Bienen fürs Ballettzentrum
Es summt und brummt im Ballettzentrum. Seit einigen Tagen wohnt ein Bienenvolk auf dem Dach des Fritz Schumacher-Baus in Hamburg-Hamm. Wir haben den Hobby-Imker Björn Schumann bei der Aufstellung des ersten Bienenkastens begleitet.
Dienstagmorgen, 8.30 Uhr. Nach zwei Vorbesuchen des Imkers und dem Aufbau des Podests auf dem Dach ist es heute endlich soweit: Die Bienen kommen! Wir treffen Björn Schumann mit seinen Bienen im Foyer des Ballettzentrums – noch ist der Kasten gut verschlossen, aber gleich sollen die Bienen ihre neue Umgebung erkunden können. Dafür geht es mit dem Aufzug in den dritten Stock, dann noch zwei Treppen nach oben und über eine Leiter durch die Luke auf das Flachdach. Hier hat der Hobby-Imker hinter einem Mauervorsprung einen geeigneten Platz gefunden: »Die Bienen mögen es am liebsten sonnig, aber windgeschützt. Da das Dach etwas abschüssig ist, habe ich zuerst ein Podest gebaut und ins Lot gebracht – denn die Bienen mögen es gerade. Wenn der Kasten nicht gerade ausgerichtet ist, bauen sie auch ihre Waben schief«, erklärt Björn Schumann. Ca. 20 000 Bienen der Gattung »Carnica« leben in dem Bienenkasten, auch Beute genannt; in den nächsten Wochen sollen noch zwei weitere Völker dazu kommen.
Die Idee zu diesem Projekt kam von Birgit Paulsen, Assistentin der Ballettbetriebsdirektorin, die das Prinzip der privaten Bienenhaltung zum ersten Mal bei einem Sommerfest auf dem Dach des Azubi-Werks in Hamburg sah, in dem einige Schüler aus der Ballettschule des Hamburg Ballett untergebracht sind. Über das Azubi-Werk wurde der Kontakt zu Björn Schumann hergestellt, der die Bedingungen auf dem Dach des Ballettzentrums prüfte und sich gerne bereit erklärte, die Aufstellung und Pflege der Bienenkästen zu übernehmen. Der 32-Jährige ist hauptberuflich Filialleiter einer Sparkasse – doch seit vier Jahren beschäftigt er sich hobbymäßig mit der Imkerei. In seinem eigenen Garten stehen momentan acht Bienenbeuten, in denen ungefähr 100 kg Honig lagern.
Auch unsere Ballett-Bienen werden schon bald den ersten Honig produzieren. Ab einer Größe von 20.000 Bienen erwirtschaftet ein Volk mehr Honig, als es verbraucht, erklärt Björn Schumann. In diesem Jahr können wahrscheinlich schon drei bis vier Kilogramm geerntet werden. Im nächsten Jahr, wenn alle drei Völker arbeiten, wird es deutlich mehr sein. Um Pollen und Nektar zu finden, können Bienen einen bis zu 5 km großen Radius absuchen – vorausgesetzt, dass sie in der direkten Umgebung kein Futter finden. Soweit werden unsere Bienen aber nicht fliegen müssen: »Da in der Umgebung des Ballettzentrums viel blüht, werden die Bienen keine Probleme mit der Nahrungssuche haben. Als erstes werden sie wahrscheinlich die Lindenbäume gegenüber entdecken, die zu dieser Zeit noch in voller Blüte stehen«, erklärt der Imker. »Und wenn sich die Bienen erstmal auf die Linden eingeflogen haben, werden sie nicht nach anderen Quellen suchen, bis die Linden verblüht sind. Das nennt man ›blütentreu‹. Selbst wenn wir ihnen direkt neben ihren Kasten eine Pflanze stellen würden, die Nektar hat, würden sie diese ignorieren, so lange der Lindenbaum noch trägt.«
Unser Ballett-Honig entsteht also tatsächlich aus Pflanzen in der nahen Umgebung des Ballettzentrums; der erste Honig wird sehr wahrscheinlich Lindenhonig sein. Erst im nächsten Jahr, wenn die Bienen nach der Winterpause wieder losfliegen, werden sie sich eine neue Nahrungsquelle suchen. Der hauseigene Garten des Ballettzentrums oder der nahe gelegene Hammer Park liefert den Bienen eine große Auswahl. Gerade deshalb bietet sich die Haltung von Bienen in der Stadt an, erläutert Björn Schumann: «Sie fühlen sich in der Stadt eigentlich viel wohler als auf dem Land. Dort herrscht meist Monokultur – wenn die Nahrungsquelle z.B. das Rapsfeld verblüht ist, wird es für die Bienen schwer, etwas anderes zu finden. Dazu kommt, dass die Wälder von den Förstern zu stark ›aufgeräumt‹ werden und die Bienen fast keine natürlichen Behausungen wie umgefallene Bäume finden können. In der Stadt blüht immer etwas – sei es auf Balkons, in Kleingärten oder in Parks. Und die Bienen finden außerdem ausreichend Wasser.« Denn gerade wenn es draußen warm ist, brauchen Bienen viel Wasser, um den Bienenstock zu kühlen.
Nachdem die Bienen auf dem Podest platziert wurden, öffnet Björn Schumann das kleine Flugloch an der unteren Seite des Kastens. »Wenn ich den Kasten jetzt komplett öffnen würde, flöge wahrscheinlich die Hälfte des Volkes hinaus und würde umherschwirren, da sie noch orientierungslos sind. Das würde zu viel Chaos verbreiten. Wir lassen es seinen natürlichen Gang gehen, indem ich nur das kleine Flugloch öffne.« So können die ersten Bienen den Stock verlassen und die nähere Umgebung erkunden. Sie fliegen dabei im Kreis, fast spiralförmig auf und ab und bleiben in der Nähe des Bienenkastens. Für uns interessieren sich die Bienen nicht besonders – sie sind viel zu beschäftigt mit der Orientierung, erklärt der Imker. Diese Erkundungsflüge können bis zu zwei Tage andauern. Wenn sich die Bienen orientiert und die Lindenbäume entdeckt haben, werden sie nur noch die Strecke zwischen Bienenstock und Baum zurücklegen, ihre Flugbahnen sind fest einprogrammiert. Deswegen darf der Kasten nach dieser Phase nicht mehr umgestellt werden – die Bienen würden ihn sonst nicht mehr finden. Ein Viertel bis ein Drittel des Volkes ist dann mit dem Eintragen von Nektar beschäftigt.
Wie konnte Björn Schumann überhaupt sichergehen, dass er das ganze Volk im Kasten für den Transport eingeschlossen hat? »Gestern Abend habe ich das Flugloch geschlossen. Wenn es dunkel wird, verlassen die Bienen den Stock nicht mehr. Deswegen kann man ziemlich sicher sein, niemanden vom Volk getrennt zu haben. Und falls doch noch die eine oder andere Biene unterwegs war, findet sie Unterschlupf in einem der anderen Stöcke in meinem Garten. Die Bienen bringen Pollen oder Nektar als Gastgeschenk mit, um die Erlaubnis zu bekommen, sich dem neuen Volk anschließen zu können. Denn die Wächterbienen erkennen am Geruch, dass es fremde Bienen sind. Bei einem guten Gastgeschenk gewähren sie aber durchaus mal einer fremden Biene den Zutritt«, erklärt er schmunzelnd.
Der Kasten auf dem Dach des Ballettzentrums ist der zehnte Kasten, den Björn Schumann privat aufgestellt hat. Die Nachfrage steigt, seit die mediale Berichterstattung zum Insektensterben zunimmt und das Thema in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt ist. Aufwendig ist die Betreuung nicht, sagt er. Aber man muss sich zunächst viel Wissen aneignen. Mehrere Fortbildungen hat er besucht, viele Bücher gelesen und Videos geschaut: »Mindestens drei Jahre braucht man, um wirklich gut vorbereitet zu sein.«
Wie geht es nun weiter mit unseren Bienen? »Am Anfang komme ich einmal in der Woche, um nach dem Rechten zu sehen. Ich überprüfe, ob genügend Futter vorhanden ist und die Bienen ausreichend freie Rähmchen für den Wabenbau haben. Ende September werden die Bienen für den Winter vorbereitet, sie werden gegen eine spezielle Milbenart behandelt und ihre Futtervorräte werden überprüft – ca. 20 Kilo Honig brauchen sie, dann können sie ohne Betreuung bis zum Frühjahr überwintern.« Kritischer kann es im Frühjahr werden, wenn es plötzliche Kälteeinbrüche oder starken Regen gibt, sagt Björn Schumann: »Kälte oder Regen mögen die Bienen nicht. Wenn sie schon Brut angelegt haben und deswegen viel Futter verbrauchen, aber nicht ausfliegen können, muss man mit Zuckerwasser nachhelfen. Damit die Brut überlebt, muss das Innere des Bienenstocks nämlich auf fast 40°C erwärmt werden. Die Wärme erzeugen die Bienen selbst. Wenn die Außentemperaturen plötzlich fallen, brauchen die Bienen viel ›Treibstoff‹, um diesen Temperaturunterschied auszugleichen.«
Bald werden die nächsten zwei Bienenkästen aufgestellt – nach dem Winter beherbergt das Ballettzentrum auf seinem Dach dann drei Bienenvölker, die fleißig Honig eintragen werden. Wir sind gespannt und freuen uns darauf, den ersten eigenen Balletthonig zu probieren!
Frieda Fielers