Ein Zug für Anna Karenina
In Baden-Baden findet an diesem Wochenende das erste Gastspiel von John Neumeiers Ballett »Anna Karenina« statt. Mit aus Hamburg angereist ist dafür neben Bühnenbild, Kostümen und Schwingboden auch ein ganz besonderes Requisit: Der Modellzug, der während des Stücks am vorderen Bühnenrand entlangfährt. Nach der ersten Bühnenprobe erklärt Requisiteur Peter Schütte, woher die Eisenbahn kommt und wie sie auf der Bühne zum Fahren gebracht wird.
Herr Schütte, was für ein Zug ist bei »Anna Karenina« im Einsatz?
Peter Schütte: Die Eisenbahn aus »Anna Karenina« ist eine sogenannte ›Gartenbahn‹, die größte elektrische Modelleisenbahn. Unser Zug setzt sich allerdings aus unterschiedlichen Zugteilen mehrerer Hersteller zusammen. Wir haben uns das Angebot angeschaut, getestet und dann verschiedene Modelle für unseren Zug kombiniert: Schienen, Lok, Waggons – jeweils nur das Beste vom Besten sozusagen. Denn das ganze System soll natürlich so zuverlässig wie möglich fahren, sich nicht entkuppeln, nicht zwischendrin stehen bleiben oder entgleisen. Dafür müssen wir die Gleise jedes Mal besonders sorgfältig verlegen. Man kann schon sagen, dass der Zug eines der anspruchsvolleren Requisiten ist.
Wie viel Meter legt der Zug von einer Bühnenseite zur anderen zurück?
Hier in Baden-Baden sind es schätzungsweise 25 bis 26 Meter. Die Schienen führen über die gesamte Portalbreite und ein paar Meter hinter die Kulissen. Weil das Bühnenportal in Baden-Baden etwas breiter ist als in Hamburg, ist die Strecke auch entsprechend länger. Auf jeder Bühnenseite sitzt während der Vorstellung ein Kollege der Requisite; man verständigt sich über Funk darüber, wann der Zug losfahren und wie schnell er fahren soll. Die Steuerung erfolgt über einen Trafo.
Am Ende des Balletts verunglückt der Zug – wie wird dieser Effekt erzeugt?
In der Mitte der Bühne gibt es eine Weiche. Die ist während der gesamten Zeit für eine gerade Fahrt eingestellt. Vor dem ›Unfall‹ stellen wir die Weiche auf Kurvenfahrt um. So fährt der Zug, wenn er die Weiche erreicht, nicht mehr auf die andere Bühnenseite zu, sondern macht eine kleine Drehung in Richtung der Szenerie. Dort fährt er auf einen kurzen verbogenen Gleisstumpf auf, der extra so präpariert ist, dass der Zug entgleist. Dazu kommt noch ein pyrotechnischer Effekt mit einem Knall, Funken und Rauch, den wir per Fernsteuerung auslösen.
Fährt während der Vorstellung eigentlich immer der gleiche Zug?
Am Anfang hatten wir tatsächlich nur einen Zug im Einsatz, der nach jeder Fahrt von Hand auf den Schienen umgedreht werden musste, damit er wieder in die entgegengesetzte Richtung fahren konnte. Nun arbeiten wir mit drei Zügen parallel, was die Arbeit leichter macht. Die drei Züge sind übrigens alle schon im ersten Teil zu sehen. Sie werden aber weiterhin analog von uns gesteuert, digital programmiert ist dabei nichts – komplette Handarbeit also.
Frieda Fielers