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Vladimir Kocić zu »Anna Karenina« auf Reisen

Das erste Gastspiel des Balletts »Anna Karenina« hat die bühnentechnischen Mitarbeiter vor einige Herausforderungen gestellt. Im Kurzinterview erzählt der technische Produktionsleiter des Hamburg Ballett, Vladimir Kocić, wie man ein Ballett auf eine andere Bühne bringt und warum Klebeband dabei eine wichtige Rolle spielt.

Vladimir, Freitagbend wurde »Anna Karenina« zum ersten Mal in Baden-Baden aufgeführt. Wie geht die technische Abteilung an das erste Gastspiel eines Balletts heran?

Vladimir Kocić: Man überlegt natürlich bereits bevor das Gastspiel anbricht, was die neue Bühnensituation für das Stück bedeutet. In Baden-Baden sind wir bereits seit 20 Jahren zu Gast – wir kennen die Bühne dementsprechend gut und wissen, was auf uns zukommt. Für mich beginnt die eigentliche Arbeit aber erst, wenn man vor Ort ist und seine Ideen in die Tat umsetzt. Was hier anders ist als in Hamburg: Die Bühne des Festspielhauses hat ein etwas breiteres Portal und nur eine Seite, die für die ›Verwandlung‹, also für den Wechsel von Bühnenbild und größeren Requisiten, genutzt werden kann. Die andere Seite ist so schmal, dass dort nur die Tänzer auf- und abgehen können. Alle Abläufe wie z.B. der Wechsel des Bühnenbilds, müssen an diese andere Bühnensituation angepasst werden.

»Anna Karenina« verlangt nach absoluter Präzision und Disziplin. Es gibt so viele Verwandlungen des Bühnenbilds, die nahtlos funktionieren müssen. Doch, wenn man gut plant, probt und mit so tollen, engagierten Leuten, wie wir sie haben, zusammenarbeitet, lässt sich alles umsetzen. Wir überlegen ja im Vorhinein nicht, welches Stück sich in Baden-Baden gut aufbauen und zeigen lassen könnte, und fällen so die Entscheidung. Im Vordergrund steht immer die künstlerische Wahl: Welches Stück möchte das Hamburg Ballett mit nach Baden-Baden bringen? Und wir, die technischen Mitarbeiter, finden dann zusammen mit Herrn Neumeier Wege, dies möglich zu machen. Alles ist eine Frage der Vorbereitung und des Timings. Schwierig ist relativ – man muss flexibel sein.

Ein Ballettschüler als ›House-Mover‹ und Emilie Mazoń © Kiran West

In »Anna Karenina« bewegt sich auch das Bühnenbild auf der Bühne: Es gibt mobile Wände, die nach einer eigenen Choreografie von Schülern der Abschlussklassen unserer Ballettschule gedreht und verschoben werden. Was ist notwendig, damit diese Abläufe auf einer neuen Bühne reibungslos funktionieren?

Klebeband! Wir helfen unseren sogenannten ›House-Movern‹ mit unterschiedlichen farblichen Markierungen am Boden. Die Markierungen zeigen den korrekten Stand der Wände in verschiedenen Szenen an – natürlich haben unsere Ballettschüler nach einigen Vorstelllungen schon ein Gespür für die richtigen Drehungen und korrekten Platzierungen bekommen. Die Markierungen sind eine zusätzliche Hilfestellung, falls im Eifer des Gefechts Verwirrung aufkommt. Dieses Mal sind außerdem einige Ballettschüler dabei, die zum ersten Mal als ›Mover‹ im Einsatz sind. Sie müssen erst einmal ein Gespür für die Beweglichkeit des Bühnenbildes bekommen; das üben wir in den Proben. Außerdem werden sie in Hamburg bereits unglaublich gut von ihrer Lehrerin Ann Drower darauf vorbereitet: Sie erklärt ihnen die Raumwege und benutzt Hilfsmittel wie Stangen oder Tische, um die Drehungen zu erläutern.

Alte und neue Markierungen für »Anna Karenina« © Pressestelle

Wie haben sich die Markierungen für die Vorstellungen in Baden-Baden verändert?

Zuerst orientiert man sich an den ursprünglichen Markierungen aus den Hamburg-Vorstellungen und prüft dann, was sich aufgrund der anderen Bühnenmaße verändern muss. Die Bühnengassen, das Seitenlicht, die Wände etc. geben uns Orientierung. Für jedes Requisit, das platziert wird, gibt es auch eine Markierung am Boden: Ob es die Stühle sind, die Treppe im Haus von Anna Karenina, der lange Tisch im zweiten Akt… da kommt einiges zusammen. Allein für die Platzierungen der beweglichen Wände gibt es ca. 28 unterschiedliche Markierungen! Das ist schon ein eigenständiges Zeichensystem. Und um das auf die neue Bühne zu übertragen, haben wir sechs Stunden lang geklebt. Dann beginnen die Proben, in denen sich wiederum viel verändern kann. Herr Neumeier arbeitet in Baden-Baden oft an seinen Stücken, auch damit sie auf der etwas größeren Bühne richtig zur Geltung kommen. Wir sind jederzeit auf Änderungen eingestellt: Notieren, übertragen, weitermachen. Bis am Ende alles stimmig ist.

Die Bühne mit Markierungen von oben © Kiran West

Frieda Fielers