Autor: Friederike Adolph

  • BallettTester*innen »Romeo und Julia«

    BallettTester*innen »Romeo und Julia«

    Als BallettTester*innen durften Taissija, Julien und Youyou unsere Wiederaufnahme bereits in der Hauptprobe erleben. Hier erzählen sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.

    In »Romeo und Julia« geht es um die ganz große Liebe. Das weiß jeder, ohne es auf der Bühne vorgetanzt zu bekommen. Lässt man sich aber doch auf das Ballettstück »Romeo und Julia« von John Neumeier ein, wird einem schnell klar, dass man zwar wohl nicht unrecht, aber auch nicht ganz recht hatte. Es geht in diesem »Romeo und Julia« nämlich in erster Linie nicht um die Liebe, sondern um die Verliebtheit – diese wabernde Vorahnung großer Gefühle, welche erst mit viel Zeit und Pflege in die echte Liebe keimt. Wie könnte es denn auch anders sein, bei dem pubertären Pärchen, das im Zentrum der Handlung steht.

    Die Julia in dieser Inszenierung wirkt jung und das ist auch kein Wunder. Die Tänzerin ist gerade mal fünfzehn Jahre alt. Diese Kindlichkeit zieht sich durch jeden Tanz und jede Geste. Sie springt, nur in ein Tuch gewickelt, mit ihren Freundinnen im Bad umher, nur um bei dem Ball den Takt und ihren Mut zu verlieren. Sie schmeißt sich auf den Rücken des Vaters, schubst ihre schuldlose Amme herum, nur um für einen Augenblick von den Erwachsenen gehört zu werden. Julia ist eben keine Frau in einem Nachthemd, sondern noch ein Kind.

    Azul Ardizzone als Julia und Louis Musin als Romeo © Kiran West

    Gegen diese jugendhafte Julia wirkt ihr Verlobter zu groß, zu breitschultrig, zu erwachsen. Es scheint einem ganz abartig, dass ihre Eltern sie aus der Unbekümmertheit ihrer Jugend entreißen und in die Arme dieses Mannes geben wollen. Da macht die plötzliche Liebe für Romeo wieder mehr Sinn. Auch er ist blutjung. Er blödelt mit seinen Freunden rum, ist in einem Akt unsterblich in Rosalinde verliebt, im nächsten turnt er vor Julia, um ihr seine Liebe zu offenbaren. All diese Gefühle könnten leicht melodramatisch wirken. Schließlich geht es um zwei Jugendliche, die sich quasi auf den ersten Blick verlieben und am Ende, vor lauter Liebe, einen doppelten Suizid begehen.

    Wenn es in diesem »Romeo und Julia« um noch etwas anderes geht, dann sind es die Menschen von Verona. Diese existieren nämlich nicht nur, um den Raum um Romeo und Julia mit Bewegung zu füllen, sie leben selber auch. Sie tun sogar noch mehr als leben – sie haben sehr viel Spaß. Man ist überrascht, wie viel Komik das Ballett tragen kann, wenn man es ihm zutraut. Dieses Stück gewinnt den Bewohnern Veronas viel Lustiges ab: da sind die lüsternen Jünglinge Veronas, die mal betrunken herumalbern, mal den Frauen nachschmachten. Da ist die Schauspieltruppe mit ihren farbenfrohen Tänzen und überzogenen Aufführungen. Dann sind da Romeos übermütige Freunde, Mercutio und Benvolio, die keinen Spaß sein lassen können, vor allem wenn es darum geht, Julias hochmütigen Cousin Tybalt zu ärgern. Überhaupt erscheint die Fehde zwischen den Montagues und Capulets vor allem in den gegenseitigen Sticheleien der halbstarken Jünglinge beider Seiten weiterzuleben.

    Romeo im Kampf mit Tybalt (Artem Prokopchuk) © Kiran West

    Diese spielerische Grundstimmung offenbart sich umso klarer, wenn sie dann einmal umschlägt. Das Stück ist nie melodramatisch – unheilvoll kann es aber gut. Da ist wieder die Schauspieltruppe mit dem Skelett, das auf Spitzenschuhen Vorahnungen der Zukunft tanzt. Da ist der immer lustige Mercutio, wie er seinen Kampf mit Tybalt einem Publikum übertrieben-klamaukig vorspielt und dann, unter ihrem anhaltenden Applaus, tödlich getroffen zusammenbricht. Da sind Julias Zofen, die ihren Hochzeitstag vorbereiten, Kleid und Schleppe zu ihrem Bett tragen, in welchem sie bewusstlos liegt.

    Am Ende muss noch etwas zu Bühnenbild und Kostümen gesagt werden. Sie sind schlicht und zurückhaltend, aber bleiben in ihren Formen der italienischen Renaissance treu. So gelingt es die Brücke zwischen Klassik und Moderne zu schlagen, die schon der Komponist des Stückes, Sergei Prokofjew, mit seiner Musik überquerte. Das Stück wird nicht in die Gegenwart, aber auch nicht in eine ferne Vergangenheit gezerrt. Stattdessen findet man in einer Liebesgeschichte des mittelalterlichen Verona das Moderne und das Menschliche.

    Taissija, 24 Jahre

    Am 09. Juni durfte ich bei der Hauptprobe für »Romeo und Julia«, ein Ballett von John Neumeier nach William Shakespeare, als BallettTester dabei sein. Als ich mich auf den Weg zur Hamburgischen Staatsoper machte, erwartete ich keine große Menschenansammlung, da ich ja zu einer Hauptprobe eingeladen wurde. Als ich dort jedoch ankam, wurde ich vom Gegenteil überrascht. Ich begab mich ins Foyer, wo ich bereits von Friederike und Nathalia erwartet wurde. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass heute eine besondere Situation sei, da zu der Hauptprobe, zu der sich sonst nur ausgewähltes Publikum einfindet, auch alle ehemaligen Tänzer, die mal unter John Neumeier getanzt haben, eingeladen waren. Es war unglaublich beeindruckend, so viele noch aktive und ehemalige Tänzer sehen zu dürfen. Auf dem Weg zu unseren Plätzen fanden wir heraus, dass wir im 1. Rang nur wenige Plätze hinter John Neumeier und einem Teil seines Teams sitzen durften. Während der Hauptprobe war es auch immer wieder spannend zu beobachten, wie die Verantwortlichen für das Licht letzte Verbesserungen vornahmen. Als es dann zum dritten Mal klingelte, die Türen zu gingen und das Orchester anfing zu spielen, ging es mit der Hauptprobe los.

    Die beiden verfeindeten Häuser Montague und Capulet in Verona © Kiran West

    Ich hatte bereits einmal zuvor das Ballett »Romeo und Julia« gesehen, jedoch in einer anderen Inszenierung. Deshalb war ich gespannt auf die von John Neumeier. Gleich bei einer der ersten Szenen waren unglaublich viele Tänzer auf der Bühne. Die meisten Charaktere des Stückes wurden hier bereits vorgestellt. Es war unglaublich lebhaft, die Musik und die vielen Ereignisse auf der Bühne ließen einen sofort in das Stück eintauchen. Die Tänzer führten einen durch die Handlung bis zum tragischen Ende. Mich persönlich beeindruckt vor allem immer die Leistung der Tänzer. Sie schaffen es eine Handlung ohne Worte nur mit dem Tanz zu erzählen. Zudem schaffen es die Balletttänzer mit einer unglaublichen Eleganz und Leichtigkeit zu tanzen. Wer schon mal einen Blick hinter die Kulissen geworfen hat, weiß, dass Ballett ein Hochleistungssport ist und im Gegensatz zum gewöhnlichen Hochleistungssportler muss der Balletttänzer bei der Aufführung stets darauf achten, elegant und mit der richtigen Mimik zu performen. Der Charme am Ballett ist das ganze Event mit allem drumherum, vom Saal, bis zur Musik und der Darbietung der Tänzer.

    Julien, 22 Jahre

    Mein üblicher Eindruck von der Staatsoper: ungekünstelt, jedoch vornehm und geschliffen. Und eigentlich bestand das Bild von einem Hauptprobe-Erlebnis, das ich mir ausgemalt hatte, aus nichts Weiterem als uns BallettTestern allein im Saal mit Friederike. Mein zusätzlicher Eindruck bei meiner Ankunft diesmal: Heut’ ist was los! Bereits vor Beginn der Aufführung bekam ich viele bekannte Gesichter unfassbar nah zu erblicken, die ich vorher immer nur als kleine Figuren auf der Bühne kannte. Nachdem John Neumeier von der Bühne aus dem (komplett) gefüllten Saal erläutert hat, aus welchem Anlass diese Versammlung hier tagt, spürte selbst ich eine Freude der (Wieder-) Vereinigung, obwohl ich weder eine gegenwärtige Ballerina/Mitarbeiterin der Oper, noch eine Ehemalige bin.

    Danach hob sich der Vorhang: am frühen Morgen Neckerei bis zur Eskalation zwischen zwei Haushalten; ein hüpfendes, junges Geschöpf im Bad, dem plötzlich mitgeteilt wird, dass es nun Zeit ist, sich zu vermählen; ein Ensemble mit einer rot bekleideten Dame im Mittelpunkt, würdevoll und selbstbewusst, beinahe einschüchternd; das zarte Geschöpf wieder, diesmal voller Vorsicht und Scheu; Zusammenstoß mit einem jungen Mann in Blau mit Maske (wohl aus Versehen?), Berührung ihrer Hände, anschließend Erkenntnis seiner Identität; am Ende des Aktes die sternenhelle Nacht, sie auf dem Balkon, er unten belauschend, dann enthusiastische Schritte nach oben und nicht nur Berührung, sondern auch Zusammenschluss beider Hände. Darauf folgend ein sorgloser, befreiter, fast wie Improvisation vorkommender Pas de Deux bis zum Morgenlicht.

    Julia und Romeo bei ihrer ersten Begegnung auf dem Maskenball © Kiran West

    Schon in diesem ersten Akt wird das Bedürfnis nach Liebe von Julia augenfällig, während sie in der Badehalle immer wieder versucht ihrer Mutter näher zu sein, die sie im Gegenteil auf würdigen Abstand hält. Ich finde, dass die junge Darstellerin von Julia (Azul Ardizzone) ihre Lebendigkeit im weitesten Sinne in Bewegungen zum Ausdruck gebracht hat; die hat sie nicht NACHGESPIELT, denn sie ist wahrhaftig ein Teil von ihr selbst! Zudem ist ein Kontrast zwischen den Szenen im Ballsaal der Capulets und der Balkonszene zu spüren: ein Kontrast zwischen Kontrolle, Manieren im roten Hintergrund und Freiheit in Blau. Ich bewundere außerdem all die bedachten Details, auf die man üblicherweise nicht achtet und die das ganze Stück noch realistischer machen, z.B. welche umständlichen Ausschnitte des Alltags auf dem Marktplatz im Hintergrund vorgehen. In dieser Version John Neumeiers finden sich wahrscheinlich so häufig wie bei keiner anderen ursprüngliche Elemente von Shakespeares Werk wieder: Koketterie und sexuelle Hänselei überall; Mercutios Spott und Provokation gegenüber Tybalt; die Handgesten des jungen Paares, welche ihre Liebe versinnbildlichen; sowie Julias anfängliche Hemmung davor, viel zu rasch in eine Beziehung hineinzustolpern, die im späteren Verlauf gleichfalls zu begieriger Eile wird.

    Die Schauspieltruppe © Kiran West

    Im Nachhinein führt eine Schauspieltruppe nicht bloß uns, dem Publikum, sondern auch denen auf der Bühne ein kleines Trauerspiel vor, welches Konformität mit der Realität aufweist und das Los von Romeo und Julia auf heitere und sorglose Weise vorherzusagen scheint. Nun also abrupter Wechsel von Komödie auf Tragödie, wobei Romeo anfänglich Versöhnung mit Tybalt gesucht hat und Mercutio vielmehr selber blind in Tybalts Degen hineingerannt ist, als von ihm erstochen wird; die vorhin noch zusammengemischten Diener beider Haushalten spalten wieder auf. Eine Dame im Nachthemd, dieses Mal außer sich, alles andere als stattllich vor Verzweiflung und Schmerz.

    Im letzten Akt der Morgen nach der ersten (und letzten) Liebesnacht; Seligkeit, Sinnlichkeit vermischt mit der Betrübnis des Abschieds. Nach ihrer Trennung erscheint Romeo in Julias Gedanken wieder: Verzweiflung entweicht der Entschlossenheit und Beherztheit, und die Musik verleiht den Eindruck, als würde alles wahrhaftig gut enden. Ihr Mut wird so tastbar wie noch nie zuvor, während sie sich hervorragend und fast still beherrscht und der Last auf bewundernswerte Weise widersteht. Der Trank löst einen Traum aus, der mit Visionen des toten Tybalts und Romeos ihr innerliches Dilemma reflektiert – Treue zu Familie oder zu Liebe? Solche Visionen, Sehnsüchte, und Dimensionen werden alle auf unkomplizierte, ungekünstelte, dennoch wirklichkeitsnahe Weise dargestellt.  

    Weder John Neumeier noch Shakespeare (meiner Intepretation nach) hat die Feindschaft der Familien als die eigentliche Quelle des Schicksals der Verliebten angebracht, sondern lediglich als eins der Fundamente für den Handlungsverlauf. Romeo und Julia sind in John Neumeiers Fassung aktiv und passiv zugleich, so wie in Shakespeares; beide können die Gegebenheiten ihrer Umgebung kaum beeinflussen, haben jedoch innerhalb des festgesteckten Rahmens ihre Optionen. Hast und Impulsivität, vor allem Romeos, sind dabei aus meiner Sicht das Ausschlaggebende. Obgleich er am Anfang eindeutig der reifere, erfahrenere Charakter war, entwickelt sich die noch jüngere Julia durch die Herausforderungen, die ihr entgegengestellt werden, zu der Rolle, die alles selber in die Hand nimmt. Ich finde es wirklich großartig, dass und wie John Neumeier dies in seiner Inszenierung betont.   

    Romeo an Julias Grab in der Gruft der Capulets © Kiran West

    Die letzte Szene: Melodie der Erinnerung, Pas de Deux, wo sich nur einer der beiden bewegt; noch nicht aufgegeben, ihre Hand noch einmal hoch – und runter; vollkommene Realisierung, Dolch, letzter Griff ihrer Hand. Diese Finger rühren… Finsternis, Tod, ein schwarzes Band für Verstorbene auf ihrem Leib. Tybalt. Aber wer liegt noch dort? Seine Hand einmal hoch, und fällt. Sie schaut nach oben, zu Gott, zu ihm? Ihre gemeinsame Melodie ertönt, ohne zu verstummen, verlischt in Luft… Sie scheint ihn rufen zu hören. Beruhigt und resigniert erblickt sie ihren Ausweg, greift nach seiner Hand, und spürt in ihr den Dolch. Hinein, und hinunter mit ihrem Leib. Beide Hände zusammen, Augen zu. Alles nun dunkel, allein ein heller Schein auf ihre Hände.

    Das mitreißende Stück, eine Mischung aus Freude und Trauer, endete für mich nicht mit Trauer, denn der allerletzte Ton, welcher ertönte, klang für mich nach.

    Youyou, 15 Jahre

  • BallettTester*innen »Illusionen – wie Schwanensee«

    BallettTester*innen »Illusionen – wie Schwanensee«

    Als BallettTester*innen durften Liliane, Miroslav und Lotte unsere Wiederaufnahme bereits in der Hauptprobe erleben. Hier erzählen sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.

    Am 9. Februar 2023 durfte ich bei der Hauptprobe für »Illusionen – wie Schwanensee« als BallettTesterin dabei sein. Als ich am frühen Abend zur Staatsoper kam, waren schon mehrere Gäste im Foyer, die auch zuschauen wollten. Es gab noch zwei weitere Balletttester*innen, Lotte (13), die selber gerne tanzt, und Miroslav (19), der schon öfter bei Ballettaufführungen zugeschaut hat. Außerdem gab es noch eine Schüler*innengruppe aus der Ballettschule von John Neumeier und viele Erwachsene, die für die neuen Schwanenkostüme für »Illusionen – wie Schwanensee« gespendet hatten. Abgeholt wurden Lotte, Miroslav und ich von Friederike, die uns direkt mit in den Opernsaal nahm. Im Saal konnten wir uns Plätze aussuchen und warteten sehr gespannt auf die Aufführung.  

    Das Bühnenbild von Jürgen Rose ist inspiriert von den Schlössern von König Ludwig II © Kiran West

    Als der Vorhang sich dann öffnete, hat mich das Bühnenbild sofort begeistert. Eine Mauer, die wohl zu einem Schloss gehörte und wie eine echte alte Mauer aussah, und weiter seitlich konnte man ein Fenster erahnen, durch das warmes Sonnenlicht fiel. Bei den Tanzszenen, die alle unglaublich schön waren, hat mir am meisten eine Festszene gefallen. Bei der Szene wurde viel getanzt und gefeiert und es haben auch Kinder mitgemacht. Mir hat die Szene so gut gefallen, weil die Musik und das Tanzen richtig gute Laune verbreitet haben.

    In der Pause, die dann folgte, durften wir uns im Opernhaus umsehen und dann wurde von Lotte, Miroslav und mir noch ein Foto gemacht. Nach der Pause gab es eine Szene wie aus einem Märchen, in der bestimmt zwanzig Schwäne in unglaublich prächtigen Kostümen getanzt haben. Das war sehr beeindruckend. Auch der Maskenball hat mir gut gefallen, besonders die schillernden, bunten Kostüme fand ich sehr gelungen.

    Alexandr Trusch als König und David Rodriguez als Mann im Schatten © Kiran West

    Erwähnen möchte ich noch die Schlussszene, in der der König im See ertrank. Das war tragisch und das Licht war ganz besonders. Das hat irgendwie gut zum Ende gepasst. Insgesamt war es ein ganz toller Abend in der Staatsoper. Mit haben die Tänzer so gut gefallen, die wunderschönen Kostüme, die Musik, das Licht und das Bühnenbild. Einfach alles!

    Liliane, 13 Jahre

    Ich habe am 9.2. als BallettTester in der Hamburgischen Staatsoper eine Probe zu »Illusionen – wie Schwanensee« gesehen, inszeniert von John Neumeier. Der erste Eindruck begann mit dem Vorhang, der vor der Bühne hängt. Zwei Engel sind zu sehen, sie blasen in ihre Trompeten; es ist ein beeindruckender Anblick. Der golden und silbern strahlende Stoff regt zu hohen Erwartungen an. Der Vorhang fällt und der Thronsaal wird mit seinen sich öffnenden Türen gezeigt. Der König (Alexandr Trusch) tritt mit seinem Freund Graf Alexander (Jacopo Bellussi) herein und enthüllt sein Schmuckstück, das Schloss Neuschwanstein. Und der Mann im Schatten (David Rodriguez) verfolgt ihn mit ausladenden Bewegungen.

    Den König verfolgen seine Erinnerungen, er sieht das Richtfest wieder vor seinem inneren Auge. Das farbenfrohe Richtfest wird durch eine bunte Masse an Arbeitern und vielen Kränzen geschmückt. Die Arbeiter, die sich über den Erfolg des Baus freuen und ihn ausgelassen feiern, der kleine Junge, der den Älteren durch seinen Tanz seine Freude und seinen Ehrgeiz zeigt, indem er den Arbeiter nacheifert. Der König zeigt nun seine Schönheit und bedankt sich mit graziöse Bewegungen beim Volke. So kommen die Adeligen, die Königinmutter (Patricia Friza) und seine Verlobte (Madoka Sugai) herein. Sie feiern die Verlobung des Paares und tanzen dazu. Im ganzen Durcheinander ist die Musik fröhlich und rein.

    Alexandr Trusch als König beim Richtfest © Kiran West

    So sind in diesem Fest viele unterschiedliche Begebenheiten mit den jeweiligen Menschen passiert, doch Freude ist die einzige Emotion, die zu sehen war. Die Darstellung der Freude war dennoch in unterschiedlichen Formen vorhanden, die Adligen zeigten sich in eleganten Tänzen, die Arbeiter waren hingegen mit ihren Volkstänzen zu sehen und alle gemeinsam ergaben ein Bild. Da war die Erinnerung schon wieder vorüber und der König wieder im Thronsaal. Er rang mit dem Schatten, sie warfen sich aufeinander, es war der Schatten seiner selbst. In immer geschmeidigeren Bewegungen. Dunkel in dunklen Lichtern und Tanz. So ist es ein besonderes Erlebnis die Hauptfigur, den König, zu sehen, seine Geschichte zu erleben und die Liebe zu entdecken, die in ihm innewohnt. Durch viele ineinander verwobene Elemente des Balletts, die hier mit der Musik harmonieren und sich doch an manchen Stellen widersprechen.

    Eine Kunst, die mit Körper und Geist dem Zuschauer gezeigt wird. Mal wird es dunkler, mal wird es heller. So sind auch die Kostüme von eindeutiger Pracht, sie verfließen und vereinen sich immer mehr mit den Tänzern zu einer Figur, in ihren unterschiedlichen Farben vom reinen Weiß bis zu den kunterbuntesten Tönen des Maskenballs. Das ist die Art von Verführung, der man ausgeliefert ist, wenn man in diese Welt der Illusionen eintaucht. Das ist also die große Geschichte eines noch größeren Königs, die jeder für sich interpretieren und miterleben kann.

    So habe ich einen sehr erlebnisreichen Abend gehabt und Ihr sollt ihn auch noch erleben, daher habe ich Euch nur die Hälfte der Handlung aus meiner Sicht beschrieben, damit Ihr Euch immer noch etwas Neues vorstellen könnt. Und achtet bitte auf die Kinder, sie zeigen besondere Figuren, die sich faszinierend von den Solisten und dem Ensemble abheben. Diese Wiederaufnahme ist sehr zu empfehlen. Das war eine wunderbare Vorstellung und wenn Ihr in meinem Alter seid und ihr einmal die Möglichkeit habt als Tester oder einfach so ins Ballett zu gehen, dann würde ich euch raten das zu machen.

    Miroslav, 19 Jahre

    Rote Samtsessel, hölzerne Balkone und ein großer Orchestergraben empfangen einen, wenn man den großen Konzertsaal der Hamburger Staatsoper betritt. Ein einteiliger, königsblauer Vorhang mit goldenen Ranken und einem hübschen weißen Schwan in der Mitte verdeckt noch das Bühnenbild. Langsam füllt sich der Saal mit den Leuten, die sich bis eben unten im Foyer begrüßt haben. Darunter sind Eltern, deren Kinder im Ballett tanzen, Sponsoren, Fotografen und graziös wirkende Schüler der Hamburger Ballettschule. Nach einiger Zeit haben sich alle einen Platz gesucht und das Licht wird heruntergedimmt. Die Gespräche verstummen, die Blicke richten sich nach vorne und dann fällt der Vorhang und das Orchester beginnt zu spielen.

    Die Schwäne © Kiran West

    Einer dramatischen Szene in einem Schlosszimmer folgt ein heiteres Dorffest, auf dem getanzt, gesungen, gegessen, getrunken und ein mit Schleifen behangener Kranz aufgehängt wird. Eine feine Gesellschaft taucht zwischen den »einfachen« Leuten auf. Unter ihnen der König mit seiner in ein hübsches, blaues Kleid gekleideten Verlobten, Prinzessin Natalia. Außerdem der Freund des Königs, Graf Alexander mit seiner hübschen Braut Prinzessin Claire. Die feinen Paare tanzen mit den begeisterten Bürgern als Zuschauern. Später befindet sich der König an einem See und begegnet dort der Schwanenkönigin. Es wird schnell klar, dass er sich besonders zu ihr hingezogen fühlt. Dann senkt sich der Vorhang und das Licht wird wieder angemacht.

    Nach der Pause beginnt die zweite Hälfte mit einem Ball im Schloss. Wie im ersten Teil werden Musik und Licht passend auf die einzelnen Geschehnisse abgestimmt. Schließlich gibt es eine starke Wendung in der Geschichte. Ein überraschend, dramatisches Ende schließt eine, wie ich finde, gelungene Vorstellung von »Illusionen – wie Schwanensee« ab.

    Lotte, 13 Jahre

    »Illusionen – wie Schwanensee« wird auch in der kommenden Spielzeit 2023/2024 im Repertoire des Hamburg Ballett sein (25., 28., 31. Januar 2024 | 2., 7., 8. Februar 2024 | 1., 7. Juni 2024)
    Der allgemeine Vorverkauf für die Vorstellungen beginnt am 15. Mai 2023.

  • »Das ist die menschliche Seite«

    »Das ist die menschliche Seite«

    Mit »Die Unsichtbaren« hat John Neumeier eine Tanz-Collage für das Bundesjugendballett geschaffen, die die aufblühende Tanzszene Deutschlands in den 1920er Jahren darstellt bis die »Machtübernahme« der Nationalsozialisten den künstlerischen Aufschwung zunichtemachte. Als Tanzhistoriker hat Ralf Stabel John Neumeier bei seiner Inszenierung wissenschaftlich beraten und bei der dramaturgischen Arbeit unterstützt. Im Interview erzählt er über die Hintergründe seiner Recherche, seine Erkenntnisse und die Herausforderungen dabei.

    Sie haben sich als Theaterwissenschaftler und Tanzhistoriker bereits viel mit der aufblühenden deutschen Tanzszene in den 1920er Jahren beschäftigt und unter anderem Bücher über Alexander von Swaine und Gret Palucca veröffentlicht. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit John Neumeier?

    Ralf Stabel: John Neumeier hatte die Idee für eine Inszenierung über die Tänzer*innen, die in der Zeit des Nationalsozialismus von Ausgrenzung, Verfolgung und an Leib und Leben bedroht waren. Wir sprachen miteinander und sehr schnell wurde klar, dass das Wesentliche dieser Situation ihre Unsichtbarkeit war. Daher der Titel. Die weitere Zusammenarbeit ergab sich dann ganz selbstverständlich, weil es nun darum ging, »Die Unsichtbaren« aufzufinden und einige von ihnen, stellvertretend für sehr viele, in der Inszenierung wieder sichtbar zu machen. Das »wissenschaftliche« Suchen war meine Aufgabe. John Neumeier hat dann unter Verwendung der Fakten diese ergreifende Inszenierung geschaffen.

    Ida Stempelmann in »Die Unsichtbaren« © Kiran West

    Was war für Sie persönlich die größte Herausforderung bei dem Projekt »Die Unsichtbaren«?

    Von menschlichen Schicksalen zu hören oder zu wissen, ist eine Sache. Sich aktiv auf die Suche zu begeben und dann auch im Detail Lebens- und vor allem Leidenswege kennen zu lernen, um sie zu beschreiben, hat eine ganz andere Dimension. Das ist die menschliche Seite. Die wissenschaftliche Herausforderung bestand und besteht darin, dass man nach Menschen sucht, von denen man nichts weiß. Wo und wie fängt man da an? Über diejenigen, die damals im Rampenlicht standen, lässt sich vieles finden. Aber es gibt wenig Publiziertes oder nur schwer auffindbares Dokumentarisches über diejenigen, die entlassen und ausgegrenzt wurden, die emigrieren mussten, die deportiert oder gar ermordet wurden.

    Für die Produktion haben Sie viele Nachforschungen angestellt, um die »Unsichtbaren« also all die Menschen aus der Welt des Tanzes, die während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur aus Deutschland fliehen mussten oder dort ausgegrenzt, verfolgt und im schlimmsten Fall ermordet wurden, sichtbar zu machen. Wie sind Sie bei Ihrer Forschung vorgegangen?

    Zuerst habe ich ganz klassisch versucht, Publikationen zu Einzelschicksalen zu finden. Dann waren verschiedene Lexika, die sich mit dem Thema Flucht und Exil beschäftigen, hilfreich. In Fachzeitschriften gab es vereinzelt Publikationen zum Thema. Das Internet ist mit seinem Informationsangebot eine Hilfe. Doch schnell stellte sich heraus, dass dieses Thema ein noch überwiegend unbearbeitetes Feld war und ist. So musste ich nach ganz anderen Quellen suchen. Es lassen sich Schicksale anhand der verlegten Stolpersteine rekonstruieren, und es gibt auch das Gedenkbuch des Bundesarchivs, das die »Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland« auflistet. Aber die Auflistungen sind nicht in Berufsgruppen unterteilt bzw. fehlt diese Information meist. Stellen Sie sich also bitte vor, dass Sie nach jemandem suchen, von dem Sie nichts wissen, außer dass sie oder er im Bereich Tanz beschäftigt war und verschwunden ist. Sie haben aber keinen Namen, keinen Beruf, kein Alter, keine Adresse … nichts. Ich habe dann angefangen, die Bühnenjahrbücher dieser Zeit zu vergleichen, um herauszufinden, wer von einem Jahr auf das andere »verschwunden« ist. Die Zeitschrift »Der Tanz« liefert ebenso Informationen über Menschen in dieser Zeit. Man muss ein Gespür für das Verschwinden von Menschen entwickeln und dann versuchen, ihren weiteren Lebensweg zu recherchieren. Der führte dann für viele in die jüdischen Kulturbünde, ins Exil, in den Untergrund, ins Gefängnis oder auch in die Konzentrations- und Vernichtungslager.

    Isabella Vértes-Schütter als Mary Wigman und Ensemble des Bundesjugendballett in »Die Unsichtbaren« © Kiran West

    Wie viele Schicksale von Menschen konnten Sie recherchieren und inwiefern sind diese in die Produktion miteingeflossen?

    Wir haben im Zusammenhang mit der Inszenierung »Die Unsichtbaren« eine Memorial Wall entworfen, auf der die Namen von Betroffenen alphabetisch und mit dem Wissen um die Unvollständigkeit dieser Auflistung zusammengetragen sind. Diese Erinnerungswand wird es auch in Baden-Baden zu sehen geben, und sie ist ebenso im Internet einsehbar. Für die Internet-Präsentation bemühe ich mich, zu jedem einzelnen Menschen Biografisches zur Verfügung zu stellen und hoffe, dass sich weitere Interessierte finden, die sich an dieser Recherche-Arbeit beteiligen. Eigentlich wäre ein internationales Team notwendig, denn durch den damaligen Krieg ist es ein europäisches Thema, durch die Exile hat es eine internationale Dimension. Derzeit sind 274 Schicksale aufgelistet. John Neumeier lässt einige dieser Tänzer*innen auftreten, andere werden zitiert, über wieder andere wird berichtet. Am Ende der Inszenierung werden alle bisher bekannten Betroffenen von den Darsteller*innen mit Namen benannt.

    In der Tanz-Collage werden viele historische Originaldokumente wie Briefe, Erlasse oder Reden verwendet und von den Schauspieler*innen und Tänzer*innen als Text rezitiert. Weitere Texte wurden von Ihnen verfasst. So auch ein Tribunal, bei welchem sich die Tänzerin Mary Wigman einer fiktiven Gerichtsverhandlung über ihre möglichen Verstrickungen in das System des Nationalsozialismus stellt. Inwiefern lassen sich aus heutiger Perspektive überhaupt Urteile über die Frage von Schuld fällen?

    Urteile zu fällen, ist im engeren Sinn eine Aufgabe von Juristen. Wir können uns aber zu der Frage der individuellen Verantwortung verhalten. Ich schreibe Bücher deshalb in der Zeitform der Gegenwart, weil ich in der Darstellung nicht klüger sein möchte, als der Mensch, der in einer konkreten Situation handeln muss. Dadurch besteht auch die Identifikationsmöglichkeit für die Leser*innen: Wie hätte ich mich denn verhalten? Wir sollten uns fragen: Was konnten die Tänzer*innen 1933 zur »Machtergreifung« wissen, was 1936 zu den Olympischen Spielen? Wer hat die Reichspogromnacht 1938 wirklich miterlebt? Wer konnte wann etwas über die Konzentrations- und Vernichtungslager wissen? Wer hat damals überhaupt die Gesetze gelesen, die die Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung von Menschen »regelten«? Und wer hatte dann noch den Mut, unter Einsatz des eigenen Lebens einzugreifen? Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Medien damals »gleichgeschaltet« waren. Um Handlungsoptionen überhaupt in Erwägung ziehen zu können, muss man über gesicherte Informationen verfügen.

    Das Tribunal aus »Die Unsichtbaren« © Kiran West

    Vor dem Hintergrund der derzeitigen weltpolitischen Lage und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine erscheint eine thematisch vordergründig »historische« Produktion wie »Die Unsichtbaren« zeitgemäßer denn je. Haben Sie einen Wunsch oder eine Idealvorstellung, wie wir heutzutage mit der Lücke der »Unsichtbaren« umgehen sollten?

    Wünschenswert ist, diese »Lücke« erstmal zur Kenntnis zu nehmen. Das heißt, dass wir uns im Tanz, aber auch in allen anderen Bereichen des Lebens fragen: wie konnten wir diese Schicksale nur so lange ignorieren? Um ein Interesse an diesem Thema zu wecken und weitere Diskussionen anzuregen, wäre es großartig, wenn »Die Unsichtbaren« – wie jetzt in Baden-Baden – an Orten gezeigt werden könnten, die für diese Geschichte von besonderer Bedeutung sind. Das sind nicht nur Städte in Deutschland, sondern auch die großen Zentren des Exils. Und selbstverständlich muss die heute noch in der Schule befindliche Generation um dieses Thema wissen. Die Untaten von vor 80 Jahren scheinen für uns Geschichte zu sein. Schaut man in die Welt, wird man eines Besseren belehrt. Wir haben die Verpflichtung, Gewalt zu verhindern und Frieden zu stiften. John Neumeier hat dies mit den Mitteln des Theaters gemacht. Ich bin John Neumeier dankbar für diese Inszenierung.

    Bundesjugendballett bei »The World of John Neumeier«
    »Die Unsichtbaren« am 5.10. um 20.00 Uhr und am 6.10. um 14.00 und 20.00 Uhr | Theater Baden-Baden
    »Bewegende Erinnerung« Podiumsdiskussion mit John Neumeier und Tanzexpert*innen am 5.10. um 17.00 Uhr | Kulturhaus LA 8
    Weitere Informationen und Tickets finden Sie auf der Webseite des Festspielhaus Baden-Baden

  • BallettTesterinnen »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler«

    BallettTesterinnen »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler«

    Als BallettTesterinnen durften Helene, Anna und Sandra unsere Wiederaufnahme bereits in der Hauptprobe erleben. Hier erzählen sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.

    Es regnete in Strömen, als ich zwanzig vor fünf bei der Staatsoper in Hamburg ankam. Ich trat ins Foyer des Gebäudes und wurde direkt von Friederike und Nathalia begrüßt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde unter uns Ballett-Testerinnen gingen wir die Treppe zum Saal hoch, erwarteten ganz gespannt und mit viel Vorfreude die bevorstehende Aufführung. Schnell noch ein Foto, letzte Fragen geklärt und schon standen wir im Saal der Hamburger Staatsoper.

    Die Atmosphäre, die bereits im Saal herrschte, beeindruckte mich. Überall waren Menschen, die einen wichtigen Teil zu dem Ballettstück beitrugen: Die Techniker, dann das Orchester, Fotografen und natürlich auch John Neumeier, um bei der Probe die letzten Regieanweisungen zu geben. Da wir uns erst die Probe der B-Besetzung ansahen, erlebten wir den ersten Teil des Stücks zweimal. Aber es war in keiner Weise langweilig, zweimal die gleichen Szenen zu sehen. Es war vielmehr faszinierend, wie verschiedene Tänzer*innen die vorgegebene Choreografie umsetzten und mit welcher Präzision sie tanzten.

    Nach dem ersten Probendurchlauf wurden ergänzende Regieanweisungen gegeben, das Team der Regie sprach direkt mit den Tänzer*innen, um noch Verbesserungen vorzunehmen. Bestimmte Positionen wurden unauffällig auf der Bühne mit Tape markiert. Währenddessen wärmten sich die Tänzer*innen der A-Besetzung auf. Anschließend an die kurze Pause ging es weiter, nun wurde das zwei Stunden lange Stück ganz durchgetanzt.

    Ensemble in »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« © Kiran West

    Einzelne Akte wurden mit wiederkehrenden faszinierenden Bühnenbildern in Tanzform oder dem Bühnenlicht eingefangen und in den Zusammenhang des Stücks gesetzt. Das Bühnenbild und die Kostüme waren eher minimalistisch und schlicht, was jedoch die getanzten Figuren und so geschaffenen Bilder der Tänzer*innen sowie die Wirkung des Lichts hervorhob.

    Ein detailreicher Bühnenhintergrund ist bei diesem Stück meiner Ansicht nach nicht nötig, die Effekte, die mit dem Licht geschaffen wurden, sind imposant und beeindruckend genug. Der Bühnenboden wirkte durch die besonderen Lichtverhältnisse teilweise wie eine Wasseroberfläche, wenn sich die Tänzer*innen in ihm spiegelten.

    Während zu Beginn der Hintergrund noch schwarz war, wurde in der zweiten Hälfte des Stückes der Hintergrund der Bühne immer heller, wodurch die Silhouette der Tänzer*innen hervorgehoben wurde. Ich hörte die Spitzenschuhe auf dem Bühnenboden aufsetzen, wodurch sich das besondere Erlebnis im Ballett zu sein vervollständigte. Je nachdem, wo auf der Bühne getanzt wurde, ob im Vordergrund oder im Hintergrund, sah man entweder die Silhouetten oder die im Licht stehenden Tänzer*innen. Der leuchtende Hintergrund der Bühne änderte sich mit den einzelnen Szenen, wodurch erstaunlich viele unterschiedliche Atmosphären geschaffen wurden. Die anfangs erst dunkle Bühne wechselte zu leuchtend hell, ging über in ein dämmeriges Blau, bis das Licht ganz verschwand – fast so wie bei einem makellosen Sonnenuntergang.

    Mir gefiel die von Edvin Revazov getanzte Hauptrolle sehr. Er wechselte zwischen aktiver und passiver Hauptrolle, in manchen Szenen lag er nur wie schlafend am Bühnenrand, in anderen tanzte er wieder hingebungsvoll mit den anderen Tänzer*innen oder bildete mit seinem Tanz ganz bewusst einen Kontrast zu den Bewegungen innerhalb der Choreografie der Tänzer*innen.

    Mit seiner Figur wurden Assoziationen mit einem traumähnlichen Zustand geschaffen. Mit vielen Details erschuf John Neumeier bei uns Zuschauer*innen das Gefühl, einem Kreislauf des Lebens zuzusehen, man war vollkommen gebannt.

    In einigen Szenen agierten viele Tänzer*innen fast statisch im Hintergrund, während im vorderen Bereich der Bühne einzelne Tänzer*innen ein Solo tanzten. Diese Art, die Bühne in allen Bereichen zu nutzen, schaffte eine ganz besondere, faszinierende Dynamik sowie Bilder, die sich räumlich von hinten nach vorne aufbauten. Würde man bei diesem Ballett jede Sekunde in einem Foto festhalten, wäre jedes Foto sehr ästhetisch und unglaublich schön.

    Ich fand das ganze Stück sehr beeindruckend und war fasziniert davon, wie viele Tänzer*innen in diesem Ballettstück teilweise innerhalb einer Szene auf der Bühne waren und trotzdem in wunderschöner Synchronität getanzt haben. Die »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« war das erste große Ballett, das ich gesehen habe. Ich fand es sehr spannend, hinter die Kulissen einer abschließenden Probe zu blicken. Zudem bin ich sehr dankbar dafür, eine Ballett-Testerin für dieses Ballett gewesen sein zu dürfen.

    Helene Volkmer, 17 Jahre

    Hat man erst einmal Platz gefunden, so lädt auch der abgedunkelte Saal zur Gemütlichkeit ein. Der Saal ist verstummt und von links kommend schreitet eine einzelne Ballerina über die Bühne. Ihre Schritte sind langsam und bedächtig, als hätte Sie die Macht von Raum und Zeit. Ein jeder Schritt hat Auswirkung, so auch der erste Teil vom Orchester. 

    Kaum ist die Ballerina auf der anderen Seite der Bühne entschwunden, beginnt das einleitende Unisono der Trompete. Nach dem kurzen, aber kräftigen Einklang, beruhigt sich das Orchester und der Boden der Bühne ist belegt mit einer Vielzahl von Tänzern. Innehaltende Regungen bringen die Vorstellung in Bewegung. Fließend klassischer Tanz mit graziöser Anmut und die klassische Zuckerfee wird einem vorerst nicht präsentiert. Jedoch wird man später auch in diesem Bereich auf seine Kosten kommen – so viel sei verraten. 

    Ensemble in »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« © Kiran West

    Erst einmal wird aber das Ballett von seiner maskulinsten Seite präsentiert. Die vorbeigelaufene Ballerina hat nur Rätsel aufgeworfen und entschwindet bereits in Vergessenheit. Eine Gruppe von männlichen Tänzern bieten ein völlig neues Bild. Begleitet von einer düsteren Musik, empfindet man sich auf ein Schlachtfeld versetzt. Die Posaunen und Trompeten setzen neuerlich an und erinnern an ferne, ankündigende Fanfaren. Das Ballett erstellt tänzerisch ein Bataillon von Soldaten. Trainierend, triumphierend und zerbrechend kommen unterschiedliche Phasen zum Ausdruck. Bilder einer Einheit werden dargestellt und doch wieder aufgebrochen. Mal kaum merklich und manchmal sehr auffallend tanzen jeweils ein oder mehrere Tänzer wortwörtlich aus der Reihe. Das klassische symmetrische Bild wird dadurch aufgebrochen. Es weckt den Suchergeist des Zuschauers, der aufmerksam die Vorstellung verfolgt. Und auch in der Compagnie hat man doch immer den ein oder anderen, der den Befehlen nicht ganz folgt.

    Je nach Klangfarbe des Stückes verkörpern diese Tänzer die Emotionen. So fällt ein Tänzer inmitten der Gruppe ganz besonders auf. Dieser stellt den Begleiter unserer musikalischen Reise dar. Spannend ist zu beobachten, wie er als Außenstehender dazukommt anfängt, im Geschehen mitzuwirken scheint und doch erfahren muss, nur ein stiller Beobachter zu sein. Dieser Begleiter formt die Tänzer wie Marionetten, spiegelt damit die Befehlshaber – findet sich plötzlich wieder als einer der ihren – er lernt in der Compagnie den Zusammenhalt durch Freundschaft kennen – überzeugt die Gruppe zu einer besseren Wahl, bevor sie ihn doch verstoßen, ausgrenzen und ihren eigenen Untergang damit besiegeln. 

    So viele schwerwiegende Emotionen werden abrupt abgewendet mit dem Ende des Satzes. Wieder einmal ist der Raum gefüllt mit Stille, um sich voll und ganz einer einzelnen Tänzerin zu konzentrieren. Diese beginnt völlig allein an zu tanzen ohne musikalischer Untermalung. Auch unser Beobachter ist vor Ort. Neugierig beäugt er die Bewegungen der Tänzerin. Sechs weitere Tänzerinnen erscheinen und tanzen mit der ersten unisono. Die Musik setzt ein und unser Begleiter legt sich zu Boden. Er scheint eingeschlafen zu sein und die nun folgende Darstellung samt Musik entspringen wohl seinen Träumen. Die Musik wirkt frohlockend und hat eine Leichtigkeit, wie der Sommer selbst. Begleitet von Harfe und Oboe erscheint ein neuer Tänzer – das träumerische Ebenbild des Beobachters beginnt mit der anfänglichen Ballerina im Duett zu tanzen. Sie gleichen einem Liebespaar, während der Rest der Damen regungslos bleibt. Ein weiteres Paar gesellt sich dazu. Faszinierend werden aus den übrigen Tänzerinnen ein Bild der Landschaft und Tiefe gestaltet. Sie erscheinen wie die Bäume eines Waldes, durch denen die Paare sich bewegen. Durch das Zusammenspiel einzelner Bewegungen und Versetzungen im Raum wirkt es, als würde man gleich mehrere Landschaften durchschreiten. Zum Ende hin verstummt die Musik und die Tänzer entschwinden. So wie dieser Satz begonnen hat, endet es auch. Die Dame vom Anfang ist als Einzige zurückgeblieben. Der Beobachter erwacht aus seinem Schlaf und findet das gleiche Bild vor, wie er es zuletzt erfahren hat.  

    Ein neuer Satz beginnt. Wieder haben wir einen gefühlten Bühnenwechsel sowie eine neue Klangfarbe. Der Herbst zieht ein. Vier Tanzpaare und eine Dreiergruppe stehen auf der Bühne verteilt. Sie wirken wie die ruhenden Blätter an einem Baum. Ein Paar beginnt sich davon zu lösen und tanzt ein Pas de deux. Kaum zur Ruhe gekommen, beginnt das Dreiergrüppchen. Dies geschieht einheitlich mit dem Wechsel der musikalischen Gestaltung. Es erscheint somit immer wieder etwas Neues zu entdecken. Mit jeglicher Änderung des instrumentalen Spiels, ändert sich die Tanzfolge, die Tänzer und der Platz. Als würde der Wind die Blätter aufwirbeln, tanzen später alle und weitere Tänzer erscheinen auf der Bühne. Auch die Hauptfigur tanzt mit und möchte Teil dieser großen Bewegung sein. Später findet er sich mit einer Tänzerin sitzend am Boden wieder. Sie sitzen einander gegenüber und schauen sich tief in die Augen. Wieder einmal wird ohne Worte eine neue Ebene erschaffen. Die Gedanken, Gefühle und Handlungen, die eigentlich nur in den Köpfen der zwei entstehen, werden durch die Tänzer auf die Bühne projiziert. Ein einzelnes Paar spiegelt ihre Sehnsüchte, einen vergehenden Sommer im goldenen Herbst wieder. Sie finden zueinander, tanzen leidenschaftlich inmitten der aufwirbelnden Herbstblätter. Es birgt noch immer eine gewisse Form von Leichtigkeit. Nur scheint das Absterben der Blätter unausweichlich zu sein. So entschwindet auch die Dame, die an der Seite des Beobachters verweilt hat. Auch erschlafft die Tänzerin – das Spiegelbild – in den Händen des Tänzers, der sie zurücklässt. Wieder versucht der Beobachter ein weiteres Mal einzugreifen und den Verlust zu verhindern. Er eilt zur Ballerina und trägt letztlich doch nur noch den erschlafften Körper in seinen Händen. 

    Madoka Sugai, Alessandro Frola und Ensemble in »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« © Kiran West

    Wieder wird ein neues Bild erschaffen. Eine einzelne Tänzerin scheint in ihrem Raum gefangen zu sein. Sie empfindet Einsamkeit. Auch sind der Beobachter und ein weiterer Tänzer jeweils für sich. Scheinen so nah zu sein und sich dennoch nicht sehen zu können. Einsam in der Nacht entschwindet die Ballerina im Halbdunkel, während die beiden Männer sich langsam zur Musik begegnen. Es wirkt, als irrten diese Wesen allein umher in der Dunkelheit der Nacht. Letztendlich sind sie doch nicht allein, begegnen einander und auch die Ballerina findet zu ihnen. Der Klang einer Solistin ertönt. Sie tanzen behutsam zu dritt bis unser Hauptcharakter zwischenzeitlich wieder schläft und ein Pas de deux folgt. Auf den Schultern beider Männer scheint die Ballerina fast fliegen zu können. Träumend wirken die Sterne schon gar nicht mehr so fern. 

    Bim-Bam ertönt es plötzlich aus den Mündern eines Chores. Die dunkle Nacht scheint überstanden zu sein. Die drei Wesen beginnen wieder auf unterschiedlichen Wegen zu gehen und entfernen sich voneinander. Währenddessen erscheint die Ballerina vom Anfang. Eben diese, die bereits in Vergessenheit geraten ist. Plötzlich taucht sie wieder auf, tanzt quer durch den Saal und versprüht etwas Kindliches und Verspieltes. Sie erweckt die Aufmerksamkeit unseres Beobachters, aber verschwindet auch schon wieder bald. Neue Tänzer erscheinen dafür und füllen die Bühne. Es wird getanzt, wundersame Formen erstellt und letztendlich umarmen sich alle. Ein weiteres Mal erscheint der Engel. Das lebhafte, kindliche Verhalten weicht einer gereiften Anmut. Sie lässt unseren Beobachter erwachen, tanzt zuerst allein und später in einem romantischen Pas de deux mit ihm. Er hat die Hand des Engels ergriffen und scheint mit ihr in den Wolken zu tanzen. Alles erscheint ein perfektes Ende zu nehmen. Doch die Realität lehrt uns eines Besseren und man weiß einen freien Engel nicht auf Erden halten zu können. 

    Zweimal scheint die Ballerina zu entschwinden. Die Musik kündigt es bereits an. Der Beobachter baut mit seinem eigenen Körper ein schützendes Dach über sie. Beim ersten Versuch funktioniert dies sogar und sie können ein weiteres Mal im Duett tanzen. Doch beim zweiten Versuch ist er erfolglos und sie entzieht sich ihm. Der Engel kehrt zurück zu all den anderen Engeln und ist wieder Teil eines Größeren. Unser Begleiter wandelt zwischen ihnen und ihren Formen, verschwindet gar in der Versammlung dieser Übermenschen und begreift, dass er doch nur ein kleiner Beobachter in diesem Geschehen ist und letztendlich nichts verändern kann. 

    Olga Smirnova, Edvin Revazov und Ensemble in »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« © Kiran West

    Diese künstlerische Praline hat zahlreiche Facetten erschaffen. Der Zuschauer wird musikalisch und tänzerisch von den unterschiedlichsten Darbietungen verwöhnt. Eine Vielfalt an Ereignissen lassen die Zeit verstreichen wie im Flug. Wir sprechen hierbei von einer Vielfalt an musikalischer Gestaltung – von einem ruhenden Stillschweigen des Orchesters zur ruhigen andächtigen Komposition bis hin zur beschwingten Leichtigkeit und zu dramatischen Höhepunkten.
    So wird dies auch tänzerisch gespiegelt. Nicht nur haben wir eine kleinere Anzahl an Tänzer, bis hin zum Solo, sondern auch die komplette Aufstellung des Ensembles. So viele Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne zu sehen, die gemeinschaftlich dieses Projekt präsentieren, bereitet wahre Freude. Jeder einzelne ist ein wichtiger Punkt im Gesamten. 

    Anna Kröger

    Für mein erstes richtiges Ballettstück, wobei ich live dabei sein durfte, war es ein aufregender und einzigartiger Moment. Das Ballett war nicht nur mit unzähligen talentierten Tänzern gefüllt, sondern wurde auch mit unendlich viel Leidenschaft und Emotionen bereichert. Jede Gestik und Mimik der Tänzer fühlte sich flüssig und aufbauend an – weniger als ein einstudiertes Stück und mehr wie eine persönliche Geschichte. Das Besondere an diesem Stück ist, dass keine festgeschriebene Handlung existiert. Jeder Zuschauer ist gezwungen eine eigene Interpretation zu gestalten, die von nichts beeinflusst wird, außer von den eigenen Gedanken, Erlebnissen, Beziehungen – vom eigenen Leben. Dementsprechend werden die Zuschauer automatisch ein Teil der Vorstellung und Teil der Handlung.

    Auffallend sind auch die vielen verschiedenen Lichtverhältnisse, die im Stück teilhaben. Vor allem ist ein leuchtendes Blau immer wieder im Hintergrund in Form einer Leuchtwand oder von der Decke als Lichtstrahl auffindbar. Das Blau wurde auch in den Kostümen übernommen, genauso wie viele weitere Farben, die eine überraschende Harmonie widerspiegelten und passend zu jedem Akt und zu jeder Rolle ausgewählt wurden. Sehr interessant ist zudem die Konstellation der Tanzgruppen. Während jeder Tänzer zu einer Gruppe oder Duo gehörte, stach der Hauptcharakter nicht nur mit seinem Kostüm heraus, sondern auch, da er in jedem Akt auf der Bühne zu sehen ist. Entweder tanzt er oder er liegt am Rand der Bühne – zu sehen ist er aber stets.

    Karen Azatyan und Ensemble in »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« © Kiran West

    Die Vorstellung hatte eine reichhaltige Vielfalt von verschiedenen Tanzelementen – Hebefiguren, Sprünge, Bodentanz usw. Es war sehr interessant, die vielen verschiedenen Facetten vom Ballett zu beobachten. Außerdem gab es viele Elemente, die man vom traditionellen Ballett nicht wirklich kennt. Neues zu sehen war sehr erfrischend und spannend.

    Etwas, was sicherlich jeden im Saal sehr beeindruckt hat, waren die Hebefiguren der Tänzer. Sie sahen nicht nur sehr gigantisch und eindrucksvoll aus, sondern auch sehr kompliziert und stark – etwas, was man sicherlich nicht in jedem Ballettstück sehen wird.

    Der größte Aspekt, den das Ballett ausmachte, war natürlich die beeindruckende Musik von Gustav Mahler. Hier gab es sehr viel Vielfalt an Instrumenten, aber auch an Eigenschaften. Die Musik war sehr abwechslungsreich. Vor allem beim Beginn des Stückes spielte die Musik laut, intensiv und kräftig, was eine sehr beeindruckende Wirkung auf den Zuschauer hatte. Durchaus war die Musik auch zärtlich, ruhig und elysisch, was eine träumerische und zauberhafte Wirkung bei den Zuschauern hinterließ. Es war durchaus ein Zusammenspiel, aber auch eine Mischung aus beiden Musikrichtungen.

    Imposant waren auch die Momente, in denen keine Musik gespielt wurde und der Raum der Stille ausgesetzt war. Alles, was man hörte, waren die Tanzschritte und die Spitzenschuhe der Tänzer. Dies erzeugte eine ganz neue Sensation und das Gefühl, dass die Tänzer immer näher kommen.

    Das Ballettstück ist sehr empfehlenswert, wenn man verschiedenen Kontraste in der Tanzkunst, aber auch in der Musik erleben möchte. Zudem wird die eigene Kreativität beansprucht, da man eine weite Interpretationsfreiheit hat. Es ist ein sehr schönes und gefühlvolles Ballett, was einen sehr bewegt.

    Sandra Chiolo, 19 Jahre

  • BallettTester*innen »Liliom«

    BallettTester*innen »Liliom«

    Als BallettTester*innen durften Nicklas, Emily und Johanna unsere Wiederaufnahme bereits in der Hauptprobe erleben. Hier erzählen sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.

    »Die Musik und der Tanz sind zwei Künste, die in genauer Verbindung mit einander stehen.« -Molière-

    Mit dem Ballett »Liliom« entführt John Neumeier das Publikum in die Welt des Schaustellermilieus. Am 20.02.2022 wird das Ballettstück im großen Saal der Staatsoper Hamburg wiederaufgenommen. Die dazugehörige Musik ist ein Auftragswerk des Filmmusikkomponisten Michel Legrand, welcher zwölf Mal für einen Oscar nominiert wurde und diesen drei Mal erhielt. Insgesamt schrieb er Musikstücke zu etwa 200 Kino- und Fernsehfilmen sowie auch für »Liliom«. Er lässt Jazz und Klassik virtuos verschmelzen und hinterlässt ein Feuerwerk beider Genres in den Ohren des Zuschauers. Das Bühnenbild entwarf Ferdinand Wögerbauer, die Kostüme John Neumeier. Die Hauptrollen wurden mit Karen Azatyan als Liliom, Alina Cojocaru a.G. als Julie und Louis Musin als Sohn von Julie besetzt. Die musikalische Leitung wurde von Nathan Brock vertreten. Bereits seit Dezember 2011 gibt es diese Inszenierung, nun kehrt diese für eine Wiederaufnahme in die Staatsoper Hamburg zurück.

    Florian Pohl als Mann mit den Luftballons und Louis Musin als Louis © Kiran West

    »Liliom«  ist ein Ballettstück mit einer fesselnden Choreographie der Melancholie, Lebensfreude, Trauer und des Schmerzes. Es ist ein Wechselbad der Emotionen und lehrt uns etwas über Tanz, Musik und die damit verbundene Ausdrucksstärke. Dieses Ballett ist ein Stück des Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen. Das Bühnenbild »Playland« ein Meer aus Farben und der Liebe zum Detail lädt den Zuschauer unmittelbar dazu ein den altbekannten Jahrmarkt aus Kindheitszeiten wieder zu betreten. Zusammen mit den Kostümen ergibt es ein großes Ganzes, das seinesgleichen sucht – das Publikum.

    In melancholischer Atmosphäre betritt ein Mann mit Luftballons langsam und achtvoll die Bühne, es folgt das erste Erscheinen der Protagonisten Liliom, Julie sowie Ihrem Sohn Louis und die Geschichte beginnt. Das Bühnenwerk zieht den Zuschauer unmittelbar in seinen Bann und der Einfluss von Michel Legrand´s Tätigkeit als Filmkomponist und dessen Discographie wird sofort hörbar. Die NDR Bigband als auch das Philharmonische Staatsorchester werden gemeinsam zu einer übergreifenden Einheit und somit zum Zusammenschnitt beider. John Neumeier gelingt eine Erzählung über Liebe, Lebensfreude, Hass, Rachsucht und Angst mit den Synergien von Tanz und Musik. »Liliom« ist ein künstlerisch musikalisches Werk, das seinen Applaus zum Ende der Vorstellung in jeder Sekunde verdient.

    Nicklas

    Am Freitag, den 18.02.22 durfte ich bei der Hauptprobe von »Liliom« als Testerin dabei sein. Als ich in der Staatsoper ankam, wurde ich sehr nett empfangen.

    Karen Azatyan als Liliom, Anna Laudere als Frau Muskat und Ensemble in der bunten Kulisse des Jahrmarkt »Playland« © Kiran West

    Der Anfang vom Stück ist sehr spannend und bewegend. Die leise Musik, das geheimnisvolle Licht mit dem Nebel. Dazu das Bühnenbild und die Atmosphäre sind spitze. Die Tänzer bewegen sich so grazil und leise, dass ich dachte, sie würden fliegen. In manchen Momenten musste ich sogar ein bisschen lachen, weil das Stück auch witzig ist. Alle Tänzer waren so synchron, dass ich an manchen Stellen dachte, dass sie vielleicht Marionetten wären. Auch die Kostüme der Tänzer waren farbenfroh und detailliert. Die Tänzer haben super mega toll getanzt. Dass sich Jazz und Klassik abgewechselt haben, verleiht dem Stück noch etwas Besonderes. Superklasse. Ich kann das für jeden empfehlen, der Spaß am Ballett hat.

    Johanna, 11 Jahre

    Es war Freitag, der 18. Februar 2022, als ich mit zwei weiteren Ballett-Tester*innen die Hauptprobe von »Liliom« sah und erlebte. Das Ballett von John Neumeier hatte seine Uraufführung 2011 und ich hatte das Glück, bei der Wiederaufnahme dabei sein zu dürfen. Wir wurden von zwei sehr freundlichen Mitarbeiterinnen empfangen, die uns gleich in den Saal führten. Die Stimmung war von der ersten Sekunde an total beeindruckend und es war spannend, einmal das »Behind the Scene« zu erleben! Das Orchester probte wild durcheinander, ein paar Tänzer*innen standen auf der Bühne und gingen nochmal letzte Schritte durch, letzte Techniksachen wurden überprüft und andere wenige Zuschauer*innen begaben sich in den Saal. Zu sehen waren unter anderem Liliom (getanzt von Karen Azatyan), Julie (getanzt von Alina Cojocaru) und ihr Sohn Louis (getanzt von Louis Musin).

    Karen Azatyan als Liliom und Alina Cojocaru als Julie © Kiran West

    Als es begann, löste die Gesamterscheinung schnell ein Gefühl von Nostalgie in mir aus, das »Playland« schien eine Welt zu sein, in der man dem Alltag und den Problemen entfliehen kann und wo es von fröhlichen Menschen nur so wimmelt. Die Menschen erlebten in den 1930ern die große Depression und kämpften gegen Armut an. Verzweiflung brach aus, das wird in John Neumeiers Ballett deutlich dargestellt. Das einerseits sehr farbenfrohe, aber andererseits graue Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer hat mir sehr dabei geholfen, den großen Kontrast zwischen der Hoffnung und der tragischen Realität der Menschheit zu verstehen. Als die eifersüchtige Karussellbesitzerin, Frau Muskat, Liliom kündigt und er somit keine Einkünfte mehr hat, scheint der Frauenschwarm von nun an in einer permanenten Auseinandersetzung mit sich selbst zu sein. Dass seine Julie ein Kind erwartet, lässt seine Perspektive auf eine Besserung noch kleiner werden; er findet keinen Ausweg aus seiner Hilflosigkeit und ersticht sich schließlich auf der Hochzeit von Julies guten Freundin Marie. Julie ist in tiefer Trauer und obwohl Liliom nie fähig war, ihr seine Liebe zu zeigen, gab sie ihn nie auf und hielt selbst noch lange nach seinem Tod zu ihm. Während des ganzen Ballettstücks über war ich fasziniert davon, wie intensiv die Emotionen, die die Tänzer*innen vermittelten, bei mir ankamen. Ein hervorzuhebender Moment war, als plötzlich die NDR Bigband in dem Café des »Playland« zu hören und zu sehen war. Mir hat die Zusammenstellung aus klassischer Musik (Philharmonisches Staatsorchester Hamburg) und Jazzmusik (NDR Bigband) besonders gefallen, denn es hat die Handlungen und die Emotionen sehr passend und gut unterstützt.

    Zusammenfassend kann ich sagen, dass mir die Ballettinszenierung außerordentlich gut gefallen hat. Ich bin sowohl von den Hauptdarsteller*innen, als auch von der gesamten Compagnie sehr beeindruckt und bewundere ihre Kunst sehr. Bei Tanz ist mir wichtig, dass man anhand des Körpers in Kombination mit der Musik und des Raumes spricht und Geschichten erzählt. Dies ist den Tänzer*innen meines Erachtens nach auf beeindruckende Weise gelungen. Hervorheben möchte ich die Leistung der gesamten Compagnie, die es versteht, jede Vorstellung einzigartig zu machen. Das Ballett blieb aufgrund der tragischen Handlung spannend, hatte aber dennoch viele hoffnungsgebende und befreiende Momente, die einen selbst aus dem eigenen Alltag rausgeholt und in eine andere Welt gebracht haben.

    Emily, 19 Jahre

  • 4 Fragen an vier »Puck«

    4 Fragen an vier »Puck«

    John Neumeiers Ballett »Ein Sommernachtstraum« erlebte seine Uraufführung vor über 44 Jahren und ist bis heute ein beliebter Klassiker im Repertoire des Hamburg Ballett. In all der Zeit haben unterschiedliche Tänzergenerationen das Ballett getanzt. Eine der zentralsten Figuren des Stücks ist der schelmische Elf »Puck«, der mit einer Zauberrose alles gehörig durcheinander bringt. Wir haben vier verschiedene Tänzer des »Puck« über die Rolle, deren Verständnis und Erlebnisse mit dem Fabelwesen gefragt.

    Kevin Haigen: Im Jahr 1977 kam das Ballett »Ein Sommernachtstraum« zur Uraufführung. Sie waren damals als Tänzer maßgeblich an der Produktion beteiligt und haben zusammen mit John Neumeier die Rolle des schelmischen Elfen »Puck« kreiert. Können Sie von dieser Kreation erzählen? Was ist aus Ihrer Sicht die Essenz der Rolle?

    Kevin Haigen: Es war eine meiner ersten Kreationen mit John und sie war sehr interessant! Ich denke an Puck als Robin Goodfellow. Für mich repräsentiert er das Licht. Und was ist Licht? Licht ist Güte, Reinheit und Liebe. Für mich geht es darum, rein, wahrhaftig und nicht berechnend zu sein. Ich weiß, dass viele Pucks in der Kunst und in Theaterstücken von vielen Schauspielern auf eine diabolische Art gespielt werden, aber ich glaube nicht, dass Puck ein Faun ist! Er ist eine Fee! Und was er tut, das tut er alles aus Unschuld. Es ist sehr wichtig, dass der Tänzer das Bewegungsvokabular von Puck als das einer Fee interpretiert: er ist kein Clown! Außerdem muss man sehr darauf achten, dass es nie langweilig, nie »programmiert« aussieht. Dass es für den Moment ist, im Moment ist, aber auch innerhalb des Stücks. Puck tanzt nicht für das Publikum, sondern mit dem Publikum.

    Kevin Haigen in der Rolle des »Puck« im Jahr 1977 © Gert von Bassewitz

    Lloyd Riggins: Sie haben über viele Jahre hinweg den »Puck« in »Ein Sommernachtstraum« getanzt und ihn damals selbst mit »dem allerersten Puck« Kevin Haigen einstudiert. Nun bringen Sie als Ballettmeister selber neuen Tänzergenerationen des Hamburg Ballett diese Rolle bei. Wie gehen Sie die Vermittlung der Rolle an und was ist wichtig dabei?

    Lloyd Riggins: Wir haben beim Hamburg Ballett das große Glück, dass der ursprüngliche Schöpfer der Rolle noch mit uns zusammenarbeitet. Normalerweise fange ich bei einem neuen Puck damit an, das erste Solo in der Feenwelt zu unterrichten und bitte dann so schnell wie möglich Kevin Haigen zu kommen und den Tänzer zu coachen. Es gibt wirklich keinen Ersatz für diese Erfahrung, dass das »Original« das gesamte Konzept einer Rolle an die nächste Generation weitergibt. Der Tänzer erfährt, wo jede Bewegung beginnt und was Johns Absicht war und ist. Und auch, wie die Rolle in das größere Schema des Stücks als Ganzes passt. Ich habe viele Jahre lang Puck getanzt, und nach jeder Aufführung war Kevin mit einer neuen Korrektur oder Anregung, mit Nuancen und Schattierungen zur Klärung und Vertiefung meiner Interpretation zur Stelle. Die Arbeit ist nie zu Ende – und das ist unsere Wahrheit: Die Reise ist alles! Mit Kevin (und natürlich mit John) versuche ich weiterhin, alles über die Rolle und das ganze Ballett zu lernen, was ich kann. Als Ballettmeister sorge ich dafür, dass eine neue Inszenierung kreativ bleibt. Unser Ziel ist es nicht, zu wiederholen, was war, sondern die Essenz und den Geist des Balletts mit den Tänzern von heute NEU zu erschaffen. Mit den Kenntnissen und mit großem Respekt vor dem, woher wir kommen, schaffen wir ein tiefes Fundament, aus dem das Stück neu geboren wird – im Jetzt. Man sagt, »nur wenn wir unsere Wurzeln kennen, können wir wirklich weiter wachsen«.

    Alexandr Trusch versteckt sich als »Puck« bei den Filmaufzeichnungen vor den Handwerkern © Kiran West

    Alexandr Trusch: Sie tanzen nun seit einigen Jahren sehr erfolgreich die Rolle des »Puck« und sind sogar in dem 2021 entstandenen Ballettfilm und dementsprechend auch auf der DVD/Blu-Ray zu sehen. Was genau mögen Sie besonders an dieser Rolle? Mit welchen Aspekten identifizieren Sie sich?

    Meiner Meinung nach erfordert jede Rolle eine gewisse Selbstidentifikation. Das Tolle an Puck ist, dass man auf der Bühne »richtig die Sau rauslassen kann«. Sie ist voll von kleinen (manchmal auch geheimen) Witzen, sei es auf der technischen oder auch theatralischen Ebene. Die Rolle erfordert viel Kreativität und ein Vermögen, sich den Tänzern und ihren Reaktionen anzupassen. Da ich das Stück in all der Zeit glücklicherweise mit so vielen tollen Besetzungen getanzt habe, konnte ich mir eine gewisse Flexibilität als Tänzer aneignen. Dafür bin ich sehr dankbar. 

    Atte Kilpinen bei seinem Puck-Debüt mit der Zauberrose © Kiran West

    Atte Kilpinen: Sie debütieren beim Gastspiel in Baden-Baden in der Rolle des »Puck« und treten dabei in die Fußstapfen von großen Tänzern wie Kevin Haigen oder Lloyd Riggins. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet und wie fühlt es sich an, diese zu tanzen?

    Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Probe. Lloyd Riggins begann mir die Schritte des Puck beizubringen und ziemlich schnell kam auch Kevin Haigen dazu und gab mir verschiedene Ideen und Impulse. Später kam dann sogar noch John Neumeier zu der Probe, sodass alle drei dabei waren. Ich hatte also einen tollen Start in meine Puck-Reise und es ist sehr wertvoll, gleich am Anfang schon so viele Perspektiven zu bekommen. Es ist schön, dass es so großartige Tänzer wie Lloyd, Sasha und Kevin gibt, die den Puck schon getanzt haben und von denen ich so viele Informationen bekommen kann. Diese Informationen versuche ich zu nutzen und sie mir zu eigen zu machen. Meine Art der Herangehensweise für Puck ist, nicht zu viel zu planen. Natürlich sind die Schritte und alles choreografiert, aber es muss immer authentisch sein. Deshalb gehe ich hin und fühle, wie für mich und für Puck alles neu ist. Darauf freue ich mich schon!

  • »Wir sind da, um den Tanz zu unterstützen – und im Zusammenspiel die Kunstformen zu verbinden.«

    »Wir sind da, um den Tanz zu unterstützen – und im Zusammenspiel die Kunstformen zu verbinden.«

    In diesem Jahr ist das Bundejugendballett zum ersten Mal Teil der jährlichen Herbstresidenz des Hamburg Ballett in Baden-Baden. Auf der Akademiebühne feiert die junge Compagnie die Premiere des neuen Stücks »John’s-BJB-Bach«, das Ausschnitte aus John Neumeiers Balletten »Matthäus-Passion«, »Magnificat«, »Bach Suite 2« und »Bach Suite 3« enthält. Wir haben mit Marshall McDaniel, dem Musikalischen Leiter des Bundesjugendballett, über seine Arbeit und die musikalische Seite des Bundesjugendballett gesprochen.

    Die Musik von Johann Sebastian Bach sind zumeist große orchestrale Werke für große Besetzungen und Chöre. Deshalb hast du für die Premiere von »John’s-BJB-Bach« in Baden-Baden die Musikstücke für die Bedürfnisse des Bundesjugendballett »arrangiert«. Vielleicht erklärst du einmal, was genau das bedeutet und wie du dabei vorgehst?

    Marshall McDaniel: Arrangieren bedeutet die Musik umzuschreiben für die Instrumente, die wir für die Inszenierung des jeweiligen Stücks brauchen. Beim Bundesjugendballett bedeutet das meistens ein Streichquartett plus Klavier plus Flöte und Klarinette. Für die Inszenierung von »John’s-BJB-Bach« musste ich deshalb die Stimme der Klarinette hinzuerfinden. Denn zu Lebzeiten von Johann Sebastian Bach gab es ja noch keine Klarinetten. Da musste ich dieses Instrument irgendwie reinschieben. Ansonsten muss man aber auch sagen, dass manche Stücke funktionieren, ohne etwas zu arrangieren. Im Grunde genommen ist Bachs Musik sehr universell. Es ist möglich, seine Musik ganz unterschiedlich zu spielen: ob mit Synthesizer oder nur mit zwei Musikern – es klingt immer noch nach Bach. Von daher ist es nicht so schlimm, wenn man seine Musik reduziert oder expandiert.

    Marshall McDaniel studierte Cello und Englische Literatur an der California State University © Silvano Ballone

    Worauf muss man insbesondere achten, wenn man Musik für Tanz arrangiert?

    Ja, das ist eine gute Frage. Also meistens geht es vor allem darum, die Musiker für den Tanz zu sensibilisieren. Die Meisten wollen immer direkt loslegen und losspielen und verstehen anfangs nicht die Symbiose aus Musik und Tanz und was das wirklich bedeutet. Denn wenn wir proben und der Tanz dazukommt, dann ist das wie eine neue Stimme in der Partitur beziehungsweise meistens sogar mehrere zusätzliche Stimmen. Am Anfang fällt es den Musikern oft schwer, diese andere Stimme zu lesen. Die steht ja auch nirgends aufgeschrieben und ist einfach dazugekommen. Von daher muss man wirklich aufpassen, dass man nicht zu schnell oder zu langsam spielt. Die Bewegungen der Tänzer hängen ja davon ab, was und wie wir spielen. Wenn wir nicht »tanzgerecht« spielen, gehen die Bewegungen manchmal nicht mehr oder sind nicht so wie gedacht. Wir sind letztendlich da, um den Tanz zu unterstützen – und im Zusammenspiel die Kunstformen zu verbinden.

    Musik und Tanz sind beim Bundesjugendballett gleichberechtigte Künste. Oft sind die Musiker*innen Teil der Inszenierung © Kiran West

    Ist das denn eine Herausforderung für die Musiker*innen, sich in meist kurz bemessener Probenzeit auf den Tanz einzulassen?

    Also die Arbeit beim und mit dem Bundesjugendballett ist sowieso ganz anders, als es viele gewohnt sind (lacht). Nicht nur, dass die Musiker bei uns oft selber ein aktiver Teil auf der Bühne sind und zum Beispiel über die Bühne laufen, während sie spielen, auch die Proben sind ganz anders. Denn selbst wenn ich es schaffe vor den Proben fertige Partituren zu schreiben, wird dann meistens eh alles komplett anders oder geändert, wenn wir erstmal in den Proben sind. Kevin Haigen hat eine tolle Empfindung für Musik und gibt häufig Impulse, was passt und was nicht passt. Deshalb muss ich auch oft Dinge mündlich erklären oder selber kurz vorspielen. Andere Musiker würden sich wahrscheinlich erschrecken, wenn sie mit uns proben würden. Aber wir suchen gezielt Musiker, die Lust auf diese freie Arbeitsweise haben und da gerne mitmachen: Gerne improvisieren und sich ausprobieren. Und zum Glück finden wir auch immer tolle Musiker, die das schnell verstehen!

    Würdest du das als eine besondere Stärke des Bundesjugendballett bezeichnen, dass es auch in Bezug auf die Musik so kreativ arbeitet und so viel mit den verschiedenen Kunstformen experimentiert?

    Auf jeden Fall! Das ist wirklich etwas ganz Besonderes. Mir hat das beim Musikstudium auch sehr gefehlt: Diese Art der Improvisation, des Miteinanders und etwas zu spielen, was nicht in den Noten steht. Meiner Meinung nach sollte man sowieso immer so spielen, als würde man die Musik gerade im Moment neu erfinden. Auch wenn man die Noten vor sich hat. Das stärkt das kreative, improvisierte Spiel. Und das ist eben ein großer Vorteil beim Bundesjugendballett.

    Improvisation und Flexibilität werden beim Bundejugendballett großgeschrieben. Die Noten werden häufig auch handschriftlich ergänzt. © Silvano Ballone

    Würdest du sagen, dass du bzw. auch das Bundesjugendballett besonderen Wert darauf legt mit Nachwuchs-Musiker*innen zusammenzuarbeiten? Liegt das an dieser Spiel- und Experimentierfreude?

    Ich glaube, dass das in dieser Art nur mit jungen Leuten geht (lacht). Nein, wahrscheinlich geht es auch mit anderen Musikern. Aber viele erfahrenere Musiker, die schon länger in dem Beruf arbeiten, haben ihre eigene Routine und sind darin vielleicht ein bisschen festgefahren. Die wollen dann gerne alles vorbereitet haben und sind schnell genervt, wenn in den Proben nicht alles vorgeplant ist. Aber bei Tanz und Theater, zumindest so wie wir es machen, geht das leider nicht immer. Ich persönlich finde das auch besser so. Dass man bei jeder Show etwas Neues kreiert und weiterentwickelt. Selbst noch nach unseren Auftritten verändern wir, also Kevin Haigen oder ich, einzelne Stellen. Mal ein anderer Akkord, mal wird eine Stelle etwas länger oder kürzer. Ich glaube, dass das wirklich nur mit jungen, kreativen und flexiblen Leuten geht.

    Als Musikalischer Leiter des Bundesjugendballett arrangierst du nicht nur die Stücke und bist für die Einstudierung der Musik und die Leitung der Musiker*innen zuständig, du spielst außerdem selber auf der Bühne Cello. Ist das eine zusätzliche Doppelbelastung oder gefällt es dir, selbst Teil der Inszenierung zu sein?

    Also allen voran liebe ich es, Musik zu machen. Deshalb macht es mir auch wahnsinnig Spaß selber mitzuspielen. Aber natürlich hat die Medaille auch immer zwei Seiten. Denn wenn ich selber mitspiele, fehlt mir manchmal auch der Blick von außen beziehungsweise die Ohren. Ich muss mich ja dann selber auf meine Finger und meine Stimme konzentrieren und kann schwieriger beurteilen, ob alles klappt oder zusammenpasst. Aber trotzdem gefällt es mir besser mitzumusizieren.

    Friederike Adolph

  • BallettTesterinnen »Sylvia«

    BallettTesterinnen »Sylvia«

    Als BallettTesterinnen durften Emma und Victoria unsere Wiederaufnahme bereits in der Hauptprobe erleben. Hier erzählen sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken.

    Ich war gestern beim Ballett »Sylvia« und es war sehr schön.

    Beim Tanzen konnte man den Charakter der Figuren erkennen, beispielsweise die Nymphen. Die Nymphen tanzen wie stolze Wesen. Bei der ersten Szene sieht man, wie die Nymphen Bogenschießen, was mich ordentlich einschüchterte.

    Madoka Sugai als Nymphe Sylvia, Anna Laudere als Göttin Diana und das Ensemble © Kiran West

    Sylvia war für mich eine neugierige aber auch zielstrebige Figur. Ihre Neugierde erkannte ich, als sie zum ersten mal den Wald verlässt und eine andere Welt sieht.
    Die Kostüme passten zur Kulisse, beispielsweise die grünen Kleider zum Wald oder die schwarz-, rot- oder blauen Kleider zur modernen Welt. Die Musik und die Choreographie waren ebenfalls gut. Wenn es fröhliche Musik war, gab es leichte Sprünge und bei dramatischer Musik wurden wütende Sprünge und hetzende Bewegungen gemacht.

    Alles im Stück war sehr schön.

    Emma Marja Lotte Hartkopf, 12 Jahre

    Dank der Aktion BallettTester der Staatsoper Hamburg durfte ich am 03.09. gemeinsam mit einer weiteren jungen BallettTesterin bei der Hauptprobe der Wiederaufnahme des Balletts »Sylvia« von John Neumeier dabei sein. Eine Wiederaufnahme, so wurde uns erklärt, sei es, da das Ballett 1997 bereits aufgeführt worden war. »Sylvia« ist meine erste Balletterfahrung und ich hatte Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wie ein Stück ganz ohne Text, nur mit Musik und Tanz funktionieren kann. Es hat mich überrascht, wie nachvollziehbar die Handlung und wie mehrdimensional die Figuren gerade in der Abwesenheit erklärender Sprechtexte geblieben sind.

    Madoka Sugai als Sylvia und Alexandr Trusch als Schäfer Aminta im dritten Akt © Kiran West

    Im Zentrum des Balletts steht die junge Nymphe Sylvia, beeindruckend getanzt von Madoka Sugai, die mit den geschickten Jägerinnen der Göttin Diana durch den Wald zieht und sich in der Jagd übt. Als sie eines Nachts dem Schäfer Aminta begegnet, der sich in sie verliebt, entdeckt Sylvia, geführt vom Gott der Liebe Eros (besonders ausdrucksstark und berührend getanzt von Christopher Evans), eine Welt außerhalb des mystischen Waldes und muss sich entscheiden, ob sie den jungfräulichen Jägerinnen und ihrer Mentorin Diana treu bleibt oder ihre Sinnlichkeit entdeckt.

    Das in Komplementärfarben gehaltene Bühnenbild von Yannis Kokkos unterstreicht die geheimnisvolle Atmosphäre des Nymphenwaldes und Sylvias inneren Konflikt. Mal tauchen blaue Schatten die Bühne in silbriges Mondlicht, mal betonen die Silhouetten der Tänzer*innen vor gelbem Grund den mythologischen Ursprung der Figuren. Doch auch ohne umfangreiches Hintergrundwissen um die griechische und römische Mythologie bleibt das Ballett verständlich.

    Sylvia im Tanz mit Eros/Orion (Christopher Evans) © Kiran West

    Der erste Akt beginnt schon vor der Aufführung mit dem schlafenden Endymion. Wach ist man als Zuschauer*in aber spätestens, wenn die erste Nymphe amazonenhaft von außerhalb der Bühne, fast schon aus dem Publikum heraus, den ersten Pfeil abschießt und die Jägerinnenschar unter Gebrüll auftritt. Ästhetisch und kraftvoll choreografiert springen die Tänzerinnen anmutig, mit Bögen bewaffnet in die Höhe und präsentieren ihr kriegerisches Können. Im Kontrast dazu entdeckt Sylvia, gekleidet in wallenden burgunderroten Samt, im zweiten Akt eine andere, zarte und sinnliche Seite der Weiblichkeit. Untermalt wird das Ballett von Léo Delibes Kompositionen, die mir auch als Ballettneuling überraschend bekannt vorkamen.

    »Sylvia« hat mich, begeistert und beeindruckt nach drei Akten voller Poesie und Leidenschaft, wieder in die Realität entlassen und ich bin sicher, dass das nicht mein letztes Balletterlebnis gewesen ist.

    Victoria Bernetière, 24 Jahre

  • 45 Jahre »Illusionen – wie Schwanensee«

    45 Jahre »Illusionen – wie Schwanensee«

    Vor 45 Jahren, im Jahr 1976, widmete sich John Neumeier einem der bekanntesten Ballette der Welt: »Schwanensee«. Die Ursprünge dieses Werkes, das mittlerweile zu einem Synonym für klassisches Ballett geworden ist, liegen Ende des 19. Jahrhunderts, um genauer zu sein im Jahr 1877. Damals komponierte Peter I. Tschaikowsky sein erstes abendfüllendes Ballett mit der eingängigen Musik, die internationalen Weltruhm erlangte. Einen weiteren Grundstein für die weltweite Bekanntheit legte die im Jahre 1895 von Lew Iwanov und Marius Petipa kreierte Choreografie, die in ihrer Form von vielen großen Choreografen des 20. Jahrhunderts interpretiert wurde, unter anderem George Balanchine, Rudolf Nurejew oder John Cranko.

    John Neumeier beschäftigte sich in seiner dritten Spielzeit am Hamburg Ballett mit dem Stück, das die Geschichte des jungen Prinzen Siegfried und seine tragische Liebe zur verzauberten Schwanenprinzessin Odette erzählt. Er erschuf eine träumerische Neuinterpretation des Werks, die vor 45 Jahren, am 2. Mai 1976 unter dem Titel »Illusionen – wie Schwanensee« zur Uraufführung kam.

    Ein choreografischer Anspruch John Neumeiers lag darin, den Kern der Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow zu erhalten und gleichzeitig zeitgemäße Themen in dem Ballett zu verhandeln: »Eine ›Schwanensee‹-Konzeption für unsere Compagnie kann sich nicht auf die naive Nacherzählung eines Märchens mit den uns fremden Mitteln des 19. Jahrhunderts beschränken. Sie findet ihren Sinn nur, wenn sie das überzeitliche Thema der unverwirklichbaren Liebe und seine Interpretation, die es durch das 19. Jahrhundert erfahren hat, mit heutigen Mitteln darstellt.«

    Das Ende von John Neumeiers »Illusionen – wie Schwanensee« weicht von der Erzählung der traditionellen Version ab; der König folgt dem symbolischen »Mann im Schatten« und findet seinen Tod in den Fluten des Sees. © Kiran West


    John Neumeiers Ansatz liegt deshalb in einer Fokussierung auf eine geschichtlich reale Person: Er inszeniert die Rolle des Prinzen Siegfrieds nach historischem Beispiel an König Ludwig II von Bayern angelehnt. Dieser König, dessen Beiname Märchenkönig von den zahlreichen Bauprojekten namhafter deutscher Schlösser (zum Beispiel Neuschwanstein) herrührt, wurde seinerzeit aufgrund einer angeblichen Manie für wahnsinnig erklärt und entmündigt. Im Zentrum von John Neumeiers Fassung steht also die Figur eines Königs, der sich in träumerischen Illusionen verliert, zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit transzendiert. Auch das opulente Bühnenbild von Jürgen Rose referiert auf die innere Zerrissenheit des tragischen Herrschers und ist inspiriert von dessen Schlössern.

    Jürgen Rose während der Besichtigung der Schlösser Ludwig II in Bayern im August 1975 © Jean-Marie Bottequin
    Prinzessin Natalia (Hélène Bouchet) besucht den eingesperrten König (Edvin Revazov) in seinem Gefängnis. Die Kulisse von Jürgen Rose ist inspiriert von den unfertigen Räumen im Schloss Herrenchiemsee © Kiran West

    Die Rolle dieses Königs wurde in den vergangenen 45 Jahren von vielen Tänzern interpretiert. Die Erstbesetzung der Uraufführung war der deutsche Tänzer Max Midinet, der im Schaffensprozess an der Kreation der Figur beteiligt war.

    Aber auch andere Stars des Hamburg Ballett wie Janusz Mazoń, Jean Laban, Vladimir Derevianko und Lloyd Riggins verkörperten die Rolle des tragischen, vom metaphorischen »Mann im Schatten« verfolgten Königs.

    »Illusionen – wie Schwanensee« erfreut sich bis heute großer Beliebtheit, wird von Zuschauern wie Presse immer wieder als originelle Neukonzeption des Weltklassikers beschrieben. Neben Gastspielen in Japan, München und Paris gehört das Ballett außerdem zum festen Repertoire des Bayerischen Staatsballetts und des Semperoper Ballett in Dresden. In Hamburg tanzten die Schwäne und der König zuletzt im Jahr 2018. Bei der Wiederaufnahme verkörperte der Erste Solist Edvin Revazov die Rolle des Königs.

    Anna Laudere als Odette und Edvin Revazov als König © Kiran West

    Friederike Adolph