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Wie kommt der Trecker auf die Bühne? Teil II

In John Neumeiers neuester Kreation »Anna Karenina« steht ein ganz besonderes Requisit auf der Bühne: Der Trecker. In zwei Szenen des Balletts kommt der grüne Oldtimer-Trecker zu Einsatz – dabei ist er jedoch nicht nur schmückendes Beiwerk im Bühnenhintergrund, sondern fährt auch von Tänzern gesteuert über die Bühne.

Wie findet man einen Trecker fürs Ballett? Und wie wird solch ein spezielles Requisit für den Bühneneinsatz aufbereitet? Gemeinsam mit einem Fernsehteam des NDR haben wir uns auf Spurensuche begeben und mit den Mitarbeitern aus den Dekorationswerkstätten, der Requisite und der Technik gesprochen, um herauszufinden: Wie kommt der Trecker auf die Bühne?

Teil 2: Probenbesuch – Mit dem Trecker hinter den Kulissen

Man sieht ihn schon von weitem, wenn man in die Kleine Theaterstraße einbiegt: Vor dem Bühneneingang der Staatsoper wartet der grüne Trecker aus »Anna Karenina« auf seinen Einsatz. Es ist Samstagmorgen und auf der Bühne beginnt gleich die Probe für John Neumeiers neuestes Ballett, das am Abend zum ersten Mal nach der Sommerpause gezeigt wird. Wir sind wieder verabredet mit einem Kamerateam vom NDR, das die verschiedenen Stationen des Treckers für die Sendung »Treckerfahrer dürfen das« dokumentiert. Ihren eigenen roten Trecker »Brunhilde«, der beim letzten Besuch in den Werkstätten mit dabei war, haben sie heute aber in Hannover gelassen. Denn auf der Bühne ist nur Platz für den grünen Deutz D25.

Frank Zöllner und Jürgen Tessmann backstage mit dem Trecker

Gerade wird noch der große Tisch, an dem Anna Karenina und Graf Wronski zu Beginn des zweiten Aktes sitzen, von Bühnenmitarbeitern über den Kalkhof in den Lastenaufzug gerollt, dann erscheint auch schon Frank Zöllner, der Technische Leiter, um den Trecker auf die Bühne zu fahren. Von den Werkstätten in Barmbek wurde der Trecker am Morgen im Lastwagen zur Staatsoper transportiert. Mit dem großen Aufzug geht es nun auf die Bühne. »Für uns ist das schon etwas Besonderes: ein Trecker auf der Bühne«, sagt Frank Zöllner. Nicht nur beim Publikum, auch bei den Bühnenmitarbeitern kommt das Requisit gut an: »Ob Tänzer oder Techniker, von den Kollegen würden am liebsten eigentlich alle einmal mit dem Trecker fahren. Leider ist das aber nicht jedem gestattet.«

Gesucht und gefunden wurde der Oldtimer-Trecker vom Leiter der Requisite Jürgen Tessmann. Es gab einige Bedingungen, die der Trecker für den Einsatz auf der Bühne erfüllen musste: Alt sollte er sein und einen kleinen Wendekreis haben, damit er auf und hinter der Bühne gefahren werden kann, er durfte nicht zu viel Gewicht haben – und er musste schön sein. »Und schön ist er ja wirklich!«, sagt Jürgen Tessmann, der selbst auf dem Land und mit Traktoren großgeworden ist. Nach einigen Telefonaten fand er das richtige Modell bei einem Landmaschinenbauer in Niedersachsen. Dort stand der grüne Trecker mit Baujahr 1961 in einer großen Lagerhalle und wirkte ganz klein zwischen den anderen modernen Maschinen. Nach einer Probefahrt wurde der Kauf sogleich per Handschlag besiegelt – und zwei Tage später stand der Trecker schon in den Werkstätten der Staatsoper für den Umbau bereit. Den Original-Fahrzeugbrief hat Jürgen Tessmann auch dabei. Dort steht, dass der Trecker zwei Vorbesitzer hatte und tatsächlich als Hoftrecker benutzt wurde: »Der Trecker hat ein richtiges Leben hinter sich; der hat Seele und das soll man auch auf der Bühne sehen. Wir machen hier schließlich keine halben Sachen.«

Jürgen Tessmann zeigt den Original-Fahrzeugbrief

In den Vorstellungen wird der Trecker von Emilie Mazon und Eliot Worrell gefahren. Beide sind in den Proben das erste Mal mit einem Trecker in Berührung gekommen: »Ich bin in Georgia aufgewachsen, man sollte meinen, dass ich Erfahrungen mit Traktoren habe«, sagt Emilie lachend. Eliot ergänzt: »Ich bin in einem kleinen Dorf in England großgeworden und wurde morgens von Treckergeräuschen geweckt. Gesehen habe ich sie täglich, aber vorher wurde mir nie zugetraut, auch selbst einen Trecker zu fahren. Dabei ist es ja kein kompliziertes Raumschiff. Wenn man weiß, wo man Gas gibt und stoppt, ist es ganz leicht.«

Ursprünglich hatte der Trecker noch Handgas und einen Dieselmotor. Doch beides musste für den Einsatz auf der Bühne umgebaut werden. Nach dem Umbau hat der Trecker noch 5 PS, erzählt Jürgen Tessmann. Seine Geschwindigkeit musste aus Sicherheitsgründen gedrosselt werden, auch wenn man das Gaspedal durchdrückt, kann der Trecker nicht schneller als 5 km/h fahren.

Langsam neigt sich die Probe dem Ende zu. Auch nach der langen Sommerpause hat heute alles geklappt, Tänzer und Trecker haben ihre Auftritte gemeistert. Bis zur Aufführung am Abend haben sie nun Pause. Als wir uns verabschieden, verrät Jürgen Tessmann noch ein kleines Detail. Nicht nur der rote Trecker vom NDR hat einen Namen, auch unser Ballett-Trecker wurde getauft: »Ich nenne ihn Rolf. Nach einem großen Mann, der hier an der Staatsoper gearbeitet hat«, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Die ganze Geschichte über den Trecker in »Anna Karenina« erzählt die NDR Sendung »Treckerfahrer dürfen das«. Den ersten Teil des Blogs gibt es hier zum Nachlesen!

Frieda Fielers