Autor: Nathalia Schmidt

  • 40 Jahre »Die Kameliendame«

    40 Jahre »Die Kameliendame«

    Am 16. Oktober 2018 war der Intendant und Chefchoreograf des Hamburg Ballett John Neumeier gemeinsam mit Kommunikationschef Dr. Jörn Rieckhoff erstmals zu Gast in der Elbphilharmonie. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Balletts sprachen sie gemeinsam mit Moderatorin Nina Amon über die Entstehung und Hintergründe des Ballettfilms »Die Kameliendame«. Über diese erste Kooperation freute sich auch der Generalintendant der Elbphilharmonie Christoph Lieben-Seutter, der es sich nicht nehmen ließ John Neumeier, Jörn Rieckhoff und alle Zuschauenden persönlich zu begrüßen und in der Elbphilharmonie willkommen zu heißen.

    1978 wurde John Neumeiers Erfolgsballett mit Marcia Haydée in der Titelrolle in Stuttgart uraufgeführt. Vor 40 Jahren begann damit die Geschichte eines Balletts, das bis heute von Compagnien auf der ganzen Welt einstudiert und aufgeführt wird. Mit Frédéric Chopins Musik schuf John Neumeier eine Bühnenadaption von Alexandre Dumas d.J. Roman, die das Publikum seit beinahe einem halben Jahrhundert begeistert.

    John Neumeier selbst erzählte am Dienstag im Kaistudio 1 der Elbphilharmonie: »Die Kameliendame ist von mir als Ballett konzipiert, aber schon immer als Film gedacht worden.« Acht Jahre nach der Uraufführung setzte er diesen Plan in die Tat um und zeigte die Weltpremiere seines Ballettfilms »Die Kameliendame« im September 1987 beim Hamburger Filmfest. Obwohl die Technik streikte und die Vorführung alles andere als geplant ablief, waren die Zuschauenden begeistert. Im Filmgespräch mit Jörn Rieckhoff, moderiert von Nina Amon, verrät John Neumeier den anwesenden Zuschauerinnen und Zuschauern: »Alles, was Sie heute Abend hören, hat bisher keiner gehört.«

    Nina Amon, Dr. Jörn Rieckhoff und John Neumeier im Kaistudio 1 © Kiran West

    In der Vorbereitung der Kreation des Balletts erwies sich die Musikauswahl als schwieriges Thema. Schnell stellte John Neumeier fest, dass ihm die Übernahme von Verdis Musik zu »La Traviata« nicht genug wäre. »Wenn ich diese Musik zu einem reinen Orchesterstück mache und damit die Stimme, die Sprache wegfällt, dann ist das nicht mehr vollkommen, dann fehlt ein Großteil der Wirkung«. John Neumeier stand damals unter großem Zeitdruck, denn die Uraufführung sollte bereits Monate später stattfinden. Schlussendlich entschied er sich für Frédéric Chopin. »Seine Musik war zur Zeit der Kameliendame salonfähig. Zu ihr konnte man sich unterhalten und essen«. Gleichzeitig liege darin eine Tiefe, die vielleicht aus Chopins Wissen über seine unheilbare Krankheit rührt. Diese Verschmelzung von Leichtigkeit und Melancholie und die damit verbundene Vielschichtigkeit mache diese Musik zum Spiegel der Figur der Marguerite.

    Zu seinem Film sagt er: »Es handelt sich dabei nicht nur um eine Aufnahme des Balletts auf der Bühne, sondern wurde wie ein Spielfilm gedreht.« So sei auch das Filmset extra für die Verfilmung gebaut worden und keine Bühnenkulissen übernommen worden. Schon die Bühnenfassung zeichnete sich durch gleichsam »filmische« Wechsel der Zeitebenen aus. Bei der Konzeption der Filmfassung war es John Neumeier wichtig, diese Eigenart mit filmtypischen Mitteln wie Rück- oder Überblenden weiterzuführen.

    Sein Ballett entwickelte John Neumeier über die Jahre immer weiter, veränderte von sich aus und in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Tänzerinnen und Tänzern einzelne Elemente oder interpretierte die Figuren für sich weiter. Jede Einstudierung wird damit schon alleine durch die verschiedenen Darstellerinnen und Darsteller zu einem neuen Erlebnis, auch für den Choreografen. Am Ende verrät er: »Wenn ich den Film jetzt wieder sehe, möchte ich eigentlich auch darin Dinge anders machen.« Dass das nicht mehr geht, macht vielleicht gerade den Reiz des Ballettfilms als solchen aus. Das muss auch John Neumeier mit einem Schmunzeln akzeptieren.

    »Die Kameliendame« von John Neumeier auf der Bühne mit Alina Cojocaru und Alexandr Trusch © Kiran West

    Das Filmgespräch zu »Die Kameliendame« präsentierte sich den Zuschauenden als interessante Perspektiverweiterung der bevorstehenden Aufführung von Verdis »La Traviata« unter Teodor Currentzis, die am kommenden Wochenende in der Elbphilharmonie stattfindet. Nichtsdestotrotz macht der Abend mit eindrucksvollen Filmausschnitten und all den Hintergrundinformationen definitiv Lust, sich den Film (erneut) anzusehen. Ein schöner Auftakt auch mit Aussicht auf den Spielplan des Hamburg Ballett im November: John Neumeiers Bühnenfassung »Die Kameliendame« ist mit einer Vorstellungsreihe von fünf Terminen im Repertoire. Die Compagnie des Hamburg Ballett tanzt in unterschiedlichen Besetzungen mit der Ersten Solistin Anna Laudere oder Gastsolistin Alina Cojocaru in der Titelrolle das Ballett mit 40-jähriger Erfolgsgeschichte!

    Lisa Zillessen

  • Vladimir Kocić zu »Anna Karenina« auf Reisen

    Vladimir Kocić zu »Anna Karenina« auf Reisen

    Das erste Gastspiel des Balletts »Anna Karenina« hat die bühnentechnischen Mitarbeiter vor einige Herausforderungen gestellt. Im Kurzinterview erzählt der technische Produktionsleiter des Hamburg Ballett, Vladimir Kocić, wie man ein Ballett auf eine andere Bühne bringt und warum Klebeband dabei eine wichtige Rolle spielt.

    Vladimir, Freitagbend wurde »Anna Karenina« zum ersten Mal in Baden-Baden aufgeführt. Wie geht die technische Abteilung an das erste Gastspiel eines Balletts heran?

    Vladimir Kocić: Man überlegt natürlich bereits bevor das Gastspiel anbricht, was die neue Bühnensituation für das Stück bedeutet. In Baden-Baden sind wir bereits seit 20 Jahren zu Gast – wir kennen die Bühne dementsprechend gut und wissen, was auf uns zukommt. Für mich beginnt die eigentliche Arbeit aber erst, wenn man vor Ort ist und seine Ideen in die Tat umsetzt. Was hier anders ist als in Hamburg: Die Bühne des Festspielhauses hat ein etwas breiteres Portal und nur eine Seite, die für die ›Verwandlung‹, also für den Wechsel von Bühnenbild und größeren Requisiten, genutzt werden kann. Die andere Seite ist so schmal, dass dort nur die Tänzer auf- und abgehen können. Alle Abläufe wie z.B. der Wechsel des Bühnenbilds, müssen an diese andere Bühnensituation angepasst werden.

    »Anna Karenina« verlangt nach absoluter Präzision und Disziplin. Es gibt so viele Verwandlungen des Bühnenbilds, die nahtlos funktionieren müssen. Doch, wenn man gut plant, probt und mit so tollen, engagierten Leuten, wie wir sie haben, zusammenarbeitet, lässt sich alles umsetzen. Wir überlegen ja im Vorhinein nicht, welches Stück sich in Baden-Baden gut aufbauen und zeigen lassen könnte, und fällen so die Entscheidung. Im Vordergrund steht immer die künstlerische Wahl: Welches Stück möchte das Hamburg Ballett mit nach Baden-Baden bringen? Und wir, die technischen Mitarbeiter, finden dann zusammen mit Herrn Neumeier Wege, dies möglich zu machen. Alles ist eine Frage der Vorbereitung und des Timings. Schwierig ist relativ – man muss flexibel sein.

    Ein Ballettschüler als ›House-Mover‹ und Emilie Mazoń © Kiran West

    In »Anna Karenina« bewegt sich auch das Bühnenbild auf der Bühne: Es gibt mobile Wände, die nach einer eigenen Choreografie von Schülern der Abschlussklassen unserer Ballettschule gedreht und verschoben werden. Was ist notwendig, damit diese Abläufe auf einer neuen Bühne reibungslos funktionieren?

    Klebeband! Wir helfen unseren sogenannten ›House-Movern‹ mit unterschiedlichen farblichen Markierungen am Boden. Die Markierungen zeigen den korrekten Stand der Wände in verschiedenen Szenen an – natürlich haben unsere Ballettschüler nach einigen Vorstelllungen schon ein Gespür für die richtigen Drehungen und korrekten Platzierungen bekommen. Die Markierungen sind eine zusätzliche Hilfestellung, falls im Eifer des Gefechts Verwirrung aufkommt. Dieses Mal sind außerdem einige Ballettschüler dabei, die zum ersten Mal als ›Mover‹ im Einsatz sind. Sie müssen erst einmal ein Gespür für die Beweglichkeit des Bühnenbildes bekommen; das üben wir in den Proben. Außerdem werden sie in Hamburg bereits unglaublich gut von ihrer Lehrerin Ann Drower darauf vorbereitet: Sie erklärt ihnen die Raumwege und benutzt Hilfsmittel wie Stangen oder Tische, um die Drehungen zu erläutern.

    Alte und neue Markierungen für »Anna Karenina« © Pressestelle

    Wie haben sich die Markierungen für die Vorstellungen in Baden-Baden verändert?

    Zuerst orientiert man sich an den ursprünglichen Markierungen aus den Hamburg-Vorstellungen und prüft dann, was sich aufgrund der anderen Bühnenmaße verändern muss. Die Bühnengassen, das Seitenlicht, die Wände etc. geben uns Orientierung. Für jedes Requisit, das platziert wird, gibt es auch eine Markierung am Boden: Ob es die Stühle sind, die Treppe im Haus von Anna Karenina, der lange Tisch im zweiten Akt… da kommt einiges zusammen. Allein für die Platzierungen der beweglichen Wände gibt es ca. 28 unterschiedliche Markierungen! Das ist schon ein eigenständiges Zeichensystem. Und um das auf die neue Bühne zu übertragen, haben wir sechs Stunden lang geklebt. Dann beginnen die Proben, in denen sich wiederum viel verändern kann. Herr Neumeier arbeitet in Baden-Baden oft an seinen Stücken, auch damit sie auf der etwas größeren Bühne richtig zur Geltung kommen. Wir sind jederzeit auf Änderungen eingestellt: Notieren, übertragen, weitermachen. Bis am Ende alles stimmig ist.

    Die Bühne mit Markierungen von oben © Kiran West

    Frieda Fielers

  • Ein Zug für Anna Karenina

    Ein Zug für Anna Karenina

    In Baden-Baden findet an diesem Wochenende das erste Gastspiel von John Neumeiers Ballett »Anna Karenina« statt. Mit aus Hamburg angereist ist dafür neben Bühnenbild, Kostümen und Schwingboden auch ein ganz besonderes Requisit: Der Modellzug, der während des Stücks am vorderen Bühnenrand entlangfährt. Nach der ersten Bühnenprobe erklärt Requisiteur Peter Schütte, woher die Eisenbahn kommt und wie sie auf der Bühne zum Fahren gebracht wird.

    Herr Schütte, was für ein Zug ist bei »Anna Karenina« im Einsatz?

    Peter Schütte: Die Eisenbahn aus »Anna Karenina« ist eine sogenannte ›Gartenbahn‹, die größte elektrische Modelleisenbahn. Unser Zug setzt sich allerdings aus unterschiedlichen Zugteilen mehrerer Hersteller zusammen. Wir haben uns das Angebot angeschaut, getestet und dann verschiedene Modelle für unseren Zug kombiniert: Schienen, Lok, Waggons – jeweils nur das Beste vom Besten sozusagen. Denn das ganze System soll natürlich so zuverlässig wie möglich fahren, sich nicht entkuppeln, nicht zwischendrin stehen bleiben oder entgleisen. Dafür müssen wir die Gleise jedes Mal besonders sorgfältig verlegen. Man kann schon sagen, dass der Zug eines der anspruchsvolleren Requisiten ist.

    Requisiteure Jürgen Tessmann und Peter Schütte bei der Einrichtung © Kiran West

    Wie viel Meter legt der Zug von einer Bühnenseite zur anderen zurück?

    Hier in Baden-Baden sind es schätzungsweise 25 bis 26 Meter. Die Schienen führen über die gesamte Portalbreite und ein paar Meter hinter die Kulissen. Weil das Bühnenportal in Baden-Baden etwas breiter ist als in Hamburg, ist die Strecke auch entsprechend länger. Auf jeder Bühnenseite sitzt während der Vorstellung ein Kollege der Requisite; man verständigt sich über Funk darüber, wann der Zug losfahren und wie schnell er fahren soll. Die Steuerung erfolgt über einen Trafo.

    Am Ende des Balletts verunglückt der Zug – wie wird dieser Effekt erzeugt?

    In der Mitte der Bühne gibt es eine Weiche. Die ist während der gesamten Zeit für eine gerade Fahrt eingestellt. Vor dem ›Unfall‹ stellen wir die Weiche auf Kurvenfahrt um. So fährt der Zug, wenn er die Weiche erreicht, nicht mehr auf die andere Bühnenseite zu, sondern macht eine kleine Drehung in Richtung der Szenerie. Dort fährt er auf einen kurzen verbogenen Gleisstumpf auf, der extra so präpariert ist, dass der Zug entgleist. Dazu kommt noch ein pyrotechnischer Effekt mit einem Knall, Funken und Rauch, den wir per Fernsteuerung auslösen.

    Der entgleiste Zug am Ende der Vorstellung © Kiran West

    Fährt während der Vorstellung eigentlich immer der gleiche Zug?

    Am Anfang hatten wir tatsächlich nur einen Zug im Einsatz, der nach jeder Fahrt von Hand auf den Schienen umgedreht werden musste, damit er wieder in die entgegengesetzte Richtung fahren konnte. Nun arbeiten wir mit drei Zügen parallel, was die Arbeit leichter macht. Die drei Züge sind übrigens alle schon im ersten Teil zu sehen. Sie werden aber weiterhin analog von uns gesteuert, digital programmiert ist dabei nichts – komplette Handarbeit also.

    Frieda Fielers

  • Tanzen ist spitze!

    Tanzen ist spitze!

    Wenn das Hamburg Ballett in Baden-Baden gastiert, steht jedes Mal auch ein besonderer Workshop für Kinder auf dem Programm. Unter dem Motto »Tanzen ist spitze« lädt die Kinder-Musik-Welt Toccarion im Festspielhaus junge Zuschauer dazu ein, gemeinsam mit Profitänzern die Welt des Balletts kennenzulernen.

    Tendu, Plié, Relevé: Spätestens nach dem eineinhalbstündigen Workshop sind diese Ausdrücke keine Fremdwörter mehr für die jungen Teilnehmerinnen, die sich am Dienstagnachmittag im Toccarion für den Ballett-Workshop versammelt haben. Die Tänzer Alexandr Trusch und Konstantin Tselikov führen zehn Mädchen im Alter von sieben bis zwölf Jahren spielerisch an typische Übungen des täglichen Balletttrainings und bekannte Bewegungen heran, erläutern Besonderheiten der Haltungen und erklären, was die französischen Begriffe bedeuten.

    Manche der Kinder nehmen bereits Ballettunterricht und erscheinen im Trikot, mit Schläppchen und Dutt. Andere haben keine Tanzerfahrung. Doch für alle heißt es am Anfang: Aufwärmen! Füße strecken und flexen, Beine und Arme heben, dehnen. Zwischendurch lockern Alexandr und Konstantin die Aufwärmphase mit rhythmischen Klatschübungen – und mit Witzeleien – auf. Weil die Profis zwar das Ballett und die Übungen, sich selbst aber nicht immer allzu ernst nehmen, ist das Eis schnell gebrochen. Die Kinder machen begeistert mit.

    Auf die Streckung kommt es an © Kiran West

    Dann geht es um die Balance: Im Sitzen werden die Beine wie ein »V« in die Luft gestreckt. »Haltet die Position – und jetzt schließt die Augen«, gibt Konstantin vor. Mit geschlossenen Augen den Kopf in dieser Haltung nach rechts und links zu drehen, ohne umzufallen, ist gar nicht so einfach, merken die Mädchen. Auch am Spagat dürfen sich alle einmal versuchen.

    Nach unterschiedlichen Übungen am Boden geht es dann an die Ballettstangen. Alexandr und Konstantin machen die Bewegungen vor, die aufmerksamen Kinderaugen verfolgen jeden Schritt: Wie stehen die Füße in der fünften Position, wohin zeigen die Knie im Plié? Gar nicht so einfach. Die beiden Tänzer korrigieren und geben Hilfestellungen, wenn es mal hakt – und wenn die Profis loben, steigt die Motivation der Nachwuchstänzer sofort.

    Die Nachwuchs-Ballerinen sind voll konzentriert © Kiran West

    Im Anschluss können sich die Kinder bei Übungen in der Mitte mit Sprüngen und sogar der Einstudierung einer kleinen Choreografie austoben. Dann neigt sich der Workshop schon dem Ende zu, die Zeit ist wie im Flug vergangen. Am Ende zeigen die beiden Tänzer noch eine kleine Szene aus dem Ballett »Bernstein Dances«. Sie werden mit viel Applaus und sogar Autogrammwünschen belohnt! Nach einem gemeinsamen Abschlussfoto geht es für Alexandr und Konstantin dann wieder in den Ballettsaal – denn auch als Profi lernt man nie aus.

    Wie ein Profi! © Kiran West

    Frieda Fielers

  • Sebastian Knauer zu Leonard Bernstein

    Sebastian Knauer zu Leonard Bernstein

    Auf Gastspiel in Baden-Baden: An diesem Wochenende tanzt das Hamburg Ballett John Neumeiers Ballettrevue »Bernstein Dances« im Festspielhaus. Den solistischen Klavierpart übernimmt der Pianist Sebastian Knauer, der schon bei der Uraufführung des Balletts mit dabei war und nun auch in der aktuellen Wiederaufnahme zu erleben ist. Für die Blogreihe hat er meine persönlichen drei Fragen beantwortet.

    Herr Knauer, am 14. Juni 1998 feierte John Neumeiers Ballettrevue »Bernstein Dances« ihre Uraufführung in der Hamburgischen Staatsoper. Sie selbst haben den Klavierpart übernommen. Wie haben Sie die Uraufführung erlebt und wie kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit mit John Neumeier?

    Sebastian Knauer: Ich habe das Vergnügen gehabt, mit John Neumeier und der Compagnie noch vor dem Projekt »Bernstein Dances« zusammenzuarbeiten. Unser erstes gemeinsames Projekt war das Ballett »Kinderszenen« zu Musik von Robert Schumann. Zwischendurch habe ich auch einmal mit Kevin Haigen zusammengearbeitet, der ein Ballett zu Musik von Mendelssohn kreiert hat. Und dann kam in den 90er-Jahren die Anfrage, ob ich nicht Lust auf das Projekt »Bernstein Dances« hätte. Es war ein tolles Erlebnis! Es ist immer auch etwas ganz Besonderes, selbst mit auf der Bühne und Teil des Geschehens zu sein. Bei einem Ballett sitzt man als Pianist ja meistens im Graben. Da aber das Klavier in John Neumeiers Balletten immer wieder eine zentrale Rolle spielt, hatte ich die Ehre und das Vergnügen auf der Bühne tätig zu sein. Ich habe die Zusammenarbeit mit John Neumeier und dem gesamten Ensemble in bester Erinnerung. Genauso schön ist es jetzt nach 20 Jahren bei der Wiederaufnahme von »Bernstein Dances« wieder mit dabei sein zu dürfen.

    Dazwischen gab es aber immer mal wieder Aufführungen, in Hamburg, in New York, und sogar auch hier in Baden-Baden! Es ist schön zu sehen, dass diejenigen, die damals bei der Uraufführung Solotänzer in der Compagnie waren, jetzt hinter den Kulissen für das Hamburg Ballett arbeiten, als Ballettmeister zum Beispiel oder als Assistenz der Direktion. Jetzt sind es nur noch zwei, die auch bei der Wiederaufnahme des Balletts auf der Bühne stehen: Hélène Bouchet, die die weibliche Hauptrolle tanzt, und ich. Pianisten haben ja eine andere Halbwertszeit als Tänzer. Auch nach 20 Jahren war es für mich ein großes Vergnügen mit den Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne zu stehen. Ich bin sehr froh, dass die »Bernstein Dances« wieder gezeigt werden und habe es insgeheim gehofft – schließlich ist 2018 das Bernstein-Jahr und ich habe viele Konzerte mit Musik von Bernstein gespielt. Die Termine für die Vorstellungen der »Bernstein Dances« in Hamburg und Baden-Baden passten alle wie durch ein Wunder in meinen Kalender. Ich bin sehr glücklich darüber!

    Sebastian Knauer und Ensemble © Kiran West

    Leonard Bernstein wäre diesen August 100 Jahre alt geworden. Sie selbst haben mit mehreren Konzerten an den berühmten Künstler erinnert. Was ist es denn aus Ihrer Sicht, das Bernsteins Musik so besonders macht?

    Die Gesamterscheinung Leonard Bernsteins ist besonders. Er war zum einen ein phänomenaler Dirigent und Musiker. Nebenbei war er – ich als Pianist kann das gut beurteilen – ein sensationeller Klavierspieler. Er spielte das Klavierkonzert von Maurice Ravel ebenso wie Klavierwerke von Wolfgang Amadeus Mozart oder die »Rhapsody in Blue« von George Gershwin. Er konnte alles, und das mit einer unglaublichen Leichtigkeit, Professionalität, Ernsthaftigkeit und Genauigkeit. Zum anderen war er ein begnadeter Komponist. Da gibt es die berühmte »West Side Story« mit Melodien, die jedem bekannt sind.

    Da gibt es aber auch die Werke, die eher unbekannt sind. Zum Beispiel sein Klavierwerk: Leonard Bernstein hat 29 »Anniversaries« geschrieben. Fünf davon sind im Ballett »Bernstein Dances« zu hören. In dieser Saison habe ich die »Anniversaries« ein paar Mal komplett aufgeführt, zum einen allein, zum anderen gemeinsam mit Jamie Bernstein, der Tochter von Leonard Bernstein. Ich habe die Stücke gespielt und sie hat über das Leben ihres Vaters erzählt. Die »Anniversaries« tragen alle eine Widmung; es sind kleine musikalische Portraits, die Leonard Bernstein zum Geburtstag enger Freunde komponiert hat. Jamie Bernstein hat dem Publikum erklärt, wer diese Personen waren und hat dabei auch private Fotos gezeigt. Die »Anniversaries« klingen nicht wie die »West Side Story«, sie sind in sich gekehrter und viel persönlicher. Aber gerade das macht die Musik von Leonard Bernstein aus, diese Vielseitigkeit! Er schrieb Werke für den Broadway und das Musical, aber auch symphonische und instrumentale Musik. Die früheren Werke klingen teilweise sehr experimentell. Die Violinsonate zum Beispiel ist viel dissonanter im Klang, ganz anders als die »Anniversaries«. Ich habe auch einmal die zweite Sinfonie »The Age of Anxiety« gespielt, was übrigens auch Ballettmusik ist – ein extrem schweres Stück, aber es macht sehr viel Spaß! Ja, Leonard Bernstein war ein herausragender Dirigent, Komponist und Pianist …

    Wann wurde Ihnen klar, dass die Musik zu Ihrem Beruf wird?

    Angeblich habe ich bereits mit vier Jahren gesagt, dass ich Pianist werden will. Das war mein erster Aufruf an die Eltern und an meine Familie. Ich weiß nicht genau warum, aber ich soll als Säugling immer geschrien haben, wenn ich Musik hörte. Eigentlich gab es ja nur zwei Lösungen auf die Frage »Warum?«. Entweder ich hasste Musik oder ich liebte sie. Auf jeden Fall hatte mich Musik schon sehr früh angesprochen. Mittlerweile sitze ich schon über vier Jahrzehnte am Klavier. Ich habe das Glück, mein Hobby zum Beruf gemacht zu haben. Es ist ein harter Job, nicht immer nur Vergnügen. Zudem gibt es eine große Konkurrenz – man muss sich immer wieder unglaublich reinhängen, sich immer wieder neu erfinden und neue Ideen haben. Aber gerade das macht diesen Beruf so spannend: Jeden Tag warten neue Herausforderungen, die ich nicht missen möchte.

    Nathalia Schmidt

  • BallettTester »Bernstein Dances«

    BallettTester »Bernstein Dances«

    Vor der Wiederaufnahme von John Neumeiers Ballett »Bernstein Dances« durften drei junge BallettTester das Stück bereits vor allen anderen bei der Hauptprobe erleben. Wir freuen uns sehr, dass Jonna Lorenz, Yannick Klix und Janine Altmiks ihre Eindrücke und Erlebnisse mit uns teilen:

    Als ich gesehen hatte, das man als BallettTester eine Hauptprobe des Hamburg Ballett in der Staatsoper sehen kann, wollte ich unbedingt mitmachen. Ich habe selber schon seit fünf Jahren Ballettunterricht in Kiel, und es fasziniert mich immer wieder aufs Neue, die Ballettprofis auf der Bühne zu erleben. Nun durfte ich also das erste Mal in der Hamburgischen Staatsoper ein Ballett sehen: »Bernstein Dances«, eine Ballettrevue mit der Musik von Leonard Bernstein.

    Mir haben die Musik und natürlich auch die Choreografie sehr gut gefallen. Die Tänzer haben jede Emotion toll dargestellt, sodass man genau sehen konnte, was sie gerade fühlen. Die Musik und die Tänze waren sehr abwechslungsreich: von lustig und fröhlich bis spannend und dramatisch war alles dabei. Das in dem Stück auch Sänger mitwirkten, hat mich sehr überrascht. Die Sopranistin Dorothea Baumann und der Bariton Oedo Kuipers haben fantastisch gesungen. Die Kostüme waren relativ einfach und schlicht gehalten, dies passte jedoch sehr gut zu dem Stück. Dieser Abend war ein besonderes Erlebnis für mich.

    Jonna Lorenz, 12 Jahre

    Bernstein Dances © Kiran West

    Zum einhundertsten Geburtstag des wohl einzigartigen Dirigenten, Komponisten und Musikvermittlers Leonard Bernsteins nimmt das Hamburg Ballett seine »Bernstein Dances« wieder ins Programm. Bevor jedoch der erst 23-jährige Christopher Evans in der Rolle Bernsteins sein Debüt als jüngst beförderter Erster Solist geben kann, wird zwei Tage vor der großen Saisoneröffnung ein letztes Mal geprobt. Neben John Neumeier, der künstlerischen Leitung und uns drei BallettTestern haben noch einige Fotografen und ein paar Mitarbeiter Platz genommen, ansonsten ist der Saal der Staatsoper so gut wie leer.

    Neben dem Leben Bernsteins steht der Abend im Zeichen von Liebe und Erotik: Als niemand Geringeres als »Eros« persönlich greift Alexandr Trusch immer wieder in das Geschehen und Leben Bernsteins ein.

    Das Ballett beginnt mit der Ouvertüre zu »Candide«. Angekommen in New York kann Evans dem Vorwurf der Verschwendung von Zeit und Geld nur die eigene Überzeugung entgegenhalten, Talent zu besitzen. In der Metropole fällt es ihm zunächst schwer, Fuß zu fassen. Doch er soll recht behalten: Die Liebe und mit ihr die Musik sind es schließlich, die ihn ankommen lassen, wenngleich der Kontrast von einsamen Nächten am Klavier und der lauten Welt des Broadways bleibt.

    Bevor es schließlich zu Bernsteins berühmtesten Werk, der »West Side Story«, kommen kann und Tony seine Maria findet, sitzt Evans als Bernstein wieder einmal nachts alleine am Klavier und probiert vergebens, die richtigen Melodien zu finden. Erst mit Zigarette im Mund will es ihm gelingen. Es sind diese Bilder – Notenpapier, Zigaretten und Klavier – die das Ballett als Hommage an Bernstein prägen. So erstrahlen bereits zu Beginn des Balletts große Portraits, die den Musiker voller Freude und Energie beim Dirigieren zeigen. Von den beeindruckenden New-York-Fotografien des Bühnenbildes ganz zu schweigen.

    Bernstein Dances © Kiran West

    Die zweite Hälfte des Abends steht musikalisch ganz im Zeichen von der »Serenade nach Platons ›Symposium‹«, jenem Gastmahl, das die griechischen Philosophen zur Diskussion über den Eros bewegte, die ihren Höhepunkt in den jazzartigen Unterbrechungen des Alkibiades findet. Das Bühnenbild fällt wieder schlicht aus: In der rechten Ecke steht lediglich eine lange ungedeckte Tafel. Es ist aber gerade diese ästhetische Schlichtheit und vor allem die der von Giorgio Armani gestalteten Kostüme, die den Fokus auf Tänzer und Musik lenkt.

    Die zweite Hälfte gestaltet sich als Wechsel zwischen zwei Schauplätzen: Im hinteren Teil der Bühne findet eine kleine Party in einer New Yorker Wohnung statt, deren Türen sich immer dann öffnen, wenn Sebastian Knauer am Klavier das Themenmaterial der »Serenade« in den »Five Anniversaries«, jenen Geburtstagsständchen, die Bernstein für einige Freunde schrieb, vorstellt. Im vorderen Teil findet die Auseinandersetzung der Tänzer mit dem Eros statt, immer dann, wenn das Orchester die »Serenade« spielt.

    Den Tänzern gelingt es, den Spirit Bernsteins aufzugreifen, echte Emotionen zu transportieren und den Zuschauer zu berühren. Unterstützt werden sie dabei von dem starken Sängerduo aus Dorothea Baumann und Oedo Kuipers, das auf clevere Art und Weise Teil der Choreografie ist, und natürlich vom Staatsorchester unter der Leitung Garrett Keasts. Zu schade, dass man bei der Generalprobe nicht applaudieren kann.

    Wen die Musik und der Spirit Bernsteins begeistert, sollte sich das Ballett auf keinen Fall entgehen lassen. Weitere Vorstellungen (mit teilweise geänderter Besetzung) gibt es noch diese Woche, ermäßigte Restkarten sind nach Verfügbarkeit an der Abendkasse für alle Berechtigten unter 30 Jahren erhältlich.

    Yannick Klix, 21 Jahre

    Bernstein Dances © Kiran West

    Am 7. September besuchte ich als eine von drei BallettTestern die Hauptprobe von »Bernstein Dances«. Ich hatte zuvor noch keine Ballettvorstellung gesehen und wusste nicht, was mich erwarten würde. Normalerweise bin ich im Genre Musical zu Hause, war aber gespannt darauf, etwas Neues zu erleben.

    Im Gepäck ein Programmheft und eine Besetzungsliste, damit ging es in den Saal. Inmitten von Fotografen nahm ich Platz und hatte einen tollen Blick auf die Bühne. Ein bisschen aufgeregt war ich schon, das hat man nicht alle Tage.

    Licht aus, Vorhang auf! Einsetzen des Orchesters, minimalistisches Bühnenbild (Drei Fotos von Bernstein und ein Flügel auf der Bühne). »Impulsanter Start« waren die ersten beide Worte in meinem Notizbuch. Die Zeit verging wie im Flug, so sehr war ich darauf konzentriert, zu folgen. Nach 2 1/2 Stunden inklusive Pause hatte ich viele Eindrücke gesammelt. Ich gebe zu, beim Ballett hatte ich aufwendige Kostüme und Frisuren erwartet, ein bisschen wie beim Nussknacker (obwohl die Stücke überhaupt nicht vergleichbar sind). Doch ich wurde überrascht.

    Die TänzerInnen waren schlicht gekleidet, was für mich für das moderne Zeitlose steht. Mir gefiel die ausgewählte Musik sehr gut, teilweise gesungen von Dorothea Baumann und Oedo Kuipers (tolle Stimmen). Das Zusammenspiel mit Tanz und Schauspiel überzeugte mich dahingehend, dass ich auch ohne Dialoge verstanden habe, welche Stimmungen und Emotionen »erzählt« wurden. Biografische Aspekte, ohne dass der komplette Lebenslauf wiedergegeben wurde. Durch die abwechselnden Stimmungen wurden die facettenreichen Seiten des Künstlers dargestellt. Mir gefiel diese Art der Umsetzung sehr gut. Alles in Allem finde ich, dass die Revue gelungen ist.

    Janine Altmiks, 29 Jahre

  • Eindrücke von der Theaternacht

    Eindrücke von der Theaternacht

    Wenn Menschen in der Caspar-Voght-Straße in Hamburg-Hamm Schlange stehen, kann das nur eins bedeuten: Es ist Theaternacht und das Ballettzentrum öffnet seine Türen. Über 1000 neugierige Besucher schwärmen am 8. September durch den Fritz Schumacher-Bau, um sich Proben des Hamburg Ballett und Trainings der Ballettschule anzusehen. Die 18-jährige Abiturientin Franziska Vollstedt ist eine von ihnen und berichtet von ihren Eindrücken auf unserem Blog.

    »Dieser Abend wird etwas ganz Besonderes, denn heute zeigen wir Ihnen Dinge, die wir noch nicht können.«

    Ein Versprechen, das John Neumeier nach der Eröffnung der Theaternacht im Ballettzentrum Hamburg nur zum Teil halten kann. Denn eines erkennen alle Zuschauer. Sowohl das kleine, aufgeregte Mädchen im Ballettkostüm neben mir, das von einer eigenen Karriere als Ballerina träumt, als auch der Junge in der ersten Reihe, der zugeben muss, dass Jungs überraschenderweise doch tanzen können, oder die ältere Dame, die feststellt, dass sie sich in dieser Theaternacht wohl nicht mehr losreißen kann und keinen anderen Vorführungsort aufsuchen wird: Wenn das Publikum heute Nacht etwas nicht geboten bekommt, dann sind es Tänzer, die etwas nicht können.

    Einblicke in »Bernstein Dances« kurz vor der Wiederaufnahme © Kiran West

    Doch dass wir Teil haben dürfen an etwas ganz Besonderem, das wird von der ersten Sekunde an klar, in der die Tänzer nach und nach in ihren weiten Hosen und Moonboots-artigen Schuhen in den großen Ballettsaal geschlurft kommen. Wobei – schlurfen –, das würde vermutlich jeder andere von uns. Aber bei ihnen wird schon bei der kleinsten Bewegung deutlich: Das sind wahre Tänzer! Selbst dann, wenn nicht getanzt wird, haben sie eine Ausstrahlung, die den meisten der zunächst schüchtern und unglaublich jung wirkenden Tänzerinnen und Tänzern vielleicht gar nicht bewusst zu sein scheint. Wenn sie tanzen, dann ziehen sie in ihren Bann.

    Als Besucher der Theaternacht bekommen wir die einmalige Gelegenheit, ganz nah dabei zu sein und aus nur wenigen Metern Entfernung zu bestaunen, wie jede kleine Bewegung, jedes Abrollen des Fußes und jede Regung im Gesicht Bedeutung bekommt. Wir dürfen Zeugen werden bei etwas, was die wenigsten im Leben schaffen: Jeder Sekunde die Wichtigkeit zuzumessen, die sie verdient. 

    Es ist beeindruckend, mit welcher Ausdauer die Tänzerin Emilie Mazon bei dem »Mistake Waltz« aus »Chopin Dances« nach John Neumeiers Anweisungen unzählige Male die bereits perfekt wirkende Endpose wiederholt und minimal verändert – soeben konnten wir Zeugen werden, wie aus einer schon sehr guten Bewegung absolute Perfektion geworden ist. 

    Glückliche Gesichter im Publikum © Kiran West

    Es herrscht eine hochkonzentrierte Arbeitsatmosphäre, in der jeder einzelne so vertieft dabei ist, als gäbe es in diesem Moment nichts Wichtigeres, keine Sorgen, keinen Druck und vor allem: keine Konkurrenz. Im Gegenteil, der enge Zusammenhalt der Tänzer untereinander, egal ob bei der gegenseitigen Hilfe beim Erlernen der Choreografie, einer freundschaftlichen Umarmung oder dem gemeinsamen Lachen, wenn etwas mal nicht perfekt funktioniert, ist bemerkenswert. Nie wirkt jemand genervt oder scheint dem anderen die Schuld an einer missglückten Bewegung zu geben.

    Besonders deutlich wird dies, als die Tänzerinnen in einer Probe von »Chopin Dances« von ihren Partnern scheinbar unkontrolliert wie gliederlose Puppen über die Bühne getragen werden, und man sich fragt, wie es hierbei noch nicht zu einem Zusammenstoß oder dem einen oder anderen ausgerenkten Bein hat kommen können.

    Sie können es sich leisten, das Lachen mit- und übereinander, denn wenn es wirklich darauf ankommt, dann liefern sie ab: Ob bei dem Ballett »Bernstein Dances«, in dem die Männer unglaublich hohe Sprünge mit diversen Drehungen ausführen, der mehr als komplizierten flugzeugartigen Bewegung (»You have to imagine to be an airplane, with wings out of steel!«), oder dem dargebotenen Auszug aus dem Ballett »Anna Karenina«, bei dem wir Zuschauer für eine Stunde eine ganz andere Welt betreten.

    Anna Laudere und Edvin Revazov proben »Anna Karenina« © Kiran West

    Hier entführen die beiden Ersten Solisten Anna Laudere und Edvin Revazov uns mit einer solchen Intensität in die Welt der Protagonistin und ihres Geliebten, dass man kurz vergisst, dass dies keinesfalls die Realität darstellt. In einem Moment so kurz wie ein Wimpernschlag schaffen es die beiden Tänzer, einen soeben noch romantisch spielerischen Augenblick in einen zutiefst bedrückenden, zum Zerreißen gespannten Moment zu verwandeln.

    Nur widerwillig will man wieder auftauchen aus diesem magischen Paralleluniversum. Aber wir müssen, denn wie John Neumeier immer wieder betont: »Dies ist keine Aufführung im Theater, sondern eine Arbeitsprobe«. Doch manchmal müssen selbst die anspruchsvollen Lehrer den Tatsachen ins Auge blicken und, wie die Ballettmeisterin Leslie McBeth während der »Anna Karenina«-Probe, einsehen: »I know it´s my job, but I can´t find a problem here«.

    Und zu dieser Erkenntnis fällt selbst John Neumeier nichts mehr ein, außer den Abend mit den Worten zu schließen: »Ich glaube, dass das ein ganz tolles Ende für diese besondere Nacht war«. Und hier kann ihm jeder Einzelne im Publikum nur aus vollem Herzen zustimmen!

    Erschöpft, aber glücklich am Ende einer langen Nacht: unsere Bloggerin Franziska

    Franziska Vollstedt

  • Bienen fürs Ballettzentrum

    Bienen fürs Ballettzentrum

    Es summt und brummt im Ballettzentrum. Seit einigen Tagen wohnt ein Bienenvolk auf dem Dach des Fritz Schumacher-Baus in Hamburg-Hamm. Wir haben den Hobby-Imker Björn Schumann bei der Aufstellung des ersten Bienenkastens begleitet.

    Dienstagmorgen, 8.30 Uhr. Nach zwei Vorbesuchen des Imkers und dem Aufbau des Podests auf dem Dach ist es heute endlich soweit: Die Bienen kommen! Wir treffen Björn Schumann mit seinen Bienen im Foyer des Ballettzentrums – noch ist der Kasten gut verschlossen, aber gleich sollen die Bienen ihre neue Umgebung erkunden können. Dafür geht es mit dem Aufzug in den dritten Stock, dann noch zwei Treppen nach oben und über eine Leiter durch die Luke auf das Flachdach. Hier hat der Hobby-Imker hinter einem Mauervorsprung einen geeigneten Platz gefunden: »Die Bienen mögen es am liebsten sonnig, aber windgeschützt. Da das Dach etwas abschüssig ist, habe ich zuerst ein Podest gebaut und ins Lot gebracht – denn die Bienen mögen es gerade. Wenn der Kasten nicht gerade ausgerichtet ist, bauen sie auch ihre Waben schief«, erklärt Björn Schumann. Ca. 20 000 Bienen der Gattung »Carnica« leben in dem Bienenkasten, auch Beute genannt; in den nächsten Wochen sollen noch zwei weitere Völker dazu kommen.

    Die Idee zu diesem Projekt kam von Birgit Paulsen, Assistentin der Ballettbetriebsdirektorin, die das Prinzip der privaten Bienenhaltung zum ersten Mal bei einem Sommerfest auf dem Dach des Azubi-Werks in Hamburg sah, in dem einige Schüler aus der Ballettschule des Hamburg Ballett untergebracht sind. Über das Azubi-Werk wurde der Kontakt zu Björn Schumann hergestellt, der die Bedingungen auf dem Dach des Ballettzentrums prüfte und sich gerne bereit erklärte, die Aufstellung und Pflege der Bienenkästen zu übernehmen. Der 32-Jährige ist hauptberuflich Filialleiter einer Sparkasse – doch seit vier Jahren beschäftigt er sich hobbymäßig mit der Imkerei. In seinem eigenen Garten stehen momentan acht Bienenbeuten, in denen ungefähr 100 kg Honig lagern.

    Gleich können die ersten Bienen die neue Umgebung erkunden

    Auch unsere Ballett-Bienen werden schon bald den ersten Honig produzieren. Ab einer Größe von 20.000 Bienen erwirtschaftet ein Volk mehr Honig, als es verbraucht, erklärt Björn Schumann. In diesem Jahr können wahrscheinlich schon drei bis vier Kilogramm geerntet werden. Im nächsten Jahr, wenn alle drei Völker arbeiten, wird es deutlich mehr sein. Um Pollen und Nektar zu finden, können Bienen einen bis zu 5 km großen Radius absuchen – vorausgesetzt, dass sie in der direkten Umgebung kein Futter finden. Soweit werden unsere Bienen aber nicht fliegen müssen: »Da in der Umgebung des Ballettzentrums viel blüht, werden die Bienen keine Probleme mit der Nahrungssuche haben. Als erstes werden sie wahrscheinlich die Lindenbäume gegenüber entdecken, die zu dieser Zeit noch in voller Blüte stehen«, erklärt der Imker. »Und wenn sich die Bienen erstmal auf die Linden eingeflogen haben, werden sie nicht nach anderen Quellen suchen, bis die Linden verblüht sind. Das nennt man ›blütentreu‹. Selbst wenn wir ihnen direkt neben ihren Kasten eine Pflanze stellen würden, die Nektar hat, würden sie diese ignorieren, so lange der Lindenbaum noch trägt.«

    Unser Ballett-Honig entsteht also tatsächlich aus Pflanzen in der nahen Umgebung des Ballettzentrums; der erste Honig wird sehr wahrscheinlich Lindenhonig sein. Erst im nächsten Jahr, wenn die Bienen nach der Winterpause wieder losfliegen, werden sie sich eine neue Nahrungsquelle suchen. Der hauseigene Garten des Ballettzentrums oder der nahe gelegene Hammer Park liefert den Bienen eine große Auswahl. Gerade deshalb bietet sich die Haltung von Bienen in der Stadt an, erläutert Björn Schumann: «Sie fühlen sich in der Stadt eigentlich viel wohler als auf dem Land. Dort herrscht meist Monokultur – wenn die Nahrungsquelle z.B. das Rapsfeld verblüht ist, wird es für die Bienen schwer, etwas anderes zu finden. Dazu kommt, dass die Wälder von den Förstern zu stark ›aufgeräumt‹ werden und die Bienen fast keine natürlichen Behausungen wie umgefallene Bäume finden können. In der Stadt blüht immer etwas – sei es auf Balkons, in Kleingärten oder in Parks. Und die Bienen finden außerdem ausreichend Wasser.« Denn gerade wenn es draußen warm ist, brauchen Bienen viel Wasser, um den Bienenstock zu kühlen.

    Nachdem die Bienen auf dem Podest platziert wurden, öffnet Björn Schumann das kleine Flugloch an der unteren Seite des Kastens. »Wenn ich den Kasten jetzt komplett öffnen würde, flöge wahrscheinlich die Hälfte des Volkes hinaus und würde umherschwirren, da sie noch orientierungslos sind. Das würde zu viel Chaos verbreiten. Wir lassen es seinen natürlichen Gang gehen, indem ich nur das kleine Flugloch öffne.« So können die ersten Bienen den Stock verlassen und die nähere Umgebung erkunden. Sie fliegen dabei im Kreis, fast spiralförmig auf und ab und bleiben in der Nähe des Bienenkastens. Für uns interessieren sich die Bienen nicht besonders – sie sind viel zu beschäftigt mit der Orientierung, erklärt der Imker. Diese Erkundungsflüge können bis zu zwei Tage andauern. Wenn sich die Bienen orientiert und die Lindenbäume entdeckt haben, werden sie nur noch die Strecke zwischen Bienenstock und Baum zurücklegen, ihre Flugbahnen sind fest einprogrammiert. Deswegen darf der Kasten nach dieser Phase nicht mehr umgestellt werden – die Bienen würden ihn sonst nicht mehr finden. Ein Viertel bis ein Drittel des Volkes ist dann mit dem Eintragen von Nektar beschäftigt.

    Wie konnte Björn Schumann überhaupt sichergehen, dass er das ganze Volk im Kasten für den Transport eingeschlossen hat? »Gestern Abend habe ich das Flugloch geschlossen. Wenn es dunkel wird, verlassen die Bienen den Stock nicht mehr. Deswegen kann man ziemlich sicher sein, niemanden vom Volk getrennt zu haben. Und falls doch noch die eine oder andere Biene unterwegs war, findet sie Unterschlupf in einem der anderen Stöcke in meinem Garten. Die Bienen bringen Pollen oder Nektar als Gastgeschenk mit, um die Erlaubnis zu bekommen, sich dem neuen Volk anschließen zu können. Denn die Wächterbienen erkennen am Geruch, dass es fremde Bienen sind. Bei einem guten Gastgeschenk gewähren sie aber durchaus mal einer fremden Biene den Zutritt«, erklärt er schmunzelnd.

    Der Kasten auf dem Dach des Ballettzentrums ist der zehnte Kasten, den Björn Schumann privat aufgestellt hat. Die Nachfrage steigt, seit die mediale Berichterstattung zum Insektensterben zunimmt und das Thema in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt ist. Aufwendig ist die Betreuung nicht, sagt er. Aber man muss sich zunächst viel Wissen aneignen. Mehrere Fortbildungen hat er besucht, viele Bücher gelesen und Videos geschaut: »Mindestens drei Jahre braucht man, um wirklich gut vorbereitet zu sein.«

    Im Garten des Ballettzentrums werden die Bienen viele Blüten finden

    Wie geht es nun weiter mit unseren Bienen? »Am Anfang komme ich einmal in der Woche, um nach dem Rechten zu sehen. Ich überprüfe, ob genügend Futter vorhanden ist und die Bienen ausreichend freie Rähmchen für den Wabenbau haben. Ende September werden die Bienen für den Winter vorbereitet, sie werden gegen eine spezielle Milbenart behandelt und ihre Futtervorräte werden überprüft – ca. 20 Kilo Honig brauchen sie, dann können sie ohne Betreuung bis zum Frühjahr überwintern.« Kritischer kann es im Frühjahr werden, wenn es plötzliche Kälteeinbrüche oder starken Regen gibt, sagt Björn Schumann: »Kälte oder Regen mögen die Bienen nicht. Wenn sie schon Brut angelegt haben und deswegen viel Futter verbrauchen, aber nicht ausfliegen können, muss man mit Zuckerwasser nachhelfen. Damit die Brut überlebt, muss das Innere des Bienenstocks nämlich auf fast 40°C erwärmt werden. Die Wärme erzeugen die Bienen selbst. Wenn die Außentemperaturen plötzlich fallen, brauchen die Bienen viel ›Treibstoff‹, um diesen Temperaturunterschied auszugleichen.«

    Bald werden die nächsten zwei Bienenkästen aufgestellt – nach dem Winter beherbergt das Ballettzentrum auf seinem Dach dann drei Bienenvölker, die fleißig Honig eintragen werden. Wir sind gespannt und freuen uns darauf, den ersten eigenen Balletthonig zu probieren!

    Frieda Fielers

  • Aus den Proben: »Beethoven-Projekt«

    Aus den Proben: »Beethoven-Projekt«

    Zwei Klassen der Erika Klütz Schule für Tanzpädagogik besuchten in dieser Woche Bühnenproben zur Premiere von John Neumeiers »Beethoven-Projekt«. Für unseren Blog haben Sophia, Eileen und Sarah ihre Eindrücke aufgeschrieben.

    Am 19. Juni 2018 hatte die erste Klasse der Erika Klütz Schule die Möglichkeit, bei einer Probe des »Beethoven-Projekts« zuzuschauen. Als wir unsere Plätze auf dem Balkon des 1. Ranges einnehmen, die eine gute Sicht auf das Geschehen zulassen, herrscht noch reges Treiben auf der Bühne. Die Tänzer wärmen sich auf, das Orchester spielt sich ein, Bühnentechniker überprüfen die Aufzüge und Assistenten huschen mit Klemmbrettern über die Bühne. Bei der heutigen Probe treffen Orchestermusik und Tanz das erste Mal aufeinander, weshalb es immer wieder zu Unterbrechungen kommt, bei dem das Orchester unerwartet stark im Vordergrund steht.

    Wir sehen den zweiten Teil des Balletts, der von der Musik aus »Die Geschöpfe des Prometheus« und der 3. Sinfonie »Eroica« geprägt ist. Obwohl John Neumeier angibt, keine konkreten Handlungen oder Charaktere darstellen zu wollen, können wir uns im Part des Prometheus an einige Elemente aus der Handlung von »Geschöpfe des Prometheus« erinnern. Wir erkennen zwei Geschöpfe, die etwas unkoordiniert und ein wenig verwirrt tanzen, die sich zudem von einer dritten Person beeinflussen lassen. Es scheint so, als würden sich die Geschöpfe gegenseitig Leben einhauchen. Nach kurzer Zeit treten weitere Tänzer auf, in denen wir die Rollen der Musen erkennen. Die Musen, die der Sage zufolge den Geschöpfen das Tanzen beibringen und sie in die Künste einführen.

    Beethoven-Projekt © Kiran West

    Es ist nicht schwer, sich voll und ganz auf den Tanz und die Handlung zu konzentrieren, da das Bühnenbild minimalistisch gehalten ist und auch die taghelle Lichteinstellung nicht verändert wird. Außer des in schwarz und weiß diagonal geteilten Fußbodens und einem verwaschenen Bild in Blau- und Grautönen von Wolken und Meer, gibt es lediglich einen schwarzen Rahmen, der die Bühne kleiner erscheinen lässt.

    Dieser wird für die »Eroica« allerdings durch eine schief in der Luft hängende Glasscheibe ersetzt. Die »Eroica« wird eingeleitet durch ein Männerensemble, der sehr ausdrucksstark und mit vielen akrobatischen und modernen Elementen getanzt wird. Der folgende Auftritt der Frauen bringt zusätzlichen Schwung auf die Bühne und die sichtbare Freude der Tänzer lädt zum Tanz ein, bevor sich die Stimmung zum Pas de deux drastisch verändert. Kontraste scheinen eine wichtige Rolle zu spielen. Diese zeigen sich im farblich getrennten Fußboden, der räumlichen Trennung durch eine Glaswand mitten auf der Bühne und in der Musik. Der Wechsel aus abstrakten Hebungen und intensiver Bodenarbeit erzeugt eine Spannung, die durch die Reflektionen auf der Glasscheibe intensiviert wird. Die düstere und dramatische Endzeitstimmung spitzt sich zu, als ein Ensemble aus Männern hinter der Glasscheibe auftritt. Das Finale der »Eroica« wird durch ein beeindruckendes Auftreten aller Tänzerinnen und Tänzer eingeleitet.

    Während des gesamten Stückes arbeitet der Choreograf wiederholt mit Kanons, hier kommt es nun aber zu einem wahren Höhepunkt: Eine kurze Folge an Schritten wird in derartig viele Kanon-Einsätze aufgeteilt, dass auf der Bühne ein regelrechtes Chaos entsteht, jedoch ein wohlgeordnetes Chaos, das einen energiereichen Abschluss bildet. Unser Lob geht zuletzt besonders an die Tänzer, die durch ihren authentischen Auftritt und ihre offensichtliche Freude am Tanz eine mitreißende Stimmung erzeugt haben. Wir danken dem Hamburg Ballett für die Möglichkeit, einen kleinen Einblick in die Choreografie und die Proben gehabt haben zu dürfen!

    Bericht vom 19.06.2018 von Sophia und Eileen, Schülerinnen der 1. Ausbildungsklasse der Erika Klütz Schule, staatlich anerkannte Berufsfachschule für Tanzpädagogik

    Beethoven-Projekt © Kiran West

    Es ist 9.45 Uhr, meine Klasse und ich warten gespannt, dass wir abgeholt werden. Ich bin wahrscheinlich diejenige, die am meisten aufgeregt ist. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir die Möglichkeit bekommen, bei dieser Bühnenprobe des Hamburg Balletts dabei zu sein. Für mich ist die Staatsoper ein ganz besonderer Ort. Ich habe schon so einige Stücke gesehen, vor allem von John Neumeier. Eigentlich kenne ich die Staatsoper nur gefüllt, mit viel Trubel und Gemurmel. Es war am heutigen Tag etwas Neues, die Oper komplett leer und so leise zu erleben. Türen stehen offen oder Menschen sind unterwegs, die man sonst nie zu Gesicht bekommt.

    Als ich den Saal betrete, werde ich mit Klängen der Musiker, dem Gemurmel der Techniker und dem Gewusel der restlichen Mitwirkenden empfangen. Für mich ist dies ein tolles Bild. Ich bin selber in einem Theater groß geworden und kann mich sehr gut an die Probenzeiten erinnern. Es liegt immer eine gewisse Anspannung und hohe Konzentration in der Luft. Ich setze mich und bin sehr gespannt, was als nächstes passiert. Und da war es auch schon so weit, das bekommt man nur in Proben zu sehen: Aleix Martínez kommt auf die Bühne, begrüßt den Pianisten, winkt jemandem im Saal zu und versucht auf einmal, sich in dem Klavier zu verstecken. Ich grinse – erst später bemerke ich, dass es eine Übung war, da es ein Teil des Stückes ist. Ich blicke auf das Bühnenbild und bemerke, dass die schwarzen Samtvorhänge noch nicht an Ort und Stelle sind und ich die Möglichkeit habe, eine winzige Ecke von den hinteren Kulissen zu sehen. Es sind einige bekannte Gesichter zu erkennen, die sich aufwärmen, etwas besprechen oder sich kurz noch einmal strecken. Ich musste auflachen, als ich einen Spitzenschuh hervorlugen sah, der wahrscheinlich zu Florencia Chinellato gehörte, die auf ihren Einsatz wartet.

    Der Dirigent betritt den Orchestergraben und macht dem Orchester eine Ansage, wie die Probe verlaufen soll. Es gab ein Problem, doch es wurde schnell gelöst, alle lachen auf. Der Dirigent entschuldigt sich und John Neumeier wechselt noch ein paar Sätze mit dem Orchester. Bis es auf einmal etwas hektischer wird. Ich weiß aus eigener Erfahrung, die Zeit drängt; alle Musiker nehmen ihren Platz ein, der Inspizient, der Choreograf und die Ballettmeister nehmen am Regiepult Platz. Das Licht wurde gedimmt. Die Probe beginnt. Doch dann ertönt von Herrn Neumeier die Frage, wo denn der Vorhang bleibe. Von dem Inspizienten bekommt er zu hören, dass der momentan nicht zu Verfügung stehe. John Neumeier macht die Ansage, dass es losgeht. Alle auf Position und die ersten Klavierklänge erfüllen den Raum.

    Beethoven-Projekt © Kiran West

    Ab da versinke ich in den Klängen und den Bewegungen von Aleix Martínez. Ich versuche, die einzelnen Tänzer rauszufrimeln, wer wen in dem Stück darstellt. Da kommt mir der Gedanke, wie wichtig Kostüme doch sind, um den Zuschauer verständlich zu machen, wer wen in dem Stück darstellt. Es ist eine Bühnenprobe, daher haben die Tänzer ihre eignen Trainingsklamotten an. Außer hier und da war mal ein Requisit oder eine Toga zusehen. Ich folge den Bewegungen der Tänzer und bin gespannt wie es weitergeht, auf einmal stürzen gefühlte 100 Menschen auf die Bühne, die allesamt nicht wie Tänzer aussehen. Ich begriff, das sind Techniker und Musiker, die ihre Position einnehmen, um einen schnellen Bühnenbildwechsel vorzunehmen. Der Ton ist rau. »Das muss schneller gehen.« Der Techniker entschuldigt sich und gibt Bescheid, dass erst bestimmte Haken gelöst werden müssen. Ach schön – Szenen, die ein Zuschauer im Normalfall, in der Vorstellung, nie mitbekommen würde. Ich merke, dass Theater nur funktioniert, wenn ein Rad in das andere greift, jeder weiß, was er zu tun hat und was untersagt ist. Und ebenso bin ich immer wieder fasziniert, wie viele Menschen auf, neben, hinter und seitlich von der Bühne beschäftigt sind, damit alles funktioniert und der Zuschauer einen schönen Abend hat.

    Nach dem Umbau war ich verwirrt und wusste nicht, wie ich die Szene einordnen soll, weil das Publikum begrüßt wird – später finden wir heraus, dass es genauso so zu ein hat. Vom zweiten Teil war ich sehr angetan. Es passiert viel und schöne Formationen entstehen, an denen wahrscheinlich noch etwas gearbeitet werden muss, da sie noch nicht perfekt synchron waren. Der Vorhang geht runter, die Stimme von John Neumeier ertönt. Er gibt die Anweisung, dass jetzt die Pause ist und sie sich in wenigen Minuten wieder treffen. Da kam auch unsere Koordinatorin, sie meinte: »… für uns war‘s das leider schon.« Ich habe mir gedacht »neeeiinnn, jetzt kommt doch der spannendste Teil, wo besprochen wird, was gut gelaufen ist, voran gearbeitet werden muss und ob noch bestimmte Licht-, Musik- oder andere Einstellungen vorgenommen werden müssen.« Naja, man kann nicht alles haben. Auf jeden Fall war es ein gelungenes Vormittagsprogramm und ich bin sehr auf die kommenden Vorstellungen gespannt. Vielen Dank an dieser Stelle, das es einer großen Ballettliebhaberin ermöglicht wurde, bei solch einer großen Produktion zuschauen zu dürfen.

    Bericht vom 20.06.2018 von Sarah Edna, Schülerinnen der 2. Ausbildungsklasse der Erika Klütz Schule, staatlich anerkannte Berufsfachschule für Tanzpädagogik