Autor: Lotta Bracker

  • Roland Geyer – Opernintendant mit künstlerischem Weitblick

    Roland Geyer – Opernintendant mit künstlerischem Weitblick

    Prof. Roland Geyer ist einer der profiliertesten Intendanten und Musikmanager Österreichs, der ab 2006 das Theater an der Wien als innovatives Stagione-Opernhaus international neu positionierte. Mit John Neumeier verbindet ihn eine 18-jährige Zusammenarbeit. Zum Saisonauftakt präsentiert er mit »Beethoven-Projekt II« das zehnte Gastspiel des Hamburg Ballett an seinem Haus innerhalb von 15 Jahren. Am Rande der Proben nahm er sich Zeit für ein ausführliches Gespräch mit unserem Kommunikationsdirektor Jörn Rieckhoff.

    John Neumeier hat ganz wenige Uraufführungen mit seiner Compagnie außerhalb Hamburgs realisiert. Wie haben Sie ihn im Vorfeld überzeugt, dass das Theater an der Wien für »Weihnachtsoratorium I-III« der richtige Ort wäre?

    Roland Geyer: Bevor das Theater an der Wien 2006 eröffnet wurde, habe ich seit 1997 als Musikintendant der Stadt Wien zwei Festivals geleitet: das Sommerfestival »Klangbogen Wien« sowie das Festival »Osterklang«, einen Gegenpol zu den Salzburger Osterfestspielen unter Beteiligung der Wiener Philharmoniker. Bereits bei diesem Festival, das sich der Kontemplation in einem großen künstlerischen Spektrum verpflichtet fühlte, gab es zwei gemeinsame Produktionen mit John Neumeier. Mit zwei oder drei Jahre Vorlauf habe ich mich damals um »Messias« für den Osterklang 2003 bemüht. Ich fand: Dieses wunderbare Werk der Besinnung, das auch außerhalb des sakralen Ansatzes weitreichende Fragen aufwirft, – das wäre ein regelrechter Hit in meinem Festival.

    Ich kann mich noch genau an die Schräge erinnern, auf der Lloyd Riggins als Hauptfigur tanzte. Johns Choreografien sind für mich Interpretationen, die im Zuschauer etwas erwecken: ein Darüber-hinaus-Denken, sodass man etwas mitnimmt, aus dem man immer wieder schöpfen kann – und das im Idealfall seinem Leben eine Bereicherung gibt.

    Jörn Rieckhoff im Gespräch mit Roland Geyer © Kiran West

    Johns vierte Produktion, die ich eingeladen hatte, war eine Uraufführung für das Theater an der Wien: »Weihnachtsoratorium I-III«. Das war für uns der Durchbruch, zusammen mit einer Opernproduktion kurz darauf mit Nikolaus Harnoncourt. Da ist der Musiktheaterwelt, zumindest Europas, plötzlich bewusst geworden: Im Theater an der Wien ist mehr los als gedacht, da muss man genauer hinschauen.

    Man spürt die Empathie, die Sie John Neumeiers Werken entgegenbringen. Sicher sind der Raum und die Zeit, die Sie ihm geben, seine Werke mit Live-Musik speziell für die Bühne im Theater an der Wien einzurichten, ein wichtiger Grund, warum er immer wieder gerne Ihre Einladungen angenommen hat.

    Dazu kommt natürlich das historische Haus mit seiner besonderen Akustik und seiner wunderbaren Intimität. Auf den meistern Plätzen hat man das Gefühl, man könnte der Sängerin oder dem Tänzer die Hand auf die Schulter legen. Gerade für das »Beethoven-Projekt II« ist die Historie gewaltig. »Christus am Ölberge« ist 1803 hier im Haus uraufgeführt worden. Die zwei Sonaten sind in der Zeit entstanden, als Beethoven hier intensiv gearbeitet hat.

    Daneben habe ich mit John über die Jahre eine Gesprächsfreundschaft aufbauen dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar, denn John ist ein Mensch, der nicht sofort jeden umarmt. Gerade heute hatten wir zwei Stunden zusammen, in denen es nur wenige Minuten um das aktuelle Projekt ging. Uns beschäftigt: Was bedeutet die Existenz als Mensch, auch angesichts der menschenunwürdigen Flüchtlingssituation, die gerade in Afghanistan aufgebrochen ist? Wir tauschen uns aus, und sehen keine Trennung zwischen künstlerischen Fragen und der Welt um uns herum. Ich genieße solche Gespräche!

    Prof. Roland Geyer, Intendant des Theater an der Wien © Kiran West

    Trotz der großen internationalen Erfolge des Hamburg Ballett empfinde ich im Theater an der Wien jedes Mal eine besonders tiefe Resonanz. Wie erklären Sie die besondere Wertschätzung, die John Neumeier von Ihrem Publikum erfährt?

    Ich habe wohl eine gute Hand dafür, mit sensiblen, hochkreativen Menschen eine Gesprächsebene aufzubauen, sodass sie mir vertrauen. Ich sehe mich als Begleiter der Künstler und vermittle ihnen, dass ich mich mit aller Kraft dafür einsetze, aus dem gemeinsamen Projekt das Beste zu machen. Diese künstlerische Vertrauensbasis spürt auch das Publikum bei den Aufführungen, wofür das Theater an der Wien inzwischen bekannt ist.

    John hat im Gegenzug in 18 Jahren eine große Vielfalt an »Bewegungswelten« mitgebracht: Denken Sie sich den »Messias« neben »Orpheus« oder »Die Kameliendame« neben dem »Weihnachtsoratorium«. In seiner Art, an die Themen heranzugehen, war immer ersichtlich: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Egal, ob es dann klassischer oder moderner, leichter verständlich oder den Intellekt stärker herausfordernd choreografiert war.

    Roland Geyer spricht mit Jörn Rieckhoff über die Verbindungen zwischen Wien und Hamburg und die Vorbereitungen auf das aktuelle Gastspiel © Kiran West

    Was hat Sie bei der Vorbereitung für das aktuelle Gastspiel beschäftigt?

    Es war eine wichtige Frage in den Vorgesprächen zu »Beethoven-Projekt II«, dass John in Hamburg das Orchester hinter den Tänzern platziert hatte. Die Akustik in unserem kleineren Theater hätte eine massive Verstärkung erforderlich gemacht. Weil John unser Haus gut kennt, hat er sofort verstanden, dass das Orchester im Graben spielen muss, um das Erlebnis im Zuschauerraum lebendig zu halten.

    Bei der Platzierungsprobe ist mir aufgefallen, dass er einiges für unser Haus adaptiert hat. Man kann schon sagen, dass wir eine Wiener Fassung zu sehen bekommen. Ich habe mich früh dafür eingesetzt, dass der Flügel nicht in der ersten Gasse, sondern an der Seite auf dem überbauten Orchestergraben steht. Diese Plattform gab es auch im »Weihnachtsoratorium«, und auch in »Beethoven-Projekt II« ist es eine wunderbare Brücke in den Zuschauerraum.

    Abgesehen davon sehe ich den Applaus des Live-Publikums als größte Anerkennung, die die Künstler für ihre Leistung erhalten. Insofern freut es mich ungemein, dass die hohe künstlerische Qualität von John Neumeiers Produktion mit den Tänzerinnen und Tänzern des Hamburg Ballett dieses Wochenende mit zwei vollen Sälen gewürdigt wird.

    Jörn Rieckhoff

  • Ein Gesamtkunstwerk

    Ein Gesamtkunstwerk

    »Beethoven-Projekt II« ist die zweite Zusammenarbeit der Weltstars John Neumeier und Kent Nagano. Auch wenn der Hamburgische Generalmusikdirektor sich seit Jahrzehnten intensiv mit Beethovens Werken befasst hat, zeigt er sich von der künstlerischen Originalität des neuen Balletts beeindruckt. Im Online-Interview am 16. April 2021 – sechs Wochen vor der Uraufführung – lässt er keinen Zweifel daran, dass dieses außergewöhnliche Werk Begeisterung auslösen wird: beim Publikum wie auch bei den Mitwirkenden.

    Welchen Stellenwert hat das Orchester in diesem Ballett? Das Bühnenbild weist ihm einen Platz genau in der Mitte zu, wodurch Tanz und Musik als aufeinander bezogene Formen des künstlerischen Ausdrucks erscheinen.

    Kent Nagano: Wie in »Turangalîla« spiegelt »Beethoven-Projekt II« Johns herausragende Begabung, die Grundidee von Ballett zu vermitteln. Er hat ein Gesamtkunstwerk geschaffen, nicht nur ein Tanzstück mit Orchesterbegleitung. Er verwandelt die Idee von Ballett derart umfassend, dass alle Kunstgattungen organisch einbezogen sind. In diesem Fall stellt das Orchester den »Inhalt« des Abends bereit, aber auch den zugrundeliegenden Energie-Puls und das Medium, durch das sich die Tänzerinnen und Tänzer ausdrücken können. Zugleich sind wir ein sichtbarer Teil des Bühnenbilds, interessanterweise auch die Solisten. Durch diesen facettenreichen Ansatz sind die Tänzer als Künstler gänzlich frei. Sie tanzen zwischen den Musikern, aber auch vor, über und hinter dem Orchester, dem Dirigenten und den Solisten. Die Kunst wandelt sich zu einer Form des umfassenden, aktiven und universellen Austauschs. Für mich wirft dies ein besonderes Licht auf Johns ungewöhnliches Genie: seine Fähigkeit, mit dem Tanz ein Medium zu erschaffen, in dem sich humanistische Ideale ausdrücken lassen. Es gibt historische Vorbilder für diese Art des künstlerischen Ausdrucks, aus Zeiten »obrigkeitlicher Unterdrückung«.

    In »Beethoven-Projekt II« spielt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg auf der Bühne, Kent Nagano leitet das Orchester © Kiran West  

    Auch Beethoven lebte in solch einer Epoche: mit dem Wiener Kongress, auf den die Restaurationszeit folgte. Aufgrund seiner bekannten liberalen Ansichten und seiner Befürwortung von Demokratie und den Idealen der Französischen Revolution wurde er sogar unter eine Art Hausarrest gestellt. In dieser Zeit wurden Tanz und Hausmusik sehr wichtig, denn man konnte in dieser abstrakten Kommunikationsform seine Haltung zum Ausdruck bringen – sogar Widerspruch zur vorherrschenden Politik –, ohne sich durch die Verwendung konkreter Wörter unmittelbar in Gefahr zu begeben. Private Musikzirkel dieser Zeit erschlossen zudem die Idee der Gleichheit: Viele Frauen wurden exzellente Musikvirtuosinnen, die mit ihren Fähigkeiten, ihrer Ausstrahlung und ihrem Charakter oftmals die Männer in den Schatten stellten! Man denke an Clara Schumanns glanzvolle Karriere, um nur ein Beispiel zu nennen. Etwas Ähnliches finden wir in Johns Konzept für ›Beethoven-Projekt II‹. Mit Ausnahme von Klaus Florian Vogts kurzer Intervention – dem ersten Rezitativ und der folgenden Arie aus »Christus am Ölberge« – teilen sich die Emotionen und der spirituelle Gehalt des Balletts dem Publikum auf einer abstrakten Ebene mit. Jeder Zuhörer ist gezwungen, sich bei der Vorstellung als kreativ Denkender einzubringen. Jeder wird mit verschiedenen Eindrücken und Ideen aus der Oper gehen. Aus unserer Sicht als Musiker erlaubt dies eine enorme Freiheit, eine Verbindung mit dem Publikum aufzubauen.

    Kent Nagano, Klaus Florian Vogt und Musiker*innen des Philharmonischen Staatsorchesters bei einer gemeinsamen Probe mit dem Ensemble des Hamburg Ballett © Kiran West  

    Wie Sie schon erwähnten, vereint »Beethoven-Projekt II« verschiedene Musikgattungen. In den Jahren nach der Jahrtausendwende erregten Sie Aufmerksamkeit mit Ihren Berliner Konzertprogrammen, die Kammermusik und sinfonisches Repertoire kombinierten. Macht es einen grundlegenden Unterschied, wenn man Tanz hinzufügt?

    Ja, sicherlich. Es erinnert mich an eine Fragestellung, die heutzutage viel diskutiert wird: die scheinbare Ergänzungsbedürftigkeit abstrakter oder sinfonischer Musik um visuelle Elemente mit dem Ziel, Aufführungen »leichter zugänglich« zu machen. Mich beunruhigt die Debatte zutiefst, denn sie setzt voraus, dass klassische Musik für das breite Publikum schwer verständlich ist. Wenn es ein Problem gibt, dann liegt das sicher nicht an Beethoven, auch nicht an Mozart, Brahms oder Mendelssohn. Eher kann es zum Problem werden, in welcher Weise, auf welchem künstlerischen Niveau und in welchem Zusammenhang wir ihre Werke aufführen. In Sinfoniekonzerten wird viel mit Videos und allen möglichen visuellen Reizen experimentiert, aber diese Experimente bieten nur Unterhaltung oder Ablenkung, ohne dem Publikum zu helfen, die Tiefe und grundlegende Bedeutung der Werke zu verstehen.

    Das Ensemble des Hamburg Ballett mit Musiker*innen des Philharmonischen Staatsorchesters proben die Siebte Sinfonie © Kiran West  

    Im Gegensatz dazu ist Johns Choreographie in »Beethoven-Projekt II« völlig unabhängig. Die visuellen Elemente, die er Beethovens Siebter Sinfonie hinzufügt, konzentrieren sich auf den künstlerischen Gehalt und regen das Zusammenwirken von Publikum und der Kunstform Musik an. Paradoxerweise kann eine solche Abstraktionsebene die Musik weniger leicht verständlich machen. John aber erschafft einen mehrdimensionalen Dialog, sodass wir als Publikum ermutigt sind, Teil der Aufführung zu werden, anstatt uns nur passiv zurückzulehnen und uns unterhalten zu lassen. Auf diese Weise wird die Musik ein natürlicher Teil unseres Lebens, sie spricht uns direkt und persönlich an.

    John Neumeier steht im engen Austausch mit den Hamburger Behörden, um Möglichkeiten für eine Wiedereröffnung der Oper für unser Publikum zu verhandeln.

    John und ich tauschen uns darüber immer wieder aus. Die Lage in der Covid-19-Pandemie ist absolut frustrierend, weil so vieles, was wir über das Corona-Virus wissen, begrenzt ist – so vieles ist ein Rätsel. Diese Zeit hält sicher eine kaum lösbare Aufgabenstellung für alle Regierungsvertreter bereit, denn es gibt keine klaren Antworten, dagegen zuhauf widersprüchliche Informationen, und die Zielsetzungen müssen permanent an eine sich ständig ändernde Lage angepasst werden. Alle sind verletzlich. Alles andere ist unsicher, und dieser Umstand eröffnet ein breites Spektrum unterschiedlicher Ansichten. In einigen Regionen der Vereinigten Staaten kann man öffentliche Verkehrsmittel benutzen, ins Restaurant, in Geschäfte und zu Sportveranstaltungen gehen – wenn auch mit reduzierter Zuschauerzahl –, aber man darf keine Sinfoniekonzerte besuchen, keine Ballett- und Opernaufführungen.

    Die Geschichte lehrt uns, dass es ein ernster und gefährlicher Fehler wäre, Kunst und Kultur zu unterschätzen – dieses Fundament unserer Identität, unserer gesellschaftlichen Werte und unseres Gefühls für Lebensqualität –, es würde enorme Konsequenzen nach sich ziehen. Obwohl das Überleben entscheidend von der Verfügbarkeit von Nahrung und einem Obdach abhängt, benötigen wir Menschen mehr als das nackte Überleben, um zu gedeihen. Diese »Menschlichkeit« unterscheidet uns von der Welt der Tiere wie auch der Technik. Während wir als Gesellschaft darum kämpfen, den richtigen Weg zu finden, ist Johns innere Einstellung und Energie, mit der er um unsere Kunst kämpft, eine Haltung, die wir uns als Menschen unbedingt zu eigen machen sollten. Während die Pandemie andauert, diskutieren Politiker, was Priorität haben soll. Diese Debatte können wir nicht gewinnen. Trotzdem wird man jederzeit fühlen, vielleicht nur unterbewusst, dass die seelische Nahrung, die sich aus Schönheit, Natur und Kreativität speist, immer unentbehrlich bleiben wird für ein erfülltes Leben.

    Jörn Rieckhoff

  • »Musik, die mir nahekommt«

    »Musik, die mir nahekommt«

    John Neumeier im Gespräch mit Jörn Rieckhoff anlässlich der Uraufführung von »Beethoven-Projekt II«

    »Beethoven-Projekt II« ist eine neu konzipierte Premiere, die das ursprünglich geplante Werk Beethoven 9 ersetzt. Wie kam dieser Wechsel zustande? Der wesentliche Impuls bestand offenbar darin, dass Sie nicht von Ihrem Anspruch einer Uraufführung mit Live-Musik unter der Leitung von Generalmusikdirektor Kent Nagano abrücken wollten.

    John Neumeier: Es wäre mir nie eingefallen, in der Hamburgischen Staatsoper die Premiere von so einem gewichtigen Werk wie der Neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven mit aufgezeichneter Musik anzubieten. Meine Ideen konzentrierten sich darauf, wie eine angemessene Ehrung von Beethoven im Jubiläumsjahr seines 250. Geburtstags doch noch möglich wäre. Diese Überlegung hat mich zurückgeführt zu meinen Gefühlen und Erfahrungen mit dem »Beethoven-Projekt«, in dem ich 2018 zentrale Werke Beethovens zusammenstellte, die durch das »Eroica-Thema« verbunden sind. Am Ende der damaligen Arbeit blieb das Gefühl: Meine Beschäftigung mit diesem Komponisten ist bei Weitem nicht abgeschlossen. »Beethoven-Projekt II« ist kein Ersatz-Programm. Eher könnte man von einem Vorziehen in meiner langfristigen Beschäftigung mit Beethoven sprechen, denn dieses Werk hätte auch nach einem Ballett zur Neunten Sinfonie entstehen können.

    Madoka Sugai, Alexandr Trusch und Ensemble in »Beethoven-Projekt II« © Kiran West  

    Für mich ist das Interessante an der Arbeit mit Beethoven: Man hat zu tun mit einem großen Genie der Musikgeschichte, das ich mir immer wie auf einem Sockel stehend vorstelle. Ich persönlich habe seine Musik immer mit großer Verehrung – ja mit Respekt und Bewunderung angehört. Die Tatsache, dass man mit dieser Musikarbeitet, dass diese Musik zu einer Art »Werkzeug« – ein furchtbares Wort! – für die Erarbeitung eines neuen Kunstwerks wird, bedarf einer ganz anderen Art, mit dieser Musik umzugehen.  Ich hole sie vom Sockel herunter – die Musik wird intim. Sie ist nicht mehr nur das Werk eines bewunderten Meisters, sie muss etwas ganz Nahes werden – für mich persönlich, damit ich damit arbeiten kann. Ich darf sie beim Hören nicht mehr nur »schön« finden, ich muss mich darin wiederfinden. Um es zusammenzufassen: Meine neue Kreation ist ein sehr aufregendes Projekt. Für mich ist es eine Überraschung zu erleben, wie Beethovens Musik eine gewisse Intimität gewinnt: kein unerreichbares Meisterwerk, sondern Musik, die mir sehr nahekommt. Es ist überaus faszinierend, Beethovens Musik zu meiner eigenen werden zu lassen!

    »Beethoven-Projekt II« mischt Solo-Klaviermusik, Kammermusik und Orchestermusik – sogar mit Solo-Gesang. Vor zwei Jahrhunderten wäre das nichts Ungewöhnliches, in unserem heutigen Kulturbetrieb gibt es kaum Vergleichbares. Was hat Sie zu dieser Zusammenstellung bewogen?

    Die Verbindung von einem Oratorium und einer Sinfonie wäre zu Beethovens Zeit tatsächlich nichts Ungewöhnliches. Wie man nachlesen kann, waren Programme mit verschiedenen Besetzungen damals an der Tagesordnung. Bei Kombinationen mit Kammermusik muss man allerdings berücksichtigen, dass sie eher für Privataufführungen gedacht waren. Meine Repertoire-Auswahl für »Beethoven-Projekt II« hat nicht zuletzt pragmatische Gründe. Für die Neunte Sinfonie hatte ich einen meiner liebsten Sänger vorgesehen, Klaus Florian Vogt. Ich habe mich sehr darauf gefreut, wieder mit ihm zu arbeiten. Als klar wurde, dass wir das geplante Werk nicht umsetzen könnten, habe ich das Beethoven-Repertoire regelrecht danach durchsucht, was trotz allem die Weiterführung seines Vertrages ermöglichen könnte. Dabei bin ich auf »Christus am Ölberge« gestoßen – ein Werk, von dem ich gelesen, aber das ich bis dahin nie vollständig gehört hatte. Innerlich habe ich sofort Klaus Florian vor mir gesehen und seine Stimme gehört.

    Aleix Martínez mit Klaus Florian Vogt (Tenor) und Mari Kodama (Klavier) sowie das Philharmonische Staatsorchester Hamburg während einer Probe von »Beethoven-Projekt II« © Kiran West  

    Diese Vorentscheidung beeinflusste auch, dass der Abend »Beethoven-Projekt II« heißt und nicht einen romantischen Titel wie »An die ferne Geliebte« bekam – was vielleicht öffentlichkeits-wirksamer wäre. Genau wie mein erstes abendfüllendes »Beethoven-Ballett I« betrachte ich die neue Kreation als Projekt: Es gibt keine nacherzählbare Handlung, es ist kein choreografisches Porträt, auch kein rein sinfonisches Werk. »Beethoven-Projekt II« basiert auf der Faszination und Verbindung eines Choreografen zu einem großen Musiker, in Verbindung mit einer Auswahl von Werken, die ihm zusagen. Diese Werke lassen eventuell biografische Fragmente erahnen; durch die Improvisation zu dieser Musik erfahre ich sie zugleich als geniale Tanzmusik – eine Musik für Tanz in seiner reinsten Form. Mein neues »Beethoven-Projekt« ist wie ein Bouquet aus verschiedenen Farben – musikalischen sowie choreografischen.

    Mit Ausnahme der Siebten Sinfonie haben Sie Werke Beethovens gewählt, die im zeitlichen Umfeld des »Heiligenstädter Testaments« entstanden. Steht dahinter eine bewusste Entscheidung?

    Die Auszüge aus »Christus am Ölberge« stellen eine Verbindung her zum Leben von Beethoven. Wie einige Wissenschaftler sehe ich einen Zusammenhang zum sogenannten »Heiligenstädter Testament«. Das Seltsame am Oratorium ist, dass es nur das biblische Geschehen am Gründonnerstag thematisiert – bevor das eigentliche, das physische Leiden Christi beginnt. Es ist eine Vorahnung, ein rein innerlicher Kampf, und ein Gebet, dass die Passion bitte nicht stattfinden möge. Das kann man interpretieren als Beethovens eigenes Gebet, komponiert zu einer Zeit, als ihm klar wurde, dass er sein Gehör endgültig verlieren würde. Wie Christus scheint er in seiner Musik darum zu bitten, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge. Insofern ist meine Choreografie eher von der Biografie Beethovens angeregt, weniger von der biblischen Passionsgeschichte.

    Ida-Sofia Stempelmann und Atte Kilpinen eröffnen den Ersten Satz der Siebten Sinfonie von Ludwig van Beethoven © Kiran West

    Die Siebte Sinfonie sehe ich auf einer ganz anderen Ebene. Das Werk ist bekannt als Beethovens tänzerischste Sinfonie, die am meisten auf rhythmischen Impulsen basiert. Daher sind alle Gedanken an eine narrative Handlung abwegig. Meine Choreografie ist eine Hommage an den Ursprung des Tanzes. Hier sollte man den reinen, puren Tanz zu dieser Musik erleben, ja genießen! »Beethoven-Projekt II« bedeutet für mich die Auseinandersetzung eines Choreografen mit verschiedenen Arten von Musiken, die zu verschiedenen Arten von Choreografien führen: teilweise als Fragmente von biografischen Bildern, aber manchmal auch einfach als Tanz, den diese Musik auslöst. Als ich die Musik für diesen Ballettabend zusammenstellte, schrieb ich in mein Notizbuch: Das Ballett ist nicht eine neue Aussage von mir über Beethoven, sondern ich suche und freue mich auf das, was Beethovens Musik mir erzählt.

    Jörn Rieckhoff

  • Proben trotz Aufführungsverbot

    Proben trotz Aufführungsverbot

    Was kann ein großes Ballettensemble tun, wenn im Zuge der Corona-Pandemie die eigene Staatsoper und auch alle anderen Bühnen im Land für das Publikum geschlossen sind? John Neumeier hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der Zeit des Lockdowns wenigstens die Probenbedingungen für das Hamburg Ballett soweit wie möglich an einen Normalzustand heranzuführen.
    John Neumeier bei den Proben zu »Beethoven-Projekt II« im Ballettzentrum Hamburg © Kiran West

    Voraussetzungen
    Seit Mitte Oktober gilt im Ballettzentrum ein strenges Hygienekonzept. Es schließt die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) ebenso ein wie regelmäßiges Lüften durch die großen Fensterfronten des Schumacher-Baus.

    Zusätzlich werden die Tänzerinnen und Tänzer regelmäßig auf Covid-19 getestet. Sie dürfen einander berühren – allerdings nur innerhalb festgelegter und nachvollziehbarer Sequenzen im Rahmen der Choreografie.

    linkes Bild: Hélène Bouchet, Edvin Revazov und Karen Azatyan proben »Tod in Venedig« © Kiran West

    Die Probenarbeit
    Seit Beginn der Corona-Krise hat John Neumeier sich ganz auf das Management und die künstlerische Entwicklung des Hamburg Ballett konzentriert. Im zweiten Lockdown seit November 2020 plädiert er für eine möglichst schnelle Rückkehr zur Live-Aufführung – sobald das politisch und im Hinblick auf den Gesundheitsschutz vertretbar ist. Aus dieser Haltung heraus gewinnen die täglichen Proben im Ballettzentrum Hamburg eine besondere Bedeutung, die er mehr als üblich persönlich leitet.

    Künstlerische Ideen
    John Neumeier nutzt die zusätzliche Probenzeit während des Lockdowns für gründliche Proben. Das Hygienekonzept des Hamburg Ballett erlaubt auch Durchläufe abendfüllender Ballette, einschließlich großer Ensembleszenen.

    Das Ensemble probt die Handwerkerszene in »Ein Sommernachtstraum« © Kiran West

    Neben »Beethoven-Projekt II«, das weiterhin auf seine Uraufführung wartet, probt John Neumeier mit besonderer Sorgfalt »Ein Sommernachtstraum« und »Tod in Venedig«.

    Puck (Alexandr Trusch) wartet sehnsuchtsvoll auf die Öffnung der Theater © Kiran West

    Alle drei Ballette sollen nach der Wiedereröffnung der Hamburgischen Staatsoper in mehreren Besetzungen auf die Bühne kommen.

    Jörn Rieckhoff

  • Rund um den Ü-Wagen –  wie der SWR John Neumeiers »Ghost Light« aufzeichnet

    Rund um den Ü-Wagen – wie der SWR John Neumeiers »Ghost Light« aufzeichnet

    Auf dem Parkplatz hinter dem Festspielhaus Baden-Baden hat der SWR eine regelrechte Siedlung eingerichtet. Neben dem großen Ü-Wagen sind mehrere Container aufgebaut. Die Türen stehen meist offen. Wer vorbeikommt, wird freundlich gegrüßt. In diesem Setting entsteht die hochkarätige Aufzeichnung von John Neumeiers jüngstem Ballett »Ghost Light«. Das Hamburg Ballett ist für vier Aufführungen und eine Ballett-Werkstatt zum traditionellen Herbstgastspiel angereist. Auch wenn Abstandsgebot und Hygienekonzept eine weitgehende Trennung von künstlerischer Produktion und Aufzeichnung vorsehen, waren Fernsehredakteur Harald Letfuß und Produktionsleiter Heinz-Jürgen Hilgemann gerne bereit, einen Einblick in ihre Arbeit beim SWR zu geben.

    Das Festspielhaus-Publikum feierte die Premiere von »Ghost Light« mit Standing Ovations. Wie ist die Stimmung rund um den Ü-Wagen?

    Heinz-Jürgen Hilgemann: Großartig! Immer wieder kommen Kollegen vom Ballett vorbei und sagen: „Es ist so toll mit Euch!“ Wir freuen uns, wieder ein John Neumeier-Ballett in die Welt zu bringen. In einer Zeit, in der nur 500 Zuschauer im Festspielhaus sein dürfen, kommen wenigstens durch den weltweiten Livestream viele Menschen in den Genuss dieser Aufführung.

    Harald Letfuß: Die Motivation für dieses Projekt ist besonders groß, weil durch den Lockdown mehr als zwei Monate lang bei uns gar nichts ging. Als ich im Frühsommer andeutete, dass Gespräche mit dem Festspielhaus für ganz großes Ballett laufen, gab es regelrechte Jubelrufe.

    Bei welcher Gelegenheit haben Sie John Neumeier kennengelernt?

    Harald Letfuß: Die erste Begegnung war »Tod in Venedig« 2004 im Festspielhaus, eine Aufzeichnung mit dem gleichen Aufwand wie bei »Ghost Light«. Seitdem ist der Kontakt nie abgerissen – und jetzt drehen wir sogar das zweite Jahr in Folge.

    Heinz-Jürgen Hilgemann: Schon während meines Volontariats Ende der 70er Jahre habe ich in John Neumeiers Produktionen mit Studio Hamburg hineinspickeln können. Jeder wusste: Was dort passiert, ist Weltklasse. Als »der« John Neumeier dann zu uns für Aufzeichnungen nach Baden-Baden kam, hatte ich als Ballettfan Tränen in den Augen. »Tod in Venedig« ist ein unglaublich gut gemachtes Ballett! Bis heute bin ich besonders stolz darauf, dass wir als SWR international die einzige Rundfunkanstalt sind, die einen Film der »Matthäus-Passion« mit John Neumeier in der Rolle des Jesus haben.

    Heinz-Jürgen Hilgemann und Harald Letfuß im Gespräch © Kiran West

    Wie kommt im Corona-Jahr 2020 ein Ballett wie »Ghost Light« rechtzeitig in den Redaktionsplan?

    Harald Letfuß: Ich glaube, Sie haben mich angerufen (lacht). Wir haben frühzeitig gemeinsam überlegt, die erfolgreiche Zusammenarbeit von »Beethoven-Projekt« unmittelbar fortzusetzen. Als klar wurde, dass die ursprünglich geplante ›Kameliendame‹ unter Corona-Bedingungen nicht aufführbar ist, kam aus Hamburg schnell das Signal, dass John Neumeier etwas völlig Neues kreiert. Mit »Ghost Light« zeichnen wir unter Corona-Bedingungen etwas Einmaliges auf, was es kein zweites Mal auf der Welt gibt. Wir haben alles darangesetzt, diese Produktion Wirklichkeit werden zu lassen: mit großem Ü-Wagen, Containern und einem anspruchsvollen Hygienekonzept.

    Herr Hilgemann, als Produktionsleiter haben Sie die gesamte Technik im Blick. Welche Besonderheiten mussten bei der diesjährigen Aufzeichnung beachtet werden?

    Heinz-Jürgen Hilgemann: Ein Gedanke vorweg: Meine Kollegen lechzen nach tollen Produktionen. Dabei müssen wir uns auf die guten Ideen der Redaktion verlassen, die an den traditionell herausragenden Ruf des SWR im Kultur- und Klassikbereich anknüpfen kann. Ich habe daher sehr früh nach Beginn des Lockdowns mit Harald Letfuß überlegt, welche Produktionen im Herbst denkbar wären. Sein enger Kontakt zum Hamburg Ballett war entscheidend, um konkrete Planungsschritte rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Unser Ziel ist eine erstklassige Aufzeichnung, die parallel zum Publikumsbetrieb, aber möglichst unauffällig entsteht. Heute arbeiten wir mit exzellenter Technik, die ein Ballett so abfilmt, wie es kreiert ist – einer Technik, die auch schwach ausgeleuchtete Felder eines Lichtdesigns adäquat festhalten kann. Durch Corona sind wir besonders in der Zahl der Kameras beschränkt, die der Regie eine Auswahl an Perspektiven für die Schnittfassung zur Verfügung stellen. Dabei geht es übrigens nicht um den Platzbedarf im Saal, sondern im Ü-Wagen, denn hier sitzen Kollegen, die diese Kameras betreuen.

    Harald Letfuß: Von redaktioneller Seite darf ich hinzufügen, dass ein derartiges Projekt nur mit einem Produktionsleiter umsetzbar ist, der mit der Materie Ballett vertraut ist. Dieser Erfahrungsschatz ist eine zentrale Voraussetzung – auch, weil wir die verfügbaren Geldmittel sorgfältig einsetzen müssen. Zu guter Letzt braucht man einen Partner wie das Hamburg Ballett, mit dem man auf Augenhöhe Kompromisse aushandeln kann: zur Dauer der Aufzeichnung, zu Rechtefragen usw.

    Harald Letfuß mit Jörn Rieckhoff vor dem Ü-Wagen © Kiran West

    Wie erleben Sie John Neumeier, wenn er für die Dauer der Vorstellung zum Produktionscontainer kommt, um die Aufzeichnung am Split-Screen zu verfolgen?

    Harald Letfuß: Er ist hochkonzentriert und fokussiert. Ich sehe unsere Aufgabe darin, ihm einen Rahmen zur Verfügung zu stellen. Er soll sich voll und ganz darauf einlassen können, wie sein Ballett im Medium des Films auf den Bildschirm kommt. Alle freuen sich, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich in unserem Arbeitsbereich bewegt. Ich meine sogar, manchmal ein freudiges Lächeln zu entdecken, wenn etwas besonders gut funktioniert.

    Heinz-Jürgen Hilgemann: Mit Myriam Hoyer haben wir eine Regisseurin, die exakt das umsetzt, was John Neumeier sich vorstellt. Dazu gehört auch ein erheblicher Arbeitsaufwand im Vorfeld: dass sie sich mit John Neumeier zusammensetzt und konkret nachfragt, was ihm bei der Aufzeichnung wichtig ist.

    Haben derart aufwendige Ballett-Produktionen beim SWR eine Zukunft?

    Harald Letfuß: Ich weiß, dass bei vielen Ballettcompagnien die Vorstellungen mit großem Vorlauf ausverkauft sind. Was noch wenig in den Medien thematisiert wird: Es gibt einen immer größeren Kreis von jüngeren Menschen, um die 20, die Ballett für sich entdecken, auch wenn sie es nicht durch ihr Elternhaus kennengelernt haben. Eine regelrechte Renaissance, an der wir teilhaben wollen!

    Zudem sind Ballett-Tickets oft hochpreisig. Als öffentlich-rechtlicher Sender mit einem Kulturauftrag steht es uns gut an, die Tradition der SWR-Ballettaufzeichnungen mit hohem Qualitätsanspruch fortzuführen: um Menschen mit körperlichen oder finanziellen Einschränkungen – auch Menschen, für die die nächste Bühne schlicht nicht erreichbar ist – einen Zugang zu dieser großartigen Kunstform anzubieten.

    Jörn Rieckhoff

  • David Fray – der renommierte Schubert-Interpret tritt erstmals mit dem Hamburg Ballett auf

    David Fray – der renommierte Schubert-Interpret tritt erstmals mit dem Hamburg Ballett auf

    Die Schubert-Einspielungen von David Fray haben John Neumeier zu seiner Musikauswahl für sein jüngstes Ballett »Ghost Light« angeregt. Nach zwei Probentagen im Ballettzentrum Hamburg betritt der in Fachkreisen hochgehandelte Pianist erstmals eine Ballettbühne und spielt im Festspielhaus Baden-Baden die Soloklaviermusik zu diesem »Ballett in Zeiten von Corona«. Beim Gespräch vor der Premiere wird sofort deutlich: Dieser Künstler sucht den Dialog, auch mit anderen Kunstformen, um dem Publikum einmalige und unverwechselbare Erlebnisse zu vermitteln.

    Wann haben Sie zum ersten Mal von der Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit dem Hamburg Ballett gehört?

    David Fray: Soll ich wirklich nachschauen? Das würde mich auch interessieren (lacht). Der Vorschlag kam ungefähr Ende Juni. Eine Ballett-Aufführung zu spielen, ist für uns Musiker interessant – und auch ein wenig unheimlich. Als Künstler glaube ich an die Kraft der Musik, an eine Kraft, die nichts Anderes benötigt. Etwas Visuelles zu begleiten, kann störend sein. Man könnte meinen, die Musik wäre nicht mehr die Hauptsache, reduziert auf eine Vorlage für Ballett.

    Aber als die Anfrage von John Neumeier kam, hatte ich keine Bedenken. Ich kannte Johns Werke. Ich wusste: Alles, was er der Musik hinzufügt, würde dem Wesen dieser Musik sehr entsprechen. Auch die Tatsache, dass er einen Konzertpianisten fragte, war ein Zeichen dafür, dass er der Musik einen Eigenwert zuschrieb. Bei John konnte ich darauf vertrauen, dass Musik und Bewegungen eine tiefe Symbiose eingehen.

    John Neumeier wurde von einer Ihrer Einspielungen angeregt, sein Ballett mit Musik von Franz Schubert zu kreieren. Kommt Ihnen das entgegen?

    John hat Musik gewählt, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Zwar ist ein Großteil seiner Musik nicht zum Tanzen gedacht. Aber während der Arbeit mit John wurde mir neu bewusst, wie viele Aspekte trotzdem mit Tanz verbunden sind, auch jenseits seiner Deutschen Tänze und Walzer. Manchmal sind es nur unauffällige Anklänge, so wie hier im 1. Satz der G-Dur-Sonate (spielt einen Auszug mit tänzerisch punktiertem Rhythmus).

    Ich fühle mich auch vom Ballett-Titel »Ghost Light« angesprochen. Schon lange vor diesem Projekt hatte ich das Gefühl: Schuberts Musik ist eine Musik von Geistern. Es ist die Musik eines Zwischenreichs: nicht von unserer Welt, nicht aus dem Jenseits.

    Wie war Ihr Eindruck von den ersten Proben mit dem Hamburg Ballett? Zunächst haben Sie einen Durchlauf im Ballettsaal mit Ihrer Einspielung erlebt, erst danach Szene für Szene am Klavier begleitet.

    Es war keine leichte Aufgabe. Einerseits muss man wie in einem Konzert spielen: projizieren, wie man selbst die Musik in diesem Augenblick empfindet. Andererseits ist genau das im Ballett unmöglich, denn ich muss immer in Verbindung bleiben mit dem, was die Choreografie vorgibt – auch wenn ich nicht in jedem Moment die Tänzer beobachte.

    Johns Repertoire-Auswahl ist anspruchsvoll. Es ist ein Großteil der Schubert-Stücke, die ich jemals eingespielt habe. Das alles ohne Pause zu spielen, ohne dass Konzentration und Fokussierung nachlassen, ist sehr schwer. Es erfordert so viel Hingabe! Ich kann diese Werke nicht spielen, ohne innerlich beteiligt zu sein.

    Was denken Sie: Wird es weitere Projekte mit Ihnen und dem Hamburg Ballett in der Zukunft geben?

    Natürlich muss ich zunächst die Aufführungen abwarten. Aber es wäre interessant, »Ghost Light« auch in anderen Städten aufzuführen. Wenn unsere noch junge Zusammenarbeit sich weiter so positiv entwickelt, ist das eine Idee, die ich gerne unterstütze. Sicher werden sich Gespräche mit John anschließen und man wird sehen, ob gemeinsame Projekte entstehen. Diese Art der Begegnung mit großen Künstlern ist faszinierend. Oft bleibt es bei einem netten Abend, aber manchmal entsteht etwas wirklich Neues, das sehr weit trägt.

    Jörn Rieckhoff

  • Benedikt Stampa – der Festspielhaus-Intendant blickt auf das beginnende Gastspiel des Hamburg Ballett unter Corona-Bedingungen

    Benedikt Stampa – der Festspielhaus-Intendant blickt auf das beginnende Gastspiel des Hamburg Ballett unter Corona-Bedingungen

    Es ist das erste Gastspiel des Hamburg Ballett seit dem Lockdown. Das Programm musste angepasst werden: John Neumeiers vor wenigen Wochen uraufgeführtes Ballett »Ghost Light« ersetzt »Die Kameliendame«. In dichter Folge sind vier Vorstellungen und eine Ballett-Werkstatt angesetzt. Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa strahlt Zuversicht aus. Endlich öffnet sich das Haus wieder für seine Künstler – und sein Publikum.

    Das Hamburg Ballett gestaltet zum zweiten Mal in Folge das Programm der Saisoneröffnung im Festspielhaus Baden-Baden. Hat dieser Umstand etwas mit der Künstlerpersönlichkeit von John Neumeier zu tun?

    Benedikt Stampa: Auf jeden Fall. Als Intendant darf ich John noch einmal neu erleben, nach meiner Hamburger Zeit. Als Chef der Laeiszhalle habe ich die Ära Ingo Metzmacher erlebt. Schon da war John eine Konstante. Unser Kontakt blieb aber eher auf der gesellschaftlichen Ebene, etwa bei Empfängen oder Premierenfeiern. Das Wiedersehen mit ihm in Baden-Baden war daher schon spannend. Ich bin komplett geflasht!

    Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa im Gespräch mit Jörn Rieckhoff, Kommunikationschef des Hamburg Ballett © Kiran West

    Wann haben Sie zum ersten Mal in Ihrer Funktion als Festspielhaus-Intendant mit John Kontakt aufgenommen?

    Als die Berufung nach Baden-Baden klar wurde, habe ich überlegt: Mit welchen der Künstler, die seit Jahren das Profil vom Festspielhaus geprägt haben, spreche ich zuerst? Und da war John ganz vorne mit auf der Shortlist.

    Ich habe ihn dann in Hamburg getroffen, wir saßen zusammen im Italiener an der Dammtorstraße und haben uns quasi beschnuppert. Bei mir ist der Funke sofort übergesprungen. Zugleich habe ich gespürt: Da ist noch Platz und Raum für neue Dinge.

    Das Festspielhaus erwacht gerade aus einer Art Dornröschenschlaf. Wie ist die Stimmung, auch unter Ihren Kollegen?

    Auch wenn wir alle lange Routine in unserem Job haben, hat noch keiner eine so lange Durststrecke erlebt. Alle haben professionell reagiert. Selbstverständlich auch unsicher: Wie lange dauert das? Man hat sich in eine Rolle der Improvisation begeben, aber auch der neu auferlegten Flexibilität. Trotz aller Frustration haben wir uns die Zeit genommen, nach vorne zu schauen. Wir wollen die Zukunft selbst gestalten.

    Wie wichtig sind Förderer, auch für das Gastspiel einer Ballettcompagnie wie das Hamburg Ballett?

    Für unser Haus: existentiell. Hella und Klaus Janson sind seit Jahrzehnten dem Haus eng verbunden: als treue Stifter und Förderer, die regelmäßig zu den John Neumeier-Festspielen anreisen. Diese Art der Verzahnung von Festspielhaus und Hamburg Ballett ist über Jahrzehnte gewachsen. John Neumeier hat mit seiner Compagnie viel investiert. Man nimmt den Tänzerinnen und Tänzern einfach ab, dass Baden-Baden nicht nur eine beliebige Tournee-Station ist. Man spürt: Es ist Teil ihrer Identität.

    Benedikt Stampa innerhalb des Festspielhaus-Gebäudes © Kiran West

    Diese Art gewachsener Identifikation ist für unsere Aufführungen in Hamburg wesentlich dafür verantwortlich, dass auch in der Corona-Krise eine ungebrochene Ticket-Nachfrage besteht.

    Das ist bei uns auch so. Wenn ich mir die Verkaufszahlen anschaue, liegt John an der Spitze. Das Besondere ist: Seine treue Fangemeinde verjüngt sich sogar.

    Bei »Ghost Light« sind insgesamt 55 Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne. Wie schwer war es, für dieses künstlerische Programm ein Hygienekonzept genehmigt zu bekommen?

    Wir haben viele Festivals und müssen für jedes einzelne ein eigenes Hygienekonzept erstellen: jetzt gerade für John Neumeier, im November kommt Thomas Hengelbrock mit seinem Ensemble, dann Cecilia Bartoli mit ihrer Opernproduktion. Die Diskussionen reichen von mobilen Test-Stationen, Quarantäne-Maßnahmen und Absprachen mit dem Ordnungsamt – bis hin zur Frage: Wer darf wann in die Kantine?

    Ich sehe schon: Wir müssen wiederkommen. Haben Sie eine Vision, mit welchem Programm?

    Ja! (lacht) Darüber spreche ich nachher mit John. Natürlich habe ich einen Plan fürs Festspielhaus, auch wenn sich durch Corona Verzögerungen ergeben. Kulturinstitutionen müssen sich verändern. Wir als Festspielhaus und auch unser Programm dürfen nicht austauschbar sein. Es geht um Bindungen zum Publikum und zu den Künstlern. In dieser Hinsicht ist John ein großes Vorbild, das belohnt wird: mit Ewigkeitswerten.

    Jörn Rieckhoff

  • Maria Grätzel – der Blick einer Orchestermanagerin auf John Neumeiers »Beethoven-Projekt«

    Maria Grätzel – der Blick einer Orchestermanagerin auf John Neumeiers »Beethoven-Projekt«

    Die Aufführungen des »Beethoven-Projekt« im Rahmen der Herbstfestspiele 2019 sind das dritte gemeinsame Projekt des Hamburg Ballett mit der Deutschen Radio Philharmonie im Festspielhaus Baden-Baden. Vor zwei Jahren markierten Aufführungen von John Neumeiers Ballett »Das Lied von der Erde« mit Klaus Florian Vogt und Benjamin Appl den Beginn der fruchtbaren Zusammenarbeit. Seit wenigen Monaten ist Maria Grätzel Managerin des Orchesters, dem die FAZ erst kürzlich »überregionales Renommee« und einen »fabelhaften Chefdirigent« (Pietari Inkinen) attestierte, der die Hörer aus nah und fern anziehe. Am Rande der Generalprobe verrät Maria Grätzel, was sie an der Kooperation mit John Neumeier und dem Hamburg Ballett besonders schätzt.

    Die Deutsche Radio Philharmonie ist ein erfolgreiches Konzertorchester. Was motiviert Ihr Orchester, eine Produktion mit dem Hamburg Ballett zu realisieren?

    Maria Grätzel: Gerade dass es sich um eine szenische Produktion handelt, ist für uns reizvoll! Als Rundfunksinfonieorchester haben wir nur selten die Gelegenheit, Opern oder Ballette musikalisch mitzugestalten. Das »Beethoven-Projekt« ist eine willkommene und zugleich herausfordernde Aufgabe – vor allem, weil es um ein Ballett von der Qualität geht, die sich mit dem Namen John Neumeier verbindet.

    Maria Grätzel und Jörn Rieckhoff auf dem Weg zur Generalprobe © Kiran West

    Beethovens 250. Geburtstag ist in der Klassikwelt in aller Munde. Wie fügt sich John Neumeiers »Beethoven-Projekt« in die Programmplanung der Deutschen Radio Philharmonie ein?

    Wir beziehen zum Beethoven-Jubiläum ganz aktiv Stellung. Einen Jahrtausend-Komponisten wie ihn kann man einfach nicht ignorieren! In dem Projekt »My Playlist Beethoven« gehen wir in Schulen und lassen die Kinder eine Playlist von »Beethoven-Lieblingsstücken« zusammenstellen, die im kommenden Jahr in Konzerten zu hören sein werden. Außerdem stehen in meinem Kalender: ein Wochenende mit sämtlichen Beethoven-Klavierkonzerten – Lars Vogt macht »play & conduct« – und eine Deutschland-Tournee mit Beethovens Neunter in einer Neuedition von Breitkopf & Härtel.

    Der Blick in den Orchestergraben © Kiran West

    Bei der Planung des »Beethoven-Projekt« war es John Neumeier wichtig, aus den 85 CDs seiner Beethoven-Gesamtaufnahme eine stimmige Auswahl für den zweistündigen Ballettabend zusammenzustellen. Wie sehen Sie die Werkauswahl aus Orchesterperspektive?

    Ich empfinde die Kombination von Kammer- und Orchestermusik in einem Programm als besonders spannend. Einige Musiker unseres Orchesters erhalten so zusätzlich die Gelegenheit, ihr herausragendes Können zu zeigen. Ein Streichquartett der Deutschen Radio Philharmonie spielt den gewichtigen langsamen Satz aus Beethovens op. 132. Unser Erster Konzertmeister Ermir Abeshi und unser Solocellist Teodor Rusu spielen den anspruchsvollen langsamen Satz des »Geistertrios« sogar auf der Bühne – auswendig! Aber auch das ganze Orchester ist mit einem der zentralen Werke aus Beethovens Sinfonik vertreten, der »Eroica«. Für mich persönlich ist es ein Privileg, mit der Compagnie von John Neumeier aufzutreten.

    Maria Grätzel und Jörn Rieckhoff im Gespräch © Kiran West

    Dr. Jörn Rieckhoff

  • Dr. Wolfgang Gushurst zur SWR-Fernsehaufzeichnung von John Neumeiers »Beethoven-Projekt«

    Dr. Wolfgang Gushurst zur SWR-Fernsehaufzeichnung von John Neumeiers »Beethoven-Projekt«

    Titelbild: John Neumeier mit Dr. Wolfgang Gushurst, seiner Frau Silke Hirmer und Dr. Jörn Rieckhoff nach der Premiere von
    »Orphée et Eurydice« in Baden-Baden © Kiran West

    Im Rahmen der Herbstfestspiele 2019 zeigt das Hamburg Ballett im Festspielhaus Baden-Baden John Neumeiers 160. Ballett, das »Beethoven-Projekt«. Die beiden Aufführungen am 3. und 4. Oktober werden vom SWR aufgezeichnet und voraussichtlich im Frühjahr 2020 ausgestrahlt. Dr. Wolfgang Gushurst, seit 2017 Leiter der SWR-Hauptabteilung »Kultur, Wissen, SWR2«, hat sich in besonderer Weise für diese Kooperation stark gemacht. Anlässlich der Saisoneröffnung im Festspielhaus Baden-Baden sprach er mit Dr. Jörn Rieckhoff über seine persönliche Motivation, für John Neumeier auch medial den roten Teppich auszurollen.

    Was verbinden Sie mit John Neumeier und dem Hamburg Ballett? Wo haben Sie die Compagnie bisher erlebt?

    Dr. Wolfgang Gushurst: Sehr beeindruckend und intensiv sind die Aufführungen wie z.B. im letzten Jahr im Festspielhaus Baden-Baden mit »Bernstein Dances«. Das Besondere und die intensive Detailarbeit vermittelt sich aber auch sehr gut bei einem Proben- oder Werkstattbesuch. So hatte ich bei einem Hamburg-Aufenthalt mit meiner Familie Gelegenheit, im Rahmen der Theaternacht einen Einblick in die Probenarbeit in der Hamburger Ballettschule zu erhalten. Dies kann ich sehr empfehlen.

    Die ersten Testaufnahmen erfolgten während der Bühnenprobe im Festspielhaus Baden-Baden © Kiran West

    Der SWR ist ein langjähriger Partner des Hamburg Ballett und hat in der Vergangenheit zentrale Werke aus John Neumeiers Schaffen aufgezeichnet. Was war der Impuls, diese Tradition mit John Neumeiers neuestem Ballett wiederzubeleben?

    Wir stehen kurz vor dem Beethovenjahr 2020. Die verschiedensten Orchester, Ensembles, Musiker beschäftigen sich mit den Werken, und vermutlich wird alles, was Beethoven jemals auf Notenpapier gebracht hat, zur Aufführung gelangen. Als Programmmacher und auch Kulturproduzent sind wir immer auf der Suche nach originellen Zugängen, was mit der künstlerischen Aneignung von Beethovens Musik durch John Neumeier garantiert gegeben ist.

    Natürlich hilft bei solchen Projekten auch die langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit etwa zur »Matthäus Passion« oder »Tod in Venedig«. Übrigens hatte in der »Matthäus-Passion« John Neumeier bei der SWR-Aufzeichnung 2005 als Jesus seinen legendären letzten Auftritt als Tänzer in einer Hauptrolle.

    John Neumeier mit Film-Regisseurin Myriam Hoyer, Lloyd Riggins und AssistentInnen bei Proben zu »Beethoven-Projekt«
    in Baden-Baden © Kiran West

    John Neumeier bringt das Hamburg Ballett seit mehr als 20 Jahren regelmäßig mit neuen Programmen ins Festspielhaus Baden-Baden. Welche Rolle spielt das für Ihre Berichterstattung?

    Die künstlerische Qualität, die große Begeisterung, die die Aufführungen auslösen, und auch der sehr gute Publikumszuspruch sind für uns die Anknüpfungspunkte für die Berichterstattung. John Neumeier ist nicht nur ein Magnet für die Zuschauerinnen und Zuschauer der Aufführungen, sondern es gibt eine sehr große Schnittmenge mit den Nutzern der SWR-Kulturangebote in Fernsehen, bei SWR2 oder im Netz.

    Der SWR ist ganz nah am Geschehen auf der Bühne © Kiran West

    Dr. Jörn Rieckhoff

    Mehr darüber, wie die Filmfassung des »Beethoven-Projekt« entstanden ist, erfahrt ihr im Beitrag der Reihe »Hamburg Ballett in Zahlen«: »Beethoven-Projekt« als Film.

  • Gottfried von der Goltz zu »Orphée et Eurydice«

    Gottfried von der Goltz zu »Orphée et Eurydice«

    Anlässlich der Saisoneröffnung der neuen Intendanz von Benedikt Stampa am Festspielhaus Baden-Baden spielt das Freiburger Barockorchester (FBO) erstmals in einer Produktion des Hamburg Ballett. Die Ballett-Oper »Orphée et Eurydice« von Christoph Willibald Gluck gehört musikalisch zum Kernrepertoire des Orchesters. Gottfried von der Goltz, Künstlerischer Leiter des FBO, spielt selbst am Konzertmeisterpult und gibt in der Pause der Generalprobe einen Einblick in die Orchesterperspektive auf das gemeinsame Projekt.

    »Orphée et Eurydice« wurde 1774 in Paris aufgeführt – in einer Zeit, als die Tänzersolisten berühmter waren als die Sänger. Welche musikalischen Anknüpfungspunkte bietet die Partitur?

    Gottfried von der Goltz: Trotz aller Reformen, die sich mit dem Namen Gluck verbinden, steht »Orphée et Eurydice« ganz in der Tradition der französischen Barockoper. Die Abfolge von Rezitativ, Arie, Chor und Ballett ist hier geradezu unzertrennlich. Es macht unglaublich Spaß, den musikalischen Reichtum dieser Oper mit Leben zu füllen. Ich genieße jede einzelne Probe!

    Dr. Jörn Rieckhoff im Gespräch mit Gottfried von der Goltz © Kiran West
    Das FBO spielt vor allem Konzerte, mit Abo-Reihen in Freiburg, Berlin und Stuttgart. Wie ist es für Euch, sich auf die szenische Produktion einer Ballett-Oper einzustellen?

    Für uns ist es immer eine große Freude, wenn die Inszenierung die Musik auch dramaturgisch mit Substanz zu füllen vermag. John Neumeier ist dafür bekannt, sich besonders einfühlsam auf die Tradition eines Werkes einzulassen. Ich persönlich finde es eine gelungene Idee, dass ein tödlicher Autounfall der geliebten Ehefrau den Impuls für Orphées Reise in die Unterwelt bildet. Es ist eine Situation, die in der heutigen Welt jeden treffen könnte.

    Gottfried von der Goltz bei einer Probe zu »Orphée et Eurydice« © Kiran West
    Das Hamburg Ballett und das FBO haben jeweils ein reges internationales Tourneeleben: Dieses Jahr waren wir beim Hong Kong Arts Festival, ihr bei den Salzburger Festspielen. Im kommenden Jahr ist es umgekehrt. Was bedeutet es für das FBO, nun erstmals gemeinsam mit dem Hamburg Ballett im Festspielhaus Baden-Baden aufzutreten?

    Es ist eine unglaublich bereichernde Zusammenarbeit und zugleich künstlerisch eine interessante Initiative von Benedikt Stampa. Der Übergang von den Orchesterproben in Freiburg zu den Bühnenproben im Festspielhaus ist erstaunlich glatt verlaufen. Obwohl der Saal sehr groß ist, haben wir eine klare Akustik vorgefunden, die den Orchesterklang stets präsent hält.

    Trotzdem muss ich mich noch weitgehend auf die musikalische Gestaltung konzentrieren, um gemeinsam mit Alessandro de Marchi die Koordination zwischen Bühne und Orchester zu organisieren. Ich freue mich schon darauf, in den Vorstellungen noch mehr die szenische und choreografische Gestaltung mitzuverfolgen!

    Dr. Jörn Rieckhoff