Marc Jubete über die »Matthäus-Passion«
Am Osterwochenende kehrt John Neumeiers Ballettfassung zu Johann Sebastians Bachs »Matthäus-Passion« zurück auf die Bühne der Hamburgischen Staatsoper. Der Solist Marc Jubete, der seit der Wiederaufnahme des Stücks in 2016 die Rolle des Jesus Christus verkörpert, teilt mit uns seine persönlichen Gedanken zu diesem besonderen Ballett.
»Danke für die Gelegenheit, einige Worte für den Blog des Hamburg Ballett zu schreiben. Es ist eine wirklich schwierige Aufgabe, über eine solche Produktion zu sprechen, der ich mich unglaublich verbunden fühle und bei der ich weiß, dass es meine letzte »Matthäus-Passion«-Aufführung sein wird, da ich zum Ende dieser Spielzeit das Hamburg Ballett verlassen werde.
Zunächst einmal war es für mich ein kostbares Geschenk, dieses Stück wiederaufzuführen, sowohl persönlich als auch beruflich. Es ist ein sehr tiefgründiges und komplexes Werk, eines meiner Lieblingsstücke aus dem Repertoire John Neumeiers, weil jeder Einzelne in seiner Einzigartigkeit voll zur Geltung kommen und sich gleichzeitig als Teil einer Gruppe fühlen kann. Das ist für mich schon ein Ausdruck dessen, was es bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben. Es ist keine Fantasie oder Magie, es ist die reine Realität, was man darin finden kann, unverhüllt, wahr.
Da es scheint, dass die Menschheit nie frei von Menschen ist, die nach Zerstörung streben, um Macht zu erlangen oder um kranken, etablierten Ideologien zu folgen, nehme ich diese Rolle als meine Verantwortung an – mit einem gegenwärtigen Publikum und einer Welt in Not all die Liebe zu teilen, die ich in mir trage. Hoffentlich kann ich andere dazu inspirieren, dasselbe zu tun.
Ich identifiziere mich mit keiner der bestehenden Religionen. Ich komme aus Spanien, wo das Christentum sehr präsent ist, aber ich bin nie getauft worden und habe auch nicht die Absicht, dies zu tun, da ich viele Aspekte nicht teile. Das war jedoch nie ein Problem für mich, mich mit dieser Rolle in der »Matthäus-Passion« voll und ganz zu verbinden, denn aus meiner Sicht handelt das Ballett nicht von einer konkreten Religion, sondern von Menschen in einer Gemeinschaft, die versuchen, so gut wie möglich zu koexistieren, wobei wir alle wissen, dass es manchmal nicht leicht ist, die Tatsache zu akzeptieren, dass das Einzige, was wir vielleicht über unsere Existenz wissen, ist, dass wir vielleicht nichts davon wissen und es auch nie wissen werden.
Wer sind wir? Woher kommen wir? Warum sind wir hier? Diese großen Fragen haben viele unserer Überzeugungen geprägt, die Bevölkerung in verschiedene Gruppen gespalten und sogar Kriege ausgelöst… Die Tatsache, dass wir vielleicht nie eine Antwort auf diese Fragen finden werden, kann eine Menge Unsicherheit erzeugen.
Das Menschsein ist nicht einfach, nicht wahr? Ich habe manchmal Schwierigkeiten, gesund zu bleiben, und ich schätze, Ihr alle habt das auch. Wurdet Ihr jemals betrogen? Habt Ihr schon einmal einen geliebten Menschen verloren oder standet Ihr jemandem nahe, dem dies passiert ist? Habt Ihr jemals etwas oder jemanden, der größer ist als ihr selbst, um Hilfe angefleht (»gebetet«?), als Ihr Euch in Gefahr befandet habt? Bitte denkt daran, dass Ihr nicht allein seid, dass wir alle zusammen in dieser Realität leben, dass das Leiden Teil unserer Wirklichkeit ist und wir es akzeptieren sollten. Und dass wir alle, ALLE, es verdienen zu lieben und geliebt zu werden.
Ab der nächsten Saison werde ich nicht mehr mit der Compagnie auf der Bühne stehen. Aber ich werde Euch immer lieben und mich an Eure Liebe zu mir erinnern.«
Marc Jubete (Solist beim Hamburg Ballett John Neumeier)