Kategorie: Aus dem Ballettzentrum

  • Abschied von Ann Drower

    Abschied von Ann Drower

    Sie leitet nicht nur die Vorschulklassen, sondern ist als Ballettmeisterin der Ballettschule verantwortlich für die Einstudierung aller Partien, die von Ballettschüler*innen in den Vorstellungen des Hamburg Ballett übernommen werden. Die Rede ist von Ann Drower. Annie, wie sie von uns liebevoll genannt wird, ist die gute Seele der Ballettschule. Noch heute erinnere ich mich sehr gut an meine ersten Ballettstunden mit ihr. Durch rhythmische Übungen und Improvisationen hat sie mich und viele weitere Kinder behutsam in die Welt des Balletts eingeführt. Nach 44 Jahren verabschieden wir uns von Annie, die zum Ende dieser Saison in den wohlverdienten Ruhestand geht. Grund genug mit ihr ein letztes Interview zu führen und die schönsten Erinnerungen und Momente Revue passieren zu lassen:

    Liebe Annie, über 44 Jahre Berufserfahrung liegt hinter dir, beim Hamburg Ballett als Tänzerin und später als Ballettpädagogin für die Ballettschule. Was war das Bemerkenswerteste, das dir in dieser Zeit widerfahren ist?

    Annie Drower: Als ich als Tänzerin nach Hamburg kam, durfte ich als eine von acht Tänzerinnen in dem Ballett »Agon« von George Balanchine tanzen. Patricia Neary leitete damals die Einstudierung, ein tolles Erlebnis! Ich kam 1976 nach Hamburg; »Agon« stand in der Saison 1976/1977 auf dem Hamburger Spielplan. Es war also meine allererste Spielzeit beim Hamburg Ballett und dann durfte ich gleich bei einem so schwierigen Stück mittanzen! Die Musik von Igor Strawinsky, ihre Rhythmen, machten »Agon« so herausfordernd. Wir mussten unglaublich viel Zählen – Patricia war bei den Proben streng, sie hat nichts ausgelassen, aber nur so konnten wir George Balanchines wunderbares Ballett gut auf die Bühne bringen. Ich habe sehr viel von ihr gelernt!

    Später war ich eine von mehreren Tänzerinnen, die ein Solo in »Le Sacre« tanzen durfte, definitiv eines von meinen Lieblingsstücken von John Neumeier.

    Eine weitere besondere Rolle für mich ist die der Königin in John Neumeiers »Dornröschen«. Ich hatte ein Solo, das durch seine Fülle an Emotionen sehr intensiv und beeindruckend war. Die Königin hat zu Beginn des Balletts einen hysterischen Anfall, sie glaubt keine Kinder bekommen zu können. Und dann erblickt sie in einem Spiegel ihr Ebenbild: Es hält ein Kind im Arm. Und sie begreift die Bedeutung, sie wird endlich ein Kind bekommen.

    »Der Wechsel zwischen eher klassischen Rollen, Musical-Stilen und starken modernen Stücken wie ›Le Sacre‹ war für sie überhaupt kein Problem. Elegante Damen- und Königinnenrollen waren ihre Stärke, denn sie gab ihnen eine menschliche Dimension.«

    John Neumeier zum Abschied von Ann Drower, Ballett-Jahrbuch Saison 2019/2020

    Ich blicke auch gerne auf die Einstudierungen von John Neumeiers Balletten zurück, die ich leiten durfte: »Spring and Fall« in Kapstadt zum Beispiel. Ich habe der Compagnie das gesamte Stück beigebracht. Später kam Victor Hughes dazu, der die Einstudierung dann weiter betreut hat. Er hat dann auch die Einstudierung von »Le Sacre« übernommen. »Spring and Fall« habe ich später auch beim English National Ballet mit einstudieren dürfen. Und dann war ich auch an der Einstudierung von »Illusionen – wie Schwanensee« beim Bayerischen Staatsballett in München beteiligt …

    Einer der schönsten Momente, an den ich mich gerne zurückerinnere, ist der Tag, an dem John Neumeier mir anbot, mit den ganz jungen Schüler*innen der Vorschulklassen zu arbeiten. Gerne denke ich auch an die vielen Tourneen zurück – ich habe die Schüler*innen begleitet, die in John Neumeiers Balletten auftreten durften. Ich war mit ihnen mehrmals in Japan und Baden-Baden, in Genua, Paris, Costa Mesa und Cagliari, zuletzt in Venedig …

    Du bist an der Royal Ballet School in London ausgebildet. Wie bist du nach Hamburg und zu John Neumeier gekommen?

    Ich bin als Solistin nach Kiel gegangen, danach tanzte ich in Wuppertal, Krefeld und Hannover. In meiner Zeit in Hannover bin ich immer wieder nach Hamburg gefahren, um Vorstellungen zu besuchen. Dann habe ich vorgetanzt, ich wollte Teil dieser Compagnie werden.

    Warum Hamburg? Die Ballette waren toll. Als ich das erste Mal John Neumeiers »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« gesehen habe, war ich wie gebannt! Dieser Moment, wo sich der Vorhang öffnet und das gesamte Männerensemble auf der Bühne steht … dieser Moment ging mir unter die Haut und tut es immer noch!

    Wie kam es dazu, dass du die Seiten gewechselt und mit Pädagogik begonnen hast?

    Als ich mein erstes Kind bekam, habe ich kurz danach mit dem Tanzen aufgehört. Ich wollte schon immer Kinder unterrichten, und es war eine glückliche Fügung, dass John Neumeier mir die Position als Ballettpädagogin für die Vorschulklassen in seiner Ballettschule anbot.

    »Hier kam ihre Persönlichkeit wirklich zum Strahlen! Bei der Arbeit mit ihren Vorschulklassen A, B und C – zahlenmäßig die größten Klassen der Schule – konnte man ihren pädagogischen Instinkt bewundern. Sie war äußerst streng und gleichzeitig liebevoll im Umgang mit den Kindern – eine Art Mary Poppins«

    John Neumeier zum Abschied von Ann Drower, Ballett-Jahrbuch Saison 2019/2020

    Erinnerst du dich an deinen allerersten Arbeitstag als Ballettmeisterin?

    Ja, ich war wirklich sehr nervös. Die Ballettschule war damals noch im ehemaligen Bierpalast an der Dammtorstraße untergebracht. Jetzt steht dort das Cinemaxx. Meine allererste Schulklasse war nicht sehr groß, ich erinnere mich nicht genau, wie viele Kinder es gewesen sind. Uschi Ziegler, die damalige Organisatorische Leiterin der Ballettschule, hat mich an meinen ersten Arbeitstag aufgebaut; sie glaubte an mich und hat mir dabei geholfen die Nervosität in den Griff zu bekommen. Seit meinem ersten Tag als Ballettpädagogin wollte ich nichts Anderes mehr machen. Kinder sind schon immer meine Leidenschaft gewesen.

    In all den Jahren hast du so viele Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zum Tänzer begleitet. Hältst du Kontakt zu deinen »Schützlingen«?

    Oh ja, ich bin mit vielen von ihnen in Kontakt, sehr oft sogar. Ich finde es schön zu wissen, dass es ihnen gut geht und dass sie glücklich sind, wohin auch immer es sie verschlagen hat.

    Ann Drower, John Neumeier und Ballettpädagog*innen bedanken sich nach einem Auftritt bei den Schüler*innen © Kiran West

    Was macht deiner Meinung nach einen guten Ballettpädagogen aus?

    In den Vorschulklassen sollte man den Kindern Freude am Tanzen vermitteln, aber auch Disziplin. Eine gewisse Strenge ist erforderlich. Man sollte dabei aber immer liebevoll sein. Das Wichtigste ist, dass die Kinder niemals die Lust am Tanzen verlieren.

    »Ann Drower hat ein tolles musikalisches und vor allem rhythmisches Feingefühl. Damit konnte sie selbst ganz junge Schüler wie durch ein Wunder zu mathematisch komplizierten rhythmischen Excercisen motivieren. Trotz der Genauigkeit der Bewegungen spürte man jederzeit bei diesen Schülern eine wahnsinnige Freude an dem, was sie machen.«

    John Neumeier zum Abschied von Ann Drower, Ballett-Jahrbuch Saison 2019/2020

    Welche Voraussetzungen sollte man für das Ballett mitbringen?

    Die Kinder sollten musikalisch, rhythmisch und dehnbar sein, dabei auch eine tänzerische Qualität haben. Bei einer Aufnahmeprüfung wird darauf geachtet, ob die Kinder auch die körperlichen Voraussetzungen für eine professionelle Tanzkarriere mitbringen.

    Du leitest die ganz »Kleinen« in den Vorschulklassen und betreust gleichzeitig die ganz »Großen« der Ballettschule – mit ihnen studierst du all die Partien ein, die von den Schülern*innen in den Vorstellungen des Hamburg Ballett übernommen werden. Was waren die größten Herausforderungen?

    Das ist schwer zu beantworten. Jeder Auftritt ist eine Herausforderung! Bei jedem Auftritt stehe ich hinter der Bühne, manchmal bin ich nervöser als meine Schüler*innen. Wenn zum Beispiel ein Schüler aus der Abschlussklasse kurzfristig und fast ohne Proben für jemanden aus der Compagnie einspringen muss, dann ist das für mich eine echte Nervenpartie!

    Auftritt der Ballettschule bei der Benefizgala Intermezzo IX © Kiran West


    Eine große Herausforderung war der Auftritt während der Intermezzo-Gala IX, die 2017 in einem echten Zirkuszelt in Hamburg-Bahrenfeld stattfand. Passend zum Motto »Ein Winterzirkus« haben wir mit Schüler*innen der Ballettschule u. a. den Ersten und Vierten Satz von »Eine Reise durch die Jahreszeiten« einstudiert. Die Auf- und Abgänge zur Bühne waren meilenweit weg; ich musste also den Kindern sagen, dass sie sich wesentlich früher für ihren Auftritt bereitmachen mussten. Es gab auch keine Kulissen, hinter denen sie vor ihrem Auftritt warten konnten; sie mussten an den Seitengängen stehen, inmitten des Publikums, das rund um die Bühne verteilt an gedeckten Tischen saß. Am Ende hat alles wunderbar geklappt und es hat allen Beteiligten großen Spaß gemacht.

    2019/2020 war für dich die letzte Spielzeit. Was war für dich in den letzten beiden Spielzeiten am Intensivsten?

    John Neumeiers 80. Geburtstag: Gigi Hyatt, die Pädagogische Leiterin der Ballettschule, hat für ihn gemeinsam mit allen Ballettpädagog*innen eine wunderbare Collage mit Ausschnitten aus Balletten von John Neumeier zusammengestellt, »80 Tänze für 80 Jahre«. Die gesamte Ballettschule war daran beteiligt! Wir haben das Stück in Petipa, dem größten Ballettsaal im Ballettzentrum, aufgeführt. John Neumeier saß im Publikum. Wenn die kleinen Kinder gerade mal nicht tanzten, mussten sie ganz still und gerade an beiden Seiten des Ballettsaals sitzen – eine große Herausforderung für uns alle!

    »80 Tänze für 80 Jahre«. An der Seite warten die Kinder auf ihren Auftritt © Kiran West

    Dann die Arbeit an meiner letzten Weihnachtsvorstellung hier im Ballettzentrum. Ich habe ein Stück für meine drei Vorschulklassen choreografiert. Über 60 Kinder waren es – das war eine sehr schöne Zeit!

    Der Abschied von dir ist für uns alle schwer. Für mich – und ich spreche sicherlich auch für alle anderen – gehörst du zur Ballettschule des Hamburg Ballett einfach dazu. Wie fühlst du dich?

    Eigentlich weiß ich noch nicht richtig, wie es sich anfühlt. Streng genommen hatte ich noch keinen wirklichen Abschied. Aufgrund des Shutdowns, hörte die Saison von einem Moment auf den nächsten einfach auf. Plötzlich durften alle nicht mehr ins Ballettzentrum. Ich werde alles hier sehr vermissen und die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe.

    Hast du Pläne für die Zukunft?

    Konkrete Pläne habe ich noch nicht. Ich werde mir zunächst einen kleinen Hund anschaffen! Und viele meiner alten Freunde und Bekannte wiedersehen. Durch meine Arbeit fehlte mir oft die Zeit dazu.

    Vielen Dank für das Interview, liebe Annie, und alles Gute für die Zukunft!

    Nathalia Schmidt

    Fotonachweise: Aufmacherfoto © Kiran West / Foto 1 und 2 (Schwarz-Weiß-Aufnahmen) © Dr. Joachim Flügel

  • »Werkstatt der Kreativität XI« im Ernst Deutsch Theater

    »Werkstatt der Kreativität XI« im Ernst Deutsch Theater

    Zum elften Mal haben die Schülerinnen und Schüler der aktuellen Theaterklassen der Ballettschule des Hamburg Ballett eigene Choreografien entwickelt, die im Ernst Deutsch Theater aufgeführt werden – dieses Jahr etwas früher als sonst: Statt im Februar/März 2020 findet die »Werkstatt der Kreativität« schon im November 2019 statt.

    Woher kommt eigentlich der Name »Werkstatt der Kreativität« und was erwartet uns dieses Jahr im Ernst Deutsch Theater?

    Der Begriff »Werkstatt der Kreativität« setzt sich aus den Bestandteilen »Werkstatt« und »Kreativität« zusammen. Unter einer Werkstatt wird der »Arbeitsraum eines Handwerkers mit den für seine Arbeit benötigten Geräten« (Duden) verstanden. Die ›Handwerker‹ sind in diesem Falle die Schülerinnen und Schüler der Theaterklassen VII und VIII. Die ›Arbeit‹ der Schülerinnen und Schüler der Klasse VIII besteht darin, eine Choreografie für ihre Abschlussprüfung im Fach Tanzkomposition zu entwickeln und umzusetzen, während die Schülerinnen und Schüler der Klasse VII freiwillig eine Choreografie entwickeln dürfen, um z. B. für ihre Abschlussprüfung in einem Jahr zu üben und/oder sich choreografisch auszudrücken. Als ›Arbeitsraum‹ nutzen sie die Ballettsäle des Ballettzentrums Hamburg John Neumeier, in denen sie täglich unterrichtet werden und trainieren. Die Abschlussarbeit besteht aus der Entwicklung und Aufführung einer eigenen Choreografie. Die dafür benötigten ›Geräte‹ sind Musik, Kostüme, Requisiten, Licht und natürlich Tänzerinnen und Tänzer, also die Schülerinnen und Schüler aus den Klassen VII und VIII. In Kombination mit dem Begriff »Kreativität«, der die individuelle »schöpferische Kraft« (Duden) bezeichnet, bedeutet »Werkstatt«, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrem ›Arbeitsraum‹ neue Choreografien entwickeln.

    Impression aus der »Werkstatt der Kreativität« im letzten Jahr (c) Silvano Ballone

    Die Ergebnisse dieses schöpferischen Prozesses werden in diesem Jahr als »Werkstatt der Kreativität XI« im Ernst Deutsch Theater präsentiert. Dafür haben die Theaterklässlerinnen und Theaterklässler seit Schuljahresbeginn im August intensive Vorbereitungen getroffen, die mit der Planung der Choreografien begonnen haben. Sie haben verschriftlicht, welche ›Geräte‹ sie während ihrer ›Arbeit‹ in ihrem ›Arbeitsraum‹ wie einsetzen: Welche Musik haben sie ausgewählt? Welche Mitschülerinnen und Mitschüler tanzen ihre Choreografie? Welche Kostüme und Requisiten werden wie verwendet, um die Aussage ihres Tanzes zu unterstützen? Es fanden intensive Proben statt; in dieser Zeit stand das ein oder andere Mal »Proben für Kompo« im Stundenplan.

    Impression aus der »Werkstatt der Kreativität« im letzten Jahr (c) Silvano Ballone

    Anhand der näheren Informationen zu ihren ›Geräten‹ wurde das Programm für die Abschlussprüfung zusammengestellt. Nach der Prüfung waren alle sehr zufrieden und haben sich über einen gelungenen Prüfungsabend gefreut. John Neumeier hat, nachdem er an diesem Abend alle Choreografien gesehen hatte, das Programm für das Ernst Deutsch Theater zusammengestellt. Die Zuschauer erwartet ein bunter Mix: Von Pas de deux über Pas de quatre bis hin zu Choreografien mit bis zu siebzehn Tänzern. Von Stücken mit drei Minuten Länge bis hin zu zehnminütigen Tänzen. Von klassischer Musik bis hin zu Musik mit Gesang, von Ludovico Einaudi über Avicii bis hin zu Pink Floyd und Sequenzen ganz ohne Musik.

    Viel Spaß beim Zuschauen im Ernst Deutsch Theater!

    Marlena Patyna

    Einen kleinen Rückblick und Vorgeschmack auf die nächste »Werkstatt der Kreativität« findet ihr hier:

  • Kulturreise nach Neapel

    Kulturreise nach Neapel


    Bella Italia! Ulrike Schmidt, Betriebsdirektorin des Hamburg Ballett und Stellvertreterin des Ballettintendanten John Neumeier, begleitet derzeit zusammen mit Reiseleiter Richard Eckstein eine von Studiosus veranstaltete Kulturreise für Abonnenten und Freunde der Hamburgischen Staatsoper. Für unseren Blog schickt sie sonnige Grüße aus dem schönen Italien und gewährt Einblicke in das spannende Reiseprogramm.

    Buongiorno San Carlo!

    Das Spannende an Neapel ist, dass es vom Altertum über Mittelalter bis hin zu Renaissance und Barock alle Zeitalter zu bewundern gibt. Die Dynastien in Neapel waren u.a. die Normannen, Stauffer und Anjous. Mit Alexander dem Sechsten erhielt Spanien die Vorherrschaft in Europa und bis zum Jahr 1707 wurde Neapel von Vizekönigen aus Spanien regiert. Danach kamen für 30 Jahre die Österreicher, 1734 folgte der bourbonische König Karl III., der u.a. das Teatro San Carlo erbauen ließ.

    Über 700 Kirchen sind in Neapel zu finden. Der Dom geht auf Carl von Anjou zurück. Unsere Gruppe fand eine sehr schöne Basilika im Dom – also eine Kirche in einer Kirche! Die Neapolitaner sind immer noch sehr gläubig (und abergläubisch)!

    Neapel ist mit unterirdischen Gängen, also Katakomben, ausgestattet, die Teile der Altstadt durchziehen. Die Stadt steht derzeit unter großem Wandel, das zeigt sich u.a. an der großen Bautätigkeit. Teile der Altstadt sind bereits erneuert worden, andere Teile noch nicht. In der Altstadt besichtigen wir u.a. die Spaccanapoli, die sogenannte Krippenstraße, in der viele Geschäfte mit handgefertigten Krippenfiguren zu finden sind.

    Im Kloster Santa Chiara, das mit wunderschönen Majolika aus dem 18. Jahrhundert im Kreuzgang ausgestattet ist, beenden wir unseren Rundgang und essen eine neapolitanische Pizza – der Teig ist dicker und weicher als wir es aus Deutschland kennen, einfach köstlich!

    Dann folgt die Besichtigung des wunderschönen Teatro San Carlo. Ein Logentheater mit 184 Logen, sechs Rängen und 1400 Plätzen. Es stammt aus dem Jahr 1737 und wurde von den Architekten Giovanni Antonio Medrano und Angelo Carasale konzipiert und errichtet. 1816 brannte das Opernhaus aus, wurde aber sehr schnell wieder aufgebaut. Ricardo Muti hat im letzten Jahr die Akustik geprüft und ganze drei Stunden lang einen Ton spielen lassen, den er von verschiedenen Plätzen im Zuschauerraum aus erkundet hat. Am Ende hat er gesagt, dass dieses Theater nicht nur das Schönste, sondern auch das mit der besten Akustik sei! Viele Komponisten haben hier gewirkt, u.a. Cimarosa, Scarlatti, Donizetti und Verdi. Das Teatro di San Carlo in Neapel ist das älteste Opernhaus der Welt und wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

    Da ich gesehen habe, dass Alessandro De Marchi, ein Dirigent, der bei uns in Hamburg u.a. das »Weihnachtsoratorium« und die Ballett-Oper »Orphée et Eurydice« dirigiert hat, im Teatro San Carlo Rossinis Oper »Ermione« probt, hatten wir nachmittags die Gelegenheit in die Probe zu gehen. So trafen wir auch auf unsere Eurydice aus Baden-Baden Arianna Venditelli – die Welt ist klein!

    Ballettaufführung »Sommernachtstraum« von Paul Chalmer © Privat

    Am Abend genießen wir in San Carlo den von dem Ballett wunderbar getanzten »Sommernachtstraum« in der Choreografie von Paul Chalmer. Wir sitzen sehr fürstlich in der Royal Box und da entdecke ich einen ehemaligen Schüler aus unserer Ballettschule: Nicola del Freo, der an diesem Abend als Gast den Oberon tanzte!

    Das Museo Nazionale di Capodimonte ist im Palast Reggia di Capodimonte untergebracht
    © Privat

    Ein Ausflug nach Caserta und dem Museum Capodimonete mit einer herrlichen Kunstsammlung sowie am letzten Tag eine Besichtigung des Herculaneum komplettierten eine unglaublich schöne Reise. Bereits auf dem Weg zum Flughafen sind wir dem Vesuv sehr nahegekommen und haben erfahren, dass die Gegend rund um den Ercolano früher eine sehr begehrte Wohngegend war. Der europäische Hochadel hatte sich hier in vielen Villen angesiedelt, zugleich war diese Gegend auch ein Weinanbaugebiet. Der bis zu 3000 Meter hohe Vesuv war früher einkegelig und ist 79 nach Christus ausgebrochen. Er hat das schlimme Erdbeben 1980 erlebt.

    Die beeindruckende Ausgrabungsstätte Herculaneum beherbergt das erste griechische Theater, welches gegen Ende des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt worden ist. Wir sehen wunderschöne Mosaiken, Atriumhäuser und Badetempel, Kantinen… es gab sogar einen Weinhandel und Graffiti!

    Wir sind unserer exzellenten Reiseführerin Esther nicht nur für ihre Restaurant-Tipps, sondern auch für die Organisation sehr dankbar. Danken müssen wir auch unserem Reiseleiter Richard Eckstein für seine Ideen und die perfekte Reiseplanung. Das Wetter war unbeschreiblich schön und so verlängerten wir den Sommer um ganze 5 Tage!

    Leider sind wir am Abend am Frankfurter Flughafen hängengeblieben, doch die tollen Mitreisenden haben es mit viel Humor genommen, auch dass wir erst am nächsten Morgen in Hamburg angekommen sind. 

    Napoli – wir kommen wieder!

    Ulrike Schmidt

  • Kulturreise nach Neapel

    Kulturreise nach Neapel

    Bella Italia! Ulrike Schmidt, Betriebsdirektorin des Hamburg Ballett und Stellvertreterin des Ballettintendanten John Neumeier, begleitet derzeit zusammen mit Reiseleiter Richard Eckstein eine von Studiosus veranstaltete Kulturreise für Abonnenten und Freunde der Hamburgischen Staatsoper. Für unseren Blog schickt sie sonnige Grüße aus dem schönen Italien und gewährt Einblicke in das spannende Reiseprogramm.

    Tag 1: Buongiorno Napoli! Vom regnerischen Hamburg über das gräuliche München bis hin ins sonnige Neapel – das war unsere Reiseroute. In München ist auch unser Reiseleiter Richard Eckstein dazugestoßen. Im Flugzeug wurde unsere Gruppe sogar aufs Herzlichste begrüßt.

    Nach dem Flug freuten wir uns alle auf das erste Programm-Highlight: Eine Stadtrundfahrt mit unserer lokalen Reiseführerin Esther Kohl. Neapel ist die »ungrünste« Stadt in Europa, es gibt sehr viele enge Gassen, durch die wir gehen. Die Stadt selbst ist in starkem Umbruch. Im 8. Jahrhundert vor Christus von den Griechen gegründet – sie landeten zunächst auf Ischia – hat die Stadt Neapel eine bewegende Geschichte hinter sich. Die erste staatliche Universität wurde durch Federico Secondo gegründet. Er schuf auch den imposanten, dem Vesuv gegenüberliegenden Königspalast! Genau dort bringt uns unser Busfahrer Luigi hin und wir genießen unseren ersten Cappuccino im traditionellen Café Gambrinus an der Piazza gegenüber dem berühmten Teatro San Carlo.

    Bei der anschließenden Besichtigung des Archäologischen Nationalmuseums entdecken wir viele Schätze und staunen über Mosaike, die wir alle so noch nie gesehen haben – mit den kleinsten Steinen sind unfassbare Kunstwerke kreiert worden. Wir werfen auch einen Blick auf das »cabinetto secreto«, ein Geheimes Kabinett mit Fundstücken aus der römischen Antike, die allesamt erotische Motive darstellen. Wir wissen jetzt auch, wie man in Neapel den sogenannten »bösen Blick« abwendet: Viele Neapolitaner schützen sich vor ihm mit einem roten Hörnchen, dem »corno«. Dieser hängt meist über Haustüren, so kann der böse Blick nicht ins eigene Haus eindringen.

    Nach dieser spannenden und sehr wissensreichen Führung durch das Nationalmuseum beziehen wir unser schönes und modernes Hotel im alten Palazzo. Den Tag lassen wir mit einem gemeinsamen neapolitanischen Abendessen im Hotel ausklingen.

    Aussicht auf Capri vom Boot aus © Privat  

    Tag 2: Buongiorno Capri, bella Italia! Nach einem fantastischen Frühstück geht es für uns auf die Fähre, die uns in einer Dreiviertelstunde nach Capri fährt! Im Hafen von Capri steigen wir für eine Inselumfahrung auf ein kleineres Boot um. Die Sonne strahlt und wir erleben spektakuläre Blicke auf die Insel und in die Grotten. Dann erkundigen wir die Orte Annacapri und Capri.

    In der Spätantike war Capri das Zentrum der Welt, danach verfiel es. Erst mit der Entdeckung der blauen Grotte erwachte die Insel wieder zum Leben! Mit dem Besuch der Villa von Axel Munthe, einem schwedischen Arzt, Autor und Bariton, tauchen wir ein ins mondäne Inselleben. Er hat einen Bestseller über die Villa San Michele geschrieben, die Ende des 18. Jahrhunderts gebaut wurde. Heute ist die Villa im Besitz des schwedischen Staates. Wir sind beeindruckt von den Ausblicken und dem prächtigen Garten inklusive Kapelle. Während eines Mittagessens kann ich den anderen die freudige Nachricht aus Hamburg verkünden: Kevin Haigen, der Künstlerische Leiter des Bundesjugendballett, erhält den Theaterpreis Hamburg Rolf Mares in der Kategorie herausragende Inszenierung. Sein Tanztheater »Bundesjugendballett trifft Shakespeare« überzeugte die Jury – die Mitreisenden gratulieren ihm alle herzlich!

    Trotz der vielen Touristen lohnt sich ein Bummel durch die Gassen Capris; wir haben Mitbringsel eingekauft und den besten Limoncello getrunken. Leider müssen wir am Ende des Tages Capri wieder verlassen, aber ich bin mir sicher, dass wir bald wiederkommen werden…

    … Und das werden wir, dieses Mal mit der gesamten Compagnie des Hamburg Ballett! Es geht zwar nicht nach Capri, stattdessen aber ins schöne Venedig: Im Februar 2020 gastieren wir im Teatro La Fenice und werden John Neumeiers Ballett »Duse« zeigen. Darauf freuen wir uns schon sehr!

    Ulrike Schmidt

  • Sommerschule in Toronto

    Sommerschule in Toronto

    Der Schüleraustausch zwischen der Ballettschule des Hamburg Ballett und Canada‘s National Ballet School hat eine lange Tradition. Im Rahmen dieses Austauschprogramms erhalten jedes Jahr Schülerinnen und Schüler beider Schulen die Möglichkeit, an Intensivkursen in Toronto und Hamburg teilzunehmen. Für die Hamburger Ballettschüler werden diese Reisen durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Freunde des Ballettzentrums Hamburg e.V. ermöglicht. Diesen Sommer waren Francesco Cortese und Darcie Ridder zu Gast bei Canada‘s National Ballet School und erzählen von ihrer unvergesslichen Zeit in Toronto.

    Der Sommer ist eine tolle Zeit im Jahr, um sich zu entspannen, Spaß zu haben und neue Erfahrungen zu sammeln. Aber für einen Tänzer ist es auch sehr wichtig, in so einer langen Zeit in Form zu bleiben. Unter anderem deswegen organisiert die Ballettschule des Hamburg Ballett zusammen mit Canada’s National Ballett School (NBS) jedes Jahr einen Austausch. Dieses Jahr hatten eine Schülerin und ich die Möglichkeit, an der Sommer-Schule in Toronto teilzunehmen. Es ging mit dem langen Flug, der uns nach Kanada brachte, los. Am nächsten Tag folgten direkt die ersten Unterrichtsstunden in Canada’s National Ballet School. Mein Tag fing immer in der »Residence« an, einem Internat, in dem auch unsere Kollegen von anderen internationalen Ballettschulen gewohnt haben. Nach dem Frühstuck gingen wir zu der nahegelegenen Ballettschule, einem sehr modernen Gebäude, das nur für Ballett konzipiert wurde.

    Mein erster Unterricht am Morgen war »Upper Body« bei Raymond Smith – ein sehr anstrengendes Training, das seinen Schwerpunkt auf den Armen und dem Oberkörper hatte. Direkt danach hatte ich Ballettunterricht bei James Kudelka, dem ehemaligen künstlichen Leiter des National Ballet of Canada. Dies hat mir sehr geholfen, meine Technik zu erweitern. Danach haben wir alle gemeinsam in der Kantine gegessen. Nachmittags ging es mit »Allegro und Repertoire« bei Raymond Smith als Lehrer weiter. Dabei konnten wir an unseren Sprüngen und so genannten Tricks arbeiten sowie Teile des klassischen Repertoires erlernen. Darauf folgte mein Lieblingsfach: »Modern Technique«. In diesem Fach wurde ich zwei Wochen von David Norsworthy und zwei Wochen von Belinda McGuire unterrichtet. Diese Stunden haben mir eine neue Tür geöffnet: Ich habe gelernt, ein gutes Körpergefühl zu erarbeiten und somit mich selbst besser kennenzulernen. Außerdem hat es mir geholfen, viele Dinge von einer anderen Seite zu betrachten und damit meine Denkweise zu erweitern. Am Ende jeden Tages hatten wir eine Probe für den »Stephen Godfrey Choreographic Workshop«, der seit 1993 jedes Jahr stattfindet. Im Rahmen dieses Workshops bekommen Schülerinnen und Schüler der 9. bis 12. Klasse der NBS die Möglichkeit, Choreografien selbst zu entwickeln und ein eigenes Stück auf die Beine zu stellen. Dies war auch eine tolle Erfahrung für mich, bei der ich viel Neues gelernt habe.

    Ich hatte eine tolle Zeit in Toronto, in der ich mich tänzerisch weiterentwickeln und viele tolle Erfahrungen sammeln konnte. So bin ich auf der einen Seite meinem Ziel, Tänzer zu werden, einen Schritt nähergekommen und habe auf der anderen Seite einen tollen Sommer im wunderschönen Toronto verbracht. Dafür bedanke ich mich recht herzlich bei dem organisatorischen Team der Ballettschule des Hamburg Ballett und den Freunden des Ballettzentrums! Ich hoffe, dass diese Möglichkeit des Austausches weiterhin bestehen bleibt und noch viele Schüler diese Erfahrung machen können.

    Francesco Cortese

    Francesco Cortese im Ballettstudio © Ballettschule

    Die vier Wochen beim Sommer-Intensivkurs von Canada´s National Ballet School (NBS) waren eine großartige Erfahrung, durch die ich viel Neues lernen und meine Tanzfähigkeiten erweitern konnte. Die intensive Arbeit mit solch inspirierenden und erfahrenen Lehrern hat mir auf jeden Fall sehr geholfen, meine Technik zu verbessern, vor allem im Balletttraining und im Spitzentanz.

    Im »Modern Dance«-Unterricht war es wirklich interessant, neue Einblicke in den modernen Tanz wie auch choreografische Impulse zu bekommen. Auch die Möglichkeit, im »Contemporary Jazz«-Unterricht in völlig neue Tanzarten, von Hip-Hop bis Jazz-Tanz, einzutauchen, hat mir viel Spaß gemacht und wird sich bestimmt als hilfreich in der Zukunft erweisen. Die Einstudierung von zwei von Peggy Baker choreografierten Solos im »Contemporary Repertoire«-Unterricht gefiel mir ebenfalls sehr. Von jedem Unterricht nahm ich etwas mit und schrieb es mir sogleich in meinem blauen Ballettnotizbuch auf. Die Mitwirkung am »Stephen Godfrey Choreographic Workshop«, bei dem Studenten der NBS Stücke für die Austauschschüler kreieren, die im Betty Oliphant Theater aufgeführt werden, war ein weiteres Highlight dieser Wochen hier.

    Obwohl wir uns an den herrlichen, heißen Sommertagen die meiste Zeit im Tanzstudio aufhielten, waren meine Kameraden und ich äußerst froh, solch eine Gelegenheit für unsere Ausbildung und dazu die Chance zu haben, Toronto zu erkunden und die wunderschönen Niagarafälle zu bewundern. Als meine Zeit in Kanada vorbei war, wusste ich, dass ich für diese unglaubliche Möglichkeit immer dankbar sein werde und dass ich diesen Sommer voller Freundschaft, Glück und neuer Erfahrungen nie vergessen werde. Vielen lieben Dank an die Ballettfreunde, Frau Hyatt und alle Beteiligten für dieses wundervolle Geschenk!

    Darcie Ridder

    Darcie Ridder vor Canada’s National Ballet School © Ballettschule
  • Eindrücke von der Theaternacht

    Eindrücke von der Theaternacht

    Wenn Menschen in der Caspar-Voght-Straße in Hamburg-Hamm Schlange stehen, kann das nur eins bedeuten: Es ist Theaternacht und das Ballettzentrum öffnet seine Türen. Über 1000 neugierige Besucher schwärmen am 8. September durch den Fritz Schumacher-Bau, um sich Proben des Hamburg Ballett und Trainings der Ballettschule anzusehen. Die 18-jährige Abiturientin Franziska Vollstedt ist eine von ihnen und berichtet von ihren Eindrücken auf unserem Blog.

    »Dieser Abend wird etwas ganz Besonderes, denn heute zeigen wir Ihnen Dinge, die wir noch nicht können.«

    Ein Versprechen, das John Neumeier nach der Eröffnung der Theaternacht im Ballettzentrum Hamburg nur zum Teil halten kann. Denn eines erkennen alle Zuschauer. Sowohl das kleine, aufgeregte Mädchen im Ballettkostüm neben mir, das von einer eigenen Karriere als Ballerina träumt, als auch der Junge in der ersten Reihe, der zugeben muss, dass Jungs überraschenderweise doch tanzen können, oder die ältere Dame, die feststellt, dass sie sich in dieser Theaternacht wohl nicht mehr losreißen kann und keinen anderen Vorführungsort aufsuchen wird: Wenn das Publikum heute Nacht etwas nicht geboten bekommt, dann sind es Tänzer, die etwas nicht können.

    Einblicke in »Bernstein Dances« kurz vor der Wiederaufnahme © Kiran West

    Doch dass wir Teil haben dürfen an etwas ganz Besonderem, das wird von der ersten Sekunde an klar, in der die Tänzer nach und nach in ihren weiten Hosen und Moonboots-artigen Schuhen in den großen Ballettsaal geschlurft kommen. Wobei – schlurfen –, das würde vermutlich jeder andere von uns. Aber bei ihnen wird schon bei der kleinsten Bewegung deutlich: Das sind wahre Tänzer! Selbst dann, wenn nicht getanzt wird, haben sie eine Ausstrahlung, die den meisten der zunächst schüchtern und unglaublich jung wirkenden Tänzerinnen und Tänzern vielleicht gar nicht bewusst zu sein scheint. Wenn sie tanzen, dann ziehen sie in ihren Bann.

    Als Besucher der Theaternacht bekommen wir die einmalige Gelegenheit, ganz nah dabei zu sein und aus nur wenigen Metern Entfernung zu bestaunen, wie jede kleine Bewegung, jedes Abrollen des Fußes und jede Regung im Gesicht Bedeutung bekommt. Wir dürfen Zeugen werden bei etwas, was die wenigsten im Leben schaffen: Jeder Sekunde die Wichtigkeit zuzumessen, die sie verdient. 

    Es ist beeindruckend, mit welcher Ausdauer die Tänzerin Emilie Mazon bei dem »Mistake Waltz« aus »Chopin Dances« nach John Neumeiers Anweisungen unzählige Male die bereits perfekt wirkende Endpose wiederholt und minimal verändert – soeben konnten wir Zeugen werden, wie aus einer schon sehr guten Bewegung absolute Perfektion geworden ist. 

    Glückliche Gesichter im Publikum © Kiran West

    Es herrscht eine hochkonzentrierte Arbeitsatmosphäre, in der jeder einzelne so vertieft dabei ist, als gäbe es in diesem Moment nichts Wichtigeres, keine Sorgen, keinen Druck und vor allem: keine Konkurrenz. Im Gegenteil, der enge Zusammenhalt der Tänzer untereinander, egal ob bei der gegenseitigen Hilfe beim Erlernen der Choreografie, einer freundschaftlichen Umarmung oder dem gemeinsamen Lachen, wenn etwas mal nicht perfekt funktioniert, ist bemerkenswert. Nie wirkt jemand genervt oder scheint dem anderen die Schuld an einer missglückten Bewegung zu geben.

    Besonders deutlich wird dies, als die Tänzerinnen in einer Probe von »Chopin Dances« von ihren Partnern scheinbar unkontrolliert wie gliederlose Puppen über die Bühne getragen werden, und man sich fragt, wie es hierbei noch nicht zu einem Zusammenstoß oder dem einen oder anderen ausgerenkten Bein hat kommen können.

    Sie können es sich leisten, das Lachen mit- und übereinander, denn wenn es wirklich darauf ankommt, dann liefern sie ab: Ob bei dem Ballett »Bernstein Dances«, in dem die Männer unglaublich hohe Sprünge mit diversen Drehungen ausführen, der mehr als komplizierten flugzeugartigen Bewegung (»You have to imagine to be an airplane, with wings out of steel!«), oder dem dargebotenen Auszug aus dem Ballett »Anna Karenina«, bei dem wir Zuschauer für eine Stunde eine ganz andere Welt betreten.

    Anna Laudere und Edvin Revazov proben »Anna Karenina« © Kiran West

    Hier entführen die beiden Ersten Solisten Anna Laudere und Edvin Revazov uns mit einer solchen Intensität in die Welt der Protagonistin und ihres Geliebten, dass man kurz vergisst, dass dies keinesfalls die Realität darstellt. In einem Moment so kurz wie ein Wimpernschlag schaffen es die beiden Tänzer, einen soeben noch romantisch spielerischen Augenblick in einen zutiefst bedrückenden, zum Zerreißen gespannten Moment zu verwandeln.

    Nur widerwillig will man wieder auftauchen aus diesem magischen Paralleluniversum. Aber wir müssen, denn wie John Neumeier immer wieder betont: »Dies ist keine Aufführung im Theater, sondern eine Arbeitsprobe«. Doch manchmal müssen selbst die anspruchsvollen Lehrer den Tatsachen ins Auge blicken und, wie die Ballettmeisterin Leslie McBeth während der »Anna Karenina«-Probe, einsehen: »I know it´s my job, but I can´t find a problem here«.

    Und zu dieser Erkenntnis fällt selbst John Neumeier nichts mehr ein, außer den Abend mit den Worten zu schließen: »Ich glaube, dass das ein ganz tolles Ende für diese besondere Nacht war«. Und hier kann ihm jeder Einzelne im Publikum nur aus vollem Herzen zustimmen!

    Erschöpft, aber glücklich am Ende einer langen Nacht: unsere Bloggerin Franziska

    Franziska Vollstedt

  • Bienen fürs Ballettzentrum

    Bienen fürs Ballettzentrum

    Es summt und brummt im Ballettzentrum. Seit einigen Tagen wohnt ein Bienenvolk auf dem Dach des Fritz Schumacher-Baus in Hamburg-Hamm. Wir haben den Hobby-Imker Björn Schumann bei der Aufstellung des ersten Bienenkastens begleitet.

    Dienstagmorgen, 8.30 Uhr. Nach zwei Vorbesuchen des Imkers und dem Aufbau des Podests auf dem Dach ist es heute endlich soweit: Die Bienen kommen! Wir treffen Björn Schumann mit seinen Bienen im Foyer des Ballettzentrums – noch ist der Kasten gut verschlossen, aber gleich sollen die Bienen ihre neue Umgebung erkunden können. Dafür geht es mit dem Aufzug in den dritten Stock, dann noch zwei Treppen nach oben und über eine Leiter durch die Luke auf das Flachdach. Hier hat der Hobby-Imker hinter einem Mauervorsprung einen geeigneten Platz gefunden: »Die Bienen mögen es am liebsten sonnig, aber windgeschützt. Da das Dach etwas abschüssig ist, habe ich zuerst ein Podest gebaut und ins Lot gebracht – denn die Bienen mögen es gerade. Wenn der Kasten nicht gerade ausgerichtet ist, bauen sie auch ihre Waben schief«, erklärt Björn Schumann. Ca. 20 000 Bienen der Gattung »Carnica« leben in dem Bienenkasten, auch Beute genannt; in den nächsten Wochen sollen noch zwei weitere Völker dazu kommen.

    Die Idee zu diesem Projekt kam von Birgit Paulsen, Assistentin der Ballettbetriebsdirektorin, die das Prinzip der privaten Bienenhaltung zum ersten Mal bei einem Sommerfest auf dem Dach des Azubi-Werks in Hamburg sah, in dem einige Schüler aus der Ballettschule des Hamburg Ballett untergebracht sind. Über das Azubi-Werk wurde der Kontakt zu Björn Schumann hergestellt, der die Bedingungen auf dem Dach des Ballettzentrums prüfte und sich gerne bereit erklärte, die Aufstellung und Pflege der Bienenkästen zu übernehmen. Der 32-Jährige ist hauptberuflich Filialleiter einer Sparkasse – doch seit vier Jahren beschäftigt er sich hobbymäßig mit der Imkerei. In seinem eigenen Garten stehen momentan acht Bienenbeuten, in denen ungefähr 100 kg Honig lagern.

    Gleich können die ersten Bienen die neue Umgebung erkunden

    Auch unsere Ballett-Bienen werden schon bald den ersten Honig produzieren. Ab einer Größe von 20.000 Bienen erwirtschaftet ein Volk mehr Honig, als es verbraucht, erklärt Björn Schumann. In diesem Jahr können wahrscheinlich schon drei bis vier Kilogramm geerntet werden. Im nächsten Jahr, wenn alle drei Völker arbeiten, wird es deutlich mehr sein. Um Pollen und Nektar zu finden, können Bienen einen bis zu 5 km großen Radius absuchen – vorausgesetzt, dass sie in der direkten Umgebung kein Futter finden. Soweit werden unsere Bienen aber nicht fliegen müssen: »Da in der Umgebung des Ballettzentrums viel blüht, werden die Bienen keine Probleme mit der Nahrungssuche haben. Als erstes werden sie wahrscheinlich die Lindenbäume gegenüber entdecken, die zu dieser Zeit noch in voller Blüte stehen«, erklärt der Imker. »Und wenn sich die Bienen erstmal auf die Linden eingeflogen haben, werden sie nicht nach anderen Quellen suchen, bis die Linden verblüht sind. Das nennt man ›blütentreu‹. Selbst wenn wir ihnen direkt neben ihren Kasten eine Pflanze stellen würden, die Nektar hat, würden sie diese ignorieren, so lange der Lindenbaum noch trägt.«

    Unser Ballett-Honig entsteht also tatsächlich aus Pflanzen in der nahen Umgebung des Ballettzentrums; der erste Honig wird sehr wahrscheinlich Lindenhonig sein. Erst im nächsten Jahr, wenn die Bienen nach der Winterpause wieder losfliegen, werden sie sich eine neue Nahrungsquelle suchen. Der hauseigene Garten des Ballettzentrums oder der nahe gelegene Hammer Park liefert den Bienen eine große Auswahl. Gerade deshalb bietet sich die Haltung von Bienen in der Stadt an, erläutert Björn Schumann: «Sie fühlen sich in der Stadt eigentlich viel wohler als auf dem Land. Dort herrscht meist Monokultur – wenn die Nahrungsquelle z.B. das Rapsfeld verblüht ist, wird es für die Bienen schwer, etwas anderes zu finden. Dazu kommt, dass die Wälder von den Förstern zu stark ›aufgeräumt‹ werden und die Bienen fast keine natürlichen Behausungen wie umgefallene Bäume finden können. In der Stadt blüht immer etwas – sei es auf Balkons, in Kleingärten oder in Parks. Und die Bienen finden außerdem ausreichend Wasser.« Denn gerade wenn es draußen warm ist, brauchen Bienen viel Wasser, um den Bienenstock zu kühlen.

    Nachdem die Bienen auf dem Podest platziert wurden, öffnet Björn Schumann das kleine Flugloch an der unteren Seite des Kastens. »Wenn ich den Kasten jetzt komplett öffnen würde, flöge wahrscheinlich die Hälfte des Volkes hinaus und würde umherschwirren, da sie noch orientierungslos sind. Das würde zu viel Chaos verbreiten. Wir lassen es seinen natürlichen Gang gehen, indem ich nur das kleine Flugloch öffne.« So können die ersten Bienen den Stock verlassen und die nähere Umgebung erkunden. Sie fliegen dabei im Kreis, fast spiralförmig auf und ab und bleiben in der Nähe des Bienenkastens. Für uns interessieren sich die Bienen nicht besonders – sie sind viel zu beschäftigt mit der Orientierung, erklärt der Imker. Diese Erkundungsflüge können bis zu zwei Tage andauern. Wenn sich die Bienen orientiert und die Lindenbäume entdeckt haben, werden sie nur noch die Strecke zwischen Bienenstock und Baum zurücklegen, ihre Flugbahnen sind fest einprogrammiert. Deswegen darf der Kasten nach dieser Phase nicht mehr umgestellt werden – die Bienen würden ihn sonst nicht mehr finden. Ein Viertel bis ein Drittel des Volkes ist dann mit dem Eintragen von Nektar beschäftigt.

    Wie konnte Björn Schumann überhaupt sichergehen, dass er das ganze Volk im Kasten für den Transport eingeschlossen hat? »Gestern Abend habe ich das Flugloch geschlossen. Wenn es dunkel wird, verlassen die Bienen den Stock nicht mehr. Deswegen kann man ziemlich sicher sein, niemanden vom Volk getrennt zu haben. Und falls doch noch die eine oder andere Biene unterwegs war, findet sie Unterschlupf in einem der anderen Stöcke in meinem Garten. Die Bienen bringen Pollen oder Nektar als Gastgeschenk mit, um die Erlaubnis zu bekommen, sich dem neuen Volk anschließen zu können. Denn die Wächterbienen erkennen am Geruch, dass es fremde Bienen sind. Bei einem guten Gastgeschenk gewähren sie aber durchaus mal einer fremden Biene den Zutritt«, erklärt er schmunzelnd.

    Der Kasten auf dem Dach des Ballettzentrums ist der zehnte Kasten, den Björn Schumann privat aufgestellt hat. Die Nachfrage steigt, seit die mediale Berichterstattung zum Insektensterben zunimmt und das Thema in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt ist. Aufwendig ist die Betreuung nicht, sagt er. Aber man muss sich zunächst viel Wissen aneignen. Mehrere Fortbildungen hat er besucht, viele Bücher gelesen und Videos geschaut: »Mindestens drei Jahre braucht man, um wirklich gut vorbereitet zu sein.«

    Im Garten des Ballettzentrums werden die Bienen viele Blüten finden

    Wie geht es nun weiter mit unseren Bienen? »Am Anfang komme ich einmal in der Woche, um nach dem Rechten zu sehen. Ich überprüfe, ob genügend Futter vorhanden ist und die Bienen ausreichend freie Rähmchen für den Wabenbau haben. Ende September werden die Bienen für den Winter vorbereitet, sie werden gegen eine spezielle Milbenart behandelt und ihre Futtervorräte werden überprüft – ca. 20 Kilo Honig brauchen sie, dann können sie ohne Betreuung bis zum Frühjahr überwintern.« Kritischer kann es im Frühjahr werden, wenn es plötzliche Kälteeinbrüche oder starken Regen gibt, sagt Björn Schumann: »Kälte oder Regen mögen die Bienen nicht. Wenn sie schon Brut angelegt haben und deswegen viel Futter verbrauchen, aber nicht ausfliegen können, muss man mit Zuckerwasser nachhelfen. Damit die Brut überlebt, muss das Innere des Bienenstocks nämlich auf fast 40°C erwärmt werden. Die Wärme erzeugen die Bienen selbst. Wenn die Außentemperaturen plötzlich fallen, brauchen die Bienen viel ›Treibstoff‹, um diesen Temperaturunterschied auszugleichen.«

    Bald werden die nächsten zwei Bienenkästen aufgestellt – nach dem Winter beherbergt das Ballettzentrum auf seinem Dach dann drei Bienenvölker, die fleißig Honig eintragen werden. Wir sind gespannt und freuen uns darauf, den ersten eigenen Balletthonig zu probieren!

    Frieda Fielers