Wir packen die Koffer und nehmen mit …
Mitte März bricht das Hamburg Ballett zu einer Gastspielreise nach Hongkong und Peking auf. Im Gepäck: Die Ballette „Der Nussknacker“, „Die Kameliendame“, „Beethoven-Projekt“ und die Gala „The World of John Neumeier“. Um die vier unterschiedlichen Programme in beiden Städten zeigen zu können, reisen neben 133 Mitarbeitern auch jede Menge Requisiten, Kostüme und technisches Equipment mit. Damit alles rechtzeitig und unversehrt ankommt, wird in Hamburg und München aufwendige logistische Vorarbeit geleistet. Simone Krammer vom Logistikpartner HEED! aus München hat uns Fragen zum Planungsprozess des Gastspiels beantwortet.
Kleider, Röcke, Hosen und Schuhe. Perücken, Schnurrbärte, Hüte und Schmuck. Vorhänge, Werkzeug, Schwingboden und meterweise Kabel machen sich für das Gastspiel nach Hongkong und Peking auf den Weg. Manches Equipment wird schon Monate vorher mit Containerschiffen transportiert. 11 Container werden dafür beladen. Anderes wird mit kürzerem Vorlauf per Luftfracht verschickt. Um Bühnenbild, Requisiten, Technik & Co überhaupt nach Hongkong und Peking einführen zu können, ist die vorherige Anfertigung eines sogenannten Carnet A.T.A. (Carnet ist das französische Wort für Heft, A.T.A. steht für »Admission Temporaire / Temporary Admission«) notwendig. Simone Krammer von HEED! erklärt: »Das Carnet ist ein Zollpassierscheinheft und regelt die Ein- und Ausfuhr von Gebrauchsgegenständen, die das Gastspielland nach Ende der Tournee wieder verlassen werden. Es listet in unserem Fall also alle 3521 Posten auf, die die Compagnie nach Hongkong und Peking begleiten. Der Vorteil eines solches Carnets: Am Zoll werden keine Gebühren für die Einfuhr der Waren fällig, auch die Abfertigung an den Grenzen erfolgt schneller.«
Um das Carnet A.T.A. zu erstellen, benötigt der Logistikpartner detaillierte Listen aller zu transportierender Gegenstände. Alle Abteilungen des Hamburg Ballett sind gefragt: Technik, Requisite, Maske, Kostümmitarbeiter listen auf, was sie für das Gastspiel und die vier unterschiedlichen Ballette mitnehmen. Dazu müssen sie genaue Angaben zu Anzahl, Größe, Gewicht und Material der Ware machen. Die Warenliste allein reicht aber noch nicht aus. Alle Gegenstände, die keine Seriennummer haben, über die sie eindeutig zugeordnet werden können, müssen außerdem fotografiert werden. Denn viele der Gegenstände sind mit spezifischen Begriffen aus dem Ballett versehen – und welcher Zöllner kann sich ohne Foto schon vorstellen, was mit dem »Blumenwalzer-Kleid« oder dem Hut der »Betrunkenen Tante« gemeint ist.
Der Logistikpartner übernimmt dann die Erstellung und korrekte Formatierung der Listen und kontrolliert die eindeutige Nummerierung, Beschriftung und Zuordnung der Fotos, die ebenfalls Teil des Carnets werden. »Mit dieser Arbeit sind wir ungefähr zwei Tage beschäftig«, sagt Simone Krammer. In unserem Fall ist das Carnet am Ende über 800 Seiten lang und 15 cm dick geworden. Insgesamt 3521 verschiedene Posten enthält die Liste. Dabei kommen interessante Zahlen zum Vorschein: Wer hätte gedacht, dass man für ein Ballettgastspiel 56 falsche Schnurrbärte benötigt?
Aus den Warenlisten ergibt sich auch der Gesamtwert der Fracht, der für den Transport abgesichert werden muss. Der Warenwert wird von der zuständigen Industrie- und Handelskammer überprüft. Die IHK eröffnet anschließend auch das offizielle Carnet-Dokument, HEED! sendet es per Kurier nach Hamburg, von wo aus die Verladung des Gastspiel-Equipments stattfindet. Bevor sich die Ladung auf den Weg nach Hongkong und Peking machen kann, ist noch eine sogenannte Zollbeschau notwendig. Simone Krammer erklärt: »Wir beantragen und stimmen den Termin der Zollbeschau mit dem Zollamt ab. Der Zöllner kontrolliert dabei vor Ort die Ware und vergleicht sie mit dem Carnet. Generell hat der Zoll jederzeit die Möglichkeit, jedes Teil der Fracht zu kontrollieren. Aber bei so einer großen Menge an Kleinteilen wird meist nur stichprobenartig kontrolliert, ob die Ware mit dem Carnet übereinstimmt. Der Zöllner stempelt anschließend den Export aus Deutschland ab, dann darf sich das Equipment per See- oder Luftfracht auf den Weg machen.«
Unsere Ladung ist in Bezug auf das Freigabeverfahren unkompliziert. Für bestimmte Fracht gibt es aber Sonderregelungen: »Gefahrengut muss man natürlich separat anmelden und kennzeichnen«; erläutert Simone Krammer. »Das trifft auf unsere Ladung aber nicht zu. In manchen Ländern muss man bspw. für Requisitenwaffen sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausfüllen, die bestätigen, dass es sich nur um Attrappen handelt.« Das Holzgewehr für das Ballett »Beethoven-Projekt« wird deswegen im Carnet eindeutig mit dem Zusatz »Toy« und dem Hinweis »Not a weapon« gekennzeichnet.
Während der kompletten Reise begleitet das Carnet die Ware, bei jedem Wechsel in ein anderes Land muss das Dokument vom Zoll abgestempelt und freigegeben werden. Und am Ende des Gastspiels? »Zurück in Deutschland muss wiederum der Re-Import bestätigt werden. Sobald der Zoll in Deutschland die Sendung für den Re-Import freigegeben hat, dürfen wir die Ware wieder in Hamburg zustellen.«
Frieda Fielers