfte, hat mich besonders beeindruckt. Nach genau 90 Minuten wurde die Probe schlagartig beendet, der Vorhang fiel ohne Beifall und alle Beteiligten gingen geschäftig davon, um zur nächsten Tagesordnung überzugehen. Als wäre der eben gezeigte Tanz, Gesang und die Musik, die mich alle so beeindruckt haben, etwas ganz Selbstverständliches.

Bericht vom 6. Dezember 2018 von Lucia, Schülerin der 2. Ausbildungsklasse der Erika Klütz Schule, staatlich anerkannte Berufsfachschule für Tanzpädagogik.

Sara Ezzell und Matias Oberlin feilen an ihrem Pas de deux © Kiran West

Als wir am Donnerstag den 1. Rang der Staatsoper betraten, fiel mir als erstes die Größe der Bühne auf. Bei vorigen Besuchen der Oper habe ich nie hinter die Kulissen sehen können, aber nun sah ich, dass die Bühne zweimal so groß ist als nur der Teil, den man als Zuschauer sieht. Überall liefen Bühnenarbeiter herum und bauten das Bühnenbild auf, welches aus drei großen Flügeltüren und ein paar kleinen Sofas und gepolsterten Stühlen bestand. Während noch an der Aufhängung der Türen getüftelt wurde, betrat der erste Tänzer die Bühne und machte sich warm. Er führte an einem Seitenteil der Bühne ein schnelles Exercise durch. Dabei sah er sehr entspannt aus und machte alles in Ruhe. Als das Bühnenbild gerade stand, huschte die erste Tänzerin in Trainingskleidung über die Bühne. Die Pianistin und der Pianist sowie das Gesangsquartett fanden sich am Flügel zusammen. Nun schien alles bereit und nachdem alle Beteiligten ein gemeinsames Foto machten, ging es los.

Die Ballettmeister zogen sich in das Parkett zurück, um die Probe gut inspizieren zu können. Die Tänzerinnen zogen sich schnell ihre Röcke an und die Sänger zückten ihre Noten. Der Vorhand ging zu und ich sah noch schnell die Tänzer auf ihre Positionen schreiten. Die Musik begann, der Vorhang ging auf und die Tänzer tanzten Wienerwalzer. Sofort kam man sich vor wie bei einer echten Aufführung. Mir fiel auf, dass die Tänzer und Tänzerinnen in der ersten Hälfte nicht in Ballettschläppchen und Spitzenschuhen tanzten, sondern in Absatzschuhen, was ich sehr ungewohnt fand. Obwohl Kostüme und die richtige Beleuchtung fehlten, war man wie verzaubert und konnte nur noch die schwungvollen, eleganten Bewegungen der Tanzpaare ansehen. Ich war durch das simple Bühnenbild und die Musik sofort in einen edlen Ballsaal aus einer anderen Zeit versetzt.

Silvia Azzoni trägt besondere Absatzschuhe, sie probt mit Alexandre Riabko © Kiran West

Insgesamt waren es acht Tänzerinnen und Tänzer, also vier Paare. Die Tänzer tanzten abwechselnd alle zusammen, zu zweit, zu dritt und seltener zu viert. Ich unterscheide sie im Folgenden anhand der Farbe der Trikots und Röcke der Damen: Es gab das Paar mit der Tänzerin im grünlichen Rock. Dieses Paar fiel mir von Anfang an am meisten auf, da der Tänzer so jung aussah und die Tänzerin eine melancholische Rolle darzustellen schien. Bei ihrer Art zu tanzen musste ich an russische Folklore aus unserem Unterricht denken, weil die Tänzerin so traurig und melancholisch wirkte. Mir kam in den Kopf, dass sie ihren Rollenpartner vielleicht mag, ihn aber nicht wirklich liebt. Oder dass sie sich zu ihm hingezogen fühlt, aber nicht mit ihm zusammen sein darf. Er war sehr zuvorkommend und lieb, doch sie wies ihn hin und wieder ab. Am Ende ihres ersten Pas de deux kniet er vor ihr nieder und sie legt ihm die Hand zärtlich aufs Haar. Diese Bewegung ist mir besonders aufgefallen und hat in mir wieder das Gefühl ausgelöst, dass dieses Paar noch jung ist und miteinander sehr vorsichtig umgeht.

Teil des nächsten Paars war eine Tänzerin im pinken Rock. Sie wirkte sehr selbstbewusst, genau wie ihr Partner, doch hatte ich das Gefühl, dass sie ein wenig kess mit ihm spielte, weil sie oft wegging und sich von ihm bitten ließ, als wäre sie eine kleine Prinzessin. Er war sich dessen bewusst, konnte ihr aber nicht widerstehen. Sie war auch die erste Tänzerin, die mit zwei Männern tanzte und dem anderen Mann hinterher guckte, dann aber doch mit ihrem Partner ging. Meiner Meinung nach hatten sie im zweiten Teil eines der schönsten und zärtlichsten Pas de deux des Stücks.

Die Tänzerin des dritten Paars trug ein violettes Oberteil, sie und ihr Partner tanzten innig, aber ausgelassener. Sie tanzten wie frisch verliebt. Im Laufe des Stücks hatten sie einen Streit wie mir schien, weil sie jeweils kurz alleine getanzt haben, als hätten sie ein Wortgefecht. Am Ende des Liedes rannte sie ohne ihn von der Bühne, als ob sie verletzt wäre. Bei diesem letzten Paar war auffällig, dass beide temperamentvoll waren und sie mir reifer vorkamen. Sie tanzten manchmal auch ungefasst oder alleine, doch fand ich das sehr harmonisch und trotzdem beieinander. Sie vertrauten sich und spielten trotzdem ein wenig miteinander. Auch als die Tänzerin mit zwei Männern tanzet, hatte ich das Gefühl, dass er ihr vertraute, nicht so wie der Partner der Dame im pinken Rock.

Patricia Friza und Carsten Jung bei einer Probe von »Liebeslieder Walzer« © Kiran West

Mir gefiel an der Probe, dass man einmal sehen konnte, wie die Bühne ohne Bühnenbild aussieht und wie schnell die Tänzer bei einer Unterbrechung durch die Regie aus- und genauso schnell wieder in die Rolle wechselten. Das Stück hatte zwar keine offensichtliche Handlung, doch war die Choreografie so raffiniert, dass sehr schöne Bilder und Linien zu sehen waren, besonders als alle acht Tänzer zusammen tanzten. Auch ohne Handlung waren viele Gefühle durch große Sprünge sowie kleine Gesten, Blicke und Neigungen des Kopfes zu erkennen.
Ich habe hier berichtet, was ich persönlich gesehen und gefühlt habe beim Zuschauen, und möchte mich im Namen der Schüler für diese Gelegenheit bedanken, bei den Profis zugucken zu können.

Bericht vom 6. Dezember 2018 von Linn, Schülerin der 2. Ausbildungsklasse der Erika Klütz Schule, staatlich anerkannte Berufsfachschule für Tanzpädagogik. Hier geht es zum Bericht des zweiten Probenbesuchs.