Welche ist deine schönste Erinnerung mit dem Hamburg Ballett? Ich bin erst seit kurzem in der Compagnie, aber die Uraufführung von »Ghost Light« war bereits ein wunderschöner Moment für mich.
Du bist zur Spielzeit 2020/2021 aus Finnland nach Hamburg gekommen. Was war deine Motivation zum Hamburg Ballett zu wechseln? Wir haben John Neumeiers »Sylvia« in Finnland aufgeführt und während der Einstudierung war ich sehr inspiriert und freudig so viel wie möglich von John über Tanz zu lernen. Im Anschluss daran bekam ich die Möglichkeit Teil der Compagnie zu werden und hier bin ich nun, voller Enthusiasmus so viel zu tanzen und zu lernen wie ich kann.
Dies oder Das …
Comedy oder Drama? Drama.
Bücher oder Filme? Filme.
Zuhören oder Sprechen? Sprechen.
Früher Vogel oder Nachteule? Früher Vogel.
Sommer oder Winter? Beides.
Berge oder Meer? Meer.
Familie oder Freunde? Familie.
Tee oder Kaffee? Kaffee.
Kochen oder Bestellen? Kochen.
Alster oder Elbe? Der Fluss Aurajoki in meiner Heimatstadt Turku.
Welche ist deine schönste Erinnerung mit dem Hamburg Ballett? Am 06.09.20 die Premiere von »Ghost Light« : Meine erste Aufführung mit der Compagnie.
Wer ist dein Held in Literatur oder Film? Desmond Thomas Doss, ein Veteran der US Army, dessen Geschichte im Film »Hacksaw Ridge – Die Entscheidung« erzählt wird.
Welche ist deine schönste Erinnerung mit dem Hamburg Ballett? Um ehrlich zu sein, ist es sehr schwer, nur eine auszuwählen. Ich habe viele sehr schöne Erinnerungen, vom ersten Mal, als ich noch in der Schule mit dem Hamburg Ballett auftreten durfte, bis zu Johns letzter Kreation »Ghost Light«.
Welche Rolle würdest du gerne tanzen? Ich würde sehr gerne die Chance bekommen, neue Rollen zu kreieren. Wenn ich jedoch eine auswählen müsste, wäre es Marie in »Der Nussknacker«.
Dies oder Das …
Comedy oder Drama? Drama.
Bücher oder Filme? Filme.
Zuhören oder Sprechen? Beides. Ich mag es wirklich, Menschen zu helfen und zu reden, aber um dies zu können, muss man zuerst zuhören und es ist immer interessant, was andere zu sagen und zu teilen haben.
Früher Vogel oder Nachteule? Keines von beiden, eher etwas dazwischen.
Sommer oder Winter? Sommer.
Berge oder Meer? Meer, obwohl ich die Berge liebte, als ich noch Skifahren konnte.
Familie oder Freunde? Familie, weil sie immer da sein wird, egal was kommt. Die Menschen, die mir nahestehen, zähle ich auch zu meiner Familie.
Im »Steckbrief« stellen sich unsere Tänzerinnen und Tänzer vor, hier kommt Olivia Betteridge.
Name: Olivia Betteridge Geburtsdatum und -ort: 21.12.1999 in Westmead, Australien Engagement: Hamburg Ballett seit 2017
Lieblingsfarbe: Jeglicher Blauton! Lieblingsfilm: Ich bin ein großer Film-Fan. Es ist sehr schwer nur einen auszusuchen! »In the Mood for Love« ist toll, dicht gefolgt von »Betty Blue«. Lieblingssong: Im Moment »Sugar Town« von Nancy Sinatra
Wenn ich keine Tänzerin wäre, wäre ich … Ich bin besessen von Kunst und Kunstgeschichte! Wenn ich könnte, würde ich in einer Galerie oder einem Museum arbeiten und meine Tage eingetaucht in Kunst, kuratierend und restaurierend, verbringen.
Welche ist deine schönste Erinnerung mit dem Hamburg Ballett? Ein Moment, der wirklich heraussticht, war die Wiederaufnahme von »All Our Yesterdays«. Die Damen glänzen einfach in »Fünfte Sinfonie von Gustav Mahler«, in dem wir technisch schwierige Schritte zu sehr komplexer Musik tanzen. Ich erinnere mich daran, wie ich von der Bühne kam und dachte: »Ich kann es nicht glauben, dass wir das gerade geschafft haben!«. Ich habe mich meinen weiblichen Kolleginnen sehr nah gefühlt. Außerdem hatte ich die unglaubliche Möglichkeit »Liebeslieder Walzer« (»Brahms/Balanchine«) mit Alexandre Riabko zu tanzen. Er ist ein spektakulärer Darsteller und ich werde diese Erfahrung für immer in mir tragen.
Wie hast du den Kreationsprozess von »Ghost Light« erlebt? Die Kreation von »Ghost Light« war eine sehr neue Erfahrung für jeden. Normalerweise bedeutet die Kreation eines neuen Balletts, dass man etwas Neues ohne Grenzen und Einschränkungen erschafft, dass man die Kreativität übernehmen lässt. Für »Ghost Light« hatten wir sehr strenge Zeitpläne und Abstandsprotokolle. Aber selbst trotz dieser Regeln denke ich, dass John Neumeier ein sehr interessantes und emotionales Stück geschaffen hat. Er erzählt darin unsere Geschichte; wie diese Zeit für uns als Künstler ist.
Dies oder Das …
Comedy oder Drama? Comedy!
Bücher oder Filme? Ich könnte nicht ohne beide leben. Ich erhalte Inspiration sowohl aus Büchern als auch aus Filmen – sie sind sehr anregend!
Zuhören oder Sprechen? Sprechen (mein Freund bekommt manchmal kein Wort dazwischen!)
Früher Vogel oder Nachteule? Früher Vogel.
Sommer oder Winter? Der Herbst ist wirklich besonders in Hamburg. Es ist besonders zu sehen, wie die Atmosphäre sich nach dem Sommer verändert.
Berge oder Meer? Ich komme aus Australien! Der Ozean natürlich!
Familie oder Freunde? Eine gesunde Balance zwischen beiden.
Tee oder Kaffee? Tee.
Kochen oder Bestellen? Kochen! Ich suche ständig in Ottolenghis Kochbuch »Simple« nach Inspiration.
Alster oder Elbe? Ich wohne sehr dicht an der Elbe und bin sehr glücklich, dass sie der Ausblick bei meinen Spaziergängen ist.
Im »Steckbrief« stellen sich unsere Tänzerinnen und Tänzer
vor, hier kommt Nicolas Gläsmann.
Name: Nicolas Gläsmann Geburtsdatum und –ort: 03.08.1993 in Düsseldorf, Deutschland Engagement: Hamburg Ballett seit 2015, Bundesjugendballett 2013-2015
Lieblingsfarbe: Blau Lieblingsfilm: »Catch Me If You Can« Lieblingssong: »Ain’t no Grave« von Johnny Cash
Wenn ich kein Tänzer wäre, wäre ich … … ein Sportler oder würde gemeinsam mit Greenpeace Tieren helfen.
Welche ist deine schönste Erinnerung mit dem Hamburg Ballett? Meine schönste Erinnerung mit dem Hamburg Ballett ist die Uraufführung von »Ghost Light«.
Was macht dich zu einem guten Tanzpartner? Wenn ich mit meiner Partnerin tanze, dann versuche ich, dass unsere Bewegungen zu einem werden und durch viele Proben zu verstehen, was meine Partnerin wann braucht.
Dies oder Das …
Comedy oder Drama? Comedy.
Bücher oder Filme? Filme.
Zuhören oder Sprechen? Zuhören.
Früher Vogel oder Nachteule? Früher Vogel, oder eigentlich etwas zwischen beiden.
Auf dem
Parkplatz hinter dem Festspielhaus Baden-Baden hat der SWR eine regelrechte
Siedlung eingerichtet. Neben dem großen Ü-Wagen sind mehrere Container
aufgebaut. Die Türen stehen meist offen. Wer vorbeikommt, wird freundlich
gegrüßt. In diesem
Setting entsteht die hochkarätige Aufzeichnung von John Neumeiers jüngstem
Ballett »Ghost Light«. Das Hamburg Ballett ist für vier Aufführungen und eine
Ballett-Werkstatt zum traditionellen Herbstgastspiel angereist. Auch wenn Abstandsgebot
und Hygienekonzept eine weitgehende Trennung von künstlerischer Produktion und
Aufzeichnung vorsehen, waren Fernsehredakteur Harald Letfuß und
Produktionsleiter Heinz-Jürgen Hilgemann gerne bereit, einen Einblick in ihre
Arbeit beim SWR zu geben.
Das Festspielhaus-Publikum feierte die Premiere von »Ghost Light« mit Standing Ovations. Wie ist die Stimmung rund um den Ü-Wagen?
Heinz-Jürgen Hilgemann: Großartig! Immer wieder kommen Kollegen vom Ballett vorbei und sagen: „Es ist so toll mit Euch!“ Wir freuen uns, wieder ein John Neumeier-Ballett in die Welt zu bringen. In einer Zeit, in der nur 500 Zuschauer im Festspielhaus sein dürfen, kommen wenigstens durch den weltweiten Livestream viele Menschen in den Genuss dieser Aufführung.
Harald Letfuß: Die Motivation für dieses Projekt ist besonders groß, weil durch den Lockdown mehr als zwei Monate lang bei uns gar nichts ging. Als ich im Frühsommer andeutete, dass Gespräche mit dem Festspielhaus für ganz großes Ballett laufen, gab es regelrechte Jubelrufe.
Bei welcher Gelegenheit haben Sie John Neumeier kennengelernt?
Harald Letfuß: Die erste Begegnung war »Tod in Venedig« 2004 im Festspielhaus, eine Aufzeichnung mit dem gleichen Aufwand wie bei »Ghost Light«. Seitdem ist der Kontakt nie abgerissen – und jetzt drehen wir sogar das zweite Jahr in Folge.
Heinz-Jürgen Hilgemann: Schon während meines Volontariats Ende der 70er Jahre habe ich in John Neumeiers Produktionen mit Studio Hamburg hineinspickeln können. Jeder wusste: Was dort passiert, ist Weltklasse. Als »der« John Neumeier dann zu uns für Aufzeichnungen nach Baden-Baden kam, hatte ich als Ballettfan Tränen in den Augen. »Tod in Venedig« ist ein unglaublich gut gemachtes Ballett! Bis heute bin ich besonders stolz darauf, dass wir als SWR international die einzige Rundfunkanstalt sind, die einen Film der »Matthäus-Passion« mit John Neumeier in der Rolle des Jesus haben.
Wie kommt im Corona-Jahr 2020 ein Ballett wie »Ghost Light« rechtzeitig in den Redaktionsplan?
Harald Letfuß: Ich glaube, Sie haben mich angerufen (lacht). Wir haben frühzeitig gemeinsam überlegt, die erfolgreiche Zusammenarbeit von »Beethoven-Projekt« unmittelbar fortzusetzen. Als klar wurde, dass die ursprünglich geplante ›Kameliendame‹ unter Corona-Bedingungen nicht aufführbar ist, kam aus Hamburg schnell das Signal, dass John Neumeier etwas völlig Neues kreiert. Mit »Ghost Light« zeichnen wir unter Corona-Bedingungen etwas Einmaliges auf, was es kein zweites Mal auf der Welt gibt. Wir haben alles darangesetzt, diese Produktion Wirklichkeit werden zu lassen: mit großem Ü-Wagen, Containern und einem anspruchsvollen Hygienekonzept.
Herr Hilgemann, als Produktionsleiter haben Sie die gesamte Technik im Blick. Welche Besonderheiten mussten bei der diesjährigen Aufzeichnung beachtet werden?
Heinz-Jürgen Hilgemann: Ein Gedanke vorweg: Meine Kollegen lechzen nach tollen Produktionen. Dabei müssen wir uns auf die guten Ideen der Redaktion verlassen, die an den traditionell herausragenden Ruf des SWR im Kultur- und Klassikbereich anknüpfen kann. Ich habe daher sehr früh nach Beginn des Lockdowns mit Harald Letfuß überlegt, welche Produktionen im Herbst denkbar wären. Sein enger Kontakt zum Hamburg Ballett war entscheidend, um konkrete Planungsschritte rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Unser Ziel ist eine erstklassige Aufzeichnung, die parallel zum Publikumsbetrieb, aber möglichst unauffällig entsteht. Heute arbeiten wir mit exzellenter Technik, die ein Ballett so abfilmt, wie es kreiert ist – einer Technik, die auch schwach ausgeleuchtete Felder eines Lichtdesigns adäquat festhalten kann. Durch Corona sind wir besonders in der Zahl der Kameras beschränkt, die der Regie eine Auswahl an Perspektiven für die Schnittfassung zur Verfügung stellen. Dabei geht es übrigens nicht um den Platzbedarf im Saal, sondern im Ü-Wagen, denn hier sitzen Kollegen, die diese Kameras betreuen.
Harald Letfuß: Von redaktioneller Seite darf ich hinzufügen, dass ein derartiges Projekt nur mit einem Produktionsleiter umsetzbar ist, der mit der Materie Ballett vertraut ist. Dieser Erfahrungsschatz ist eine zentrale Voraussetzung – auch, weil wir die verfügbaren Geldmittel sorgfältig einsetzen müssen. Zu guter Letzt braucht man einen Partner wie das Hamburg Ballett, mit dem man auf Augenhöhe Kompromisse aushandeln kann: zur Dauer der Aufzeichnung, zu Rechtefragen usw.
Wie erleben Sie John Neumeier, wenn er für die Dauer der Vorstellung zum Produktionscontainer kommt, um die Aufzeichnung am Split-Screen zu verfolgen?
Harald Letfuß: Er ist hochkonzentriert und fokussiert. Ich sehe unsere Aufgabe darin, ihm einen Rahmen zur Verfügung zu stellen. Er soll sich voll und ganz darauf einlassen können, wie sein Ballett im Medium des Films auf den Bildschirm kommt. Alle freuen sich, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich in unserem Arbeitsbereich bewegt. Ich meine sogar, manchmal ein freudiges Lächeln zu entdecken, wenn etwas besonders gut funktioniert.
Heinz-Jürgen Hilgemann: Mit Myriam Hoyer haben wir eine Regisseurin, die exakt das umsetzt, was John Neumeier sich vorstellt. Dazu gehört auch ein erheblicher Arbeitsaufwand im Vorfeld: dass sie sich mit John Neumeier zusammensetzt und konkret nachfragt, was ihm bei der Aufzeichnung wichtig ist.
Haben derart aufwendige Ballett-Produktionen beim SWR eine Zukunft?
Harald Letfuß: Ich weiß, dass bei vielen Ballettcompagnien die Vorstellungen mit großem Vorlauf ausverkauft sind. Was noch wenig in den Medien thematisiert wird: Es gibt einen immer größeren Kreis von jüngeren Menschen, um die 20, die Ballett für sich entdecken, auch wenn sie es nicht durch ihr Elternhaus kennengelernt haben. Eine regelrechte Renaissance, an der wir teilhaben wollen!
Zudem sind Ballett-Tickets oft hochpreisig. Als öffentlich-rechtlicher Sender mit einem Kulturauftrag steht es uns gut an, die Tradition der SWR-Ballettaufzeichnungen mit hohem Qualitätsanspruch fortzuführen: um Menschen mit körperlichen oder finanziellen Einschränkungen – auch Menschen, für die die nächste Bühne schlicht nicht erreichbar ist – einen Zugang zu dieser großartigen Kunstform anzubieten.
Die Schubert-Einspielungen von David Fray haben John Neumeier zu seiner Musikauswahl für sein jüngstes Ballett »Ghost Light« angeregt. Nach zwei Probentagen im Ballettzentrum Hamburg betritt der in Fachkreisen hochgehandelte Pianist erstmals eine Ballettbühne und spielt im Festspielhaus Baden-Baden die Soloklaviermusik zu diesem »Ballett in Zeiten von Corona«. Beim Gespräch vor der Premiere wird sofort deutlich: Dieser Künstler sucht den Dialog, auch mit anderen Kunstformen, um dem Publikum einmalige und unverwechselbare Erlebnisse zu vermitteln.
Wann haben Sie zum ersten Mal von der Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit dem Hamburg Ballett gehört?
David Fray: Soll ich wirklich nachschauen? Das würde mich auch interessieren (lacht). Der Vorschlag kam ungefähr Ende Juni. Eine Ballett-Aufführung zu spielen, ist für uns Musiker interessant – und auch ein wenig unheimlich. Als Künstler glaube ich an die Kraft der Musik, an eine Kraft, die nichts Anderes benötigt. Etwas Visuelles zu begleiten, kann störend sein. Man könnte meinen, die Musik wäre nicht mehr die Hauptsache, reduziert auf eine Vorlage für Ballett.
Aber als die Anfrage von John Neumeier kam, hatte ich keine Bedenken. Ich
kannte Johns Werke. Ich wusste: Alles, was er der Musik hinzufügt, würde dem
Wesen dieser Musik sehr entsprechen. Auch die Tatsache, dass er einen
Konzertpianisten fragte, war ein Zeichen dafür, dass er der Musik einen
Eigenwert zuschrieb. Bei John konnte ich darauf vertrauen, dass Musik und
Bewegungen eine tiefe Symbiose eingehen.
John Neumeier wurde von einer Ihrer Einspielungen angeregt, sein Ballett mit Musik von Franz Schubert zu kreieren. Kommt Ihnen das entgegen?
John hat Musik gewählt, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Zwar ist ein Großteil seiner Musik nicht zum Tanzen gedacht. Aber während der Arbeit mit John wurde mir neu bewusst, wie viele Aspekte trotzdem mit Tanz verbunden sind, auch jenseits seiner Deutschen Tänze und Walzer. Manchmal sind es nur unauffällige Anklänge, so wie hier im 1. Satz der G-Dur-Sonate (spielt einen Auszug mit tänzerisch punktiertem Rhythmus).
Ich fühle mich auch vom Ballett-Titel »Ghost Light« angesprochen. Schon lange vor diesem Projekt hatte ich das Gefühl: Schuberts Musik ist eine Musik von Geistern. Es ist die Musik eines Zwischenreichs: nicht von unserer Welt, nicht aus dem Jenseits.
Wie war Ihr Eindruck von den ersten Proben mit dem Hamburg Ballett? Zunächst haben Sie einen Durchlauf im Ballettsaal mit Ihrer Einspielung erlebt, erst danach Szene für Szene am Klavier begleitet.
Es war keine leichte Aufgabe. Einerseits muss man wie in einem Konzert spielen: projizieren, wie man selbst die Musik in diesem Augenblick empfindet. Andererseits ist genau das im Ballett unmöglich, denn ich muss immer in Verbindung bleiben mit dem, was die Choreografie vorgibt – auch wenn ich nicht in jedem Moment die Tänzer beobachte.
Johns Repertoire-Auswahl ist anspruchsvoll. Es ist ein Großteil der Schubert-Stücke, die ich jemals eingespielt habe. Das alles ohne Pause zu spielen, ohne dass Konzentration und Fokussierung nachlassen, ist sehr schwer. Es erfordert so viel Hingabe! Ich kann diese Werke nicht spielen, ohne innerlich beteiligt zu sein.
Was denken Sie: Wird es weitere Projekte mit Ihnen und dem Hamburg Ballett in der Zukunft geben?
Natürlich muss ich zunächst die Aufführungen abwarten. Aber es wäre interessant, »Ghost Light« auch in anderen Städten aufzuführen. Wenn unsere noch junge Zusammenarbeit sich weiter so positiv entwickelt, ist das eine Idee, die ich gerne unterstütze. Sicher werden sich Gespräche mit John anschließen und man wird sehen, ob gemeinsame Projekte entstehen. Diese Art der Begegnung mit großen Künstlern ist faszinierend. Oft bleibt es bei einem netten Abend, aber manchmal entsteht etwas wirklich Neues, das sehr weit trägt.
Es ist das erste Gastspiel des Hamburg Ballett seit dem Lockdown. Das Programm musste angepasst werden: John Neumeiers vor wenigen Wochen uraufgeführtes Ballett »Ghost Light« ersetzt »Die Kameliendame«. In dichter Folge sind vier Vorstellungen und eine Ballett-Werkstatt angesetzt. Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa strahlt Zuversicht aus. Endlich öffnet sich das Haus wieder für seine Künstler – und sein Publikum.
Das Hamburg Ballett gestaltet zum zweiten Mal in Folge das Programm der Saisoneröffnung im Festspielhaus Baden-Baden. Hat dieser Umstand etwas mit der Künstlerpersönlichkeit von John Neumeier zu tun?
Benedikt Stampa: Auf jeden Fall. Als Intendant darf ich John noch einmal neu erleben, nach meiner Hamburger Zeit. Als Chef der Laeiszhalle habe ich die Ära Ingo Metzmacher erlebt. Schon da war John eine Konstante. Unser Kontakt blieb aber eher auf der gesellschaftlichen Ebene, etwa bei Empfängen oder Premierenfeiern. Das Wiedersehen mit ihm in Baden-Baden war daher schon spannend. Ich bin komplett geflasht!
Wann haben Sie zum ersten Mal in Ihrer Funktion als Festspielhaus-Intendant mit John Kontakt aufgenommen?
Als die Berufung nach Baden-Baden klar wurde, habe ich überlegt: Mit
welchen der Künstler, die seit Jahren das Profil vom Festspielhaus geprägt
haben, spreche ich zuerst? Und da war John ganz vorne mit auf der Shortlist.
Ich habe ihn dann in Hamburg getroffen, wir saßen zusammen im Italiener an der Dammtorstraße und haben uns quasi beschnuppert. Bei mir ist der Funke sofort übergesprungen. Zugleich habe ich gespürt: Da ist noch Platz und Raum für neue Dinge.
Das Festspielhaus erwacht gerade aus einer Art Dornröschenschlaf. Wie ist die Stimmung, auch unter Ihren Kollegen?
Auch wenn wir alle lange Routine in unserem Job haben, hat noch keiner eine so lange Durststrecke erlebt. Alle haben professionell reagiert. Selbstverständlich auch unsicher: Wie lange dauert das? Man hat sich in eine Rolle der Improvisation begeben, aber auch der neu auferlegten Flexibilität. Trotz aller Frustration haben wir uns die Zeit genommen, nach vorne zu schauen. Wir wollen die Zukunft selbst gestalten.
Wie wichtig sind Förderer, auch für das Gastspiel einer Ballettcompagnie wie das Hamburg Ballett?
Für unser Haus: existentiell. Hella und Klaus Janson sind seit Jahrzehnten dem Haus eng verbunden: als treue Stifter und Förderer, die regelmäßig zu den John Neumeier-Festspielen anreisen. Diese Art der Verzahnung von Festspielhaus und Hamburg Ballett ist über Jahrzehnte gewachsen. John Neumeier hat mit seiner Compagnie viel investiert. Man nimmt den Tänzerinnen und Tänzern einfach ab, dass Baden-Baden nicht nur eine beliebige Tournee-Station ist. Man spürt: Es ist Teil ihrer Identität.
Diese Art gewachsener Identifikation ist für unsere Aufführungen in Hamburg wesentlich dafür verantwortlich, dass auch in der Corona-Krise eine ungebrochene Ticket-Nachfrage besteht.
Das ist bei uns auch so. Wenn ich mir die Verkaufszahlen anschaue, liegt John an der Spitze. Das Besondere ist: Seine treue Fangemeinde verjüngt sich sogar.
Bei »Ghost Light« sind insgesamt 55 Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne. Wie schwer war es, für dieses künstlerische Programm ein Hygienekonzept genehmigt zu bekommen?
Wir haben viele Festivals und müssen für jedes einzelne ein eigenes Hygienekonzept erstellen: jetzt gerade für John Neumeier, im November kommt Thomas Hengelbrock mit seinem Ensemble, dann Cecilia Bartoli mit ihrer Opernproduktion. Die Diskussionen reichen von mobilen Test-Stationen, Quarantäne-Maßnahmen und Absprachen mit dem Ordnungsamt – bis hin zur Frage: Wer darf wann in die Kantine?
Ich sehe schon: Wir müssen wiederkommen. Haben Sie eine Vision, mit welchem Programm?
Ja! (lacht) Darüber spreche ich nachher mit John. Natürlich habe ich
einen Plan fürs Festspielhaus, auch wenn sich durch Corona Verzögerungen
ergeben. Kulturinstitutionen müssen sich verändern. Wir als Festspielhaus und
auch unser Programm dürfen nicht austauschbar sein. Es geht um Bindungen zum
Publikum und zu den Künstlern. In dieser Hinsicht ist John ein großes Vorbild,
das belohnt wird: mit Ewigkeitswerten.